Nicht immer sind es neue medikamentöse Therapien oder operative Verfahren, die beim ESC-Kongress für Aufmerksamkeit sorgen. Manchmal sind es auch kreative Ideen, die mit überraschend konkreten Perspektiven für die Patientenversorgung aufwarten – wie Musik mit Struktur zur Prävention und Rehabilitation.
Dass Musik Emotionen bewegt, ist bekannt. Nun zeigt eine britische Studie (esc365.escardio.org/esc-congress/sessions/15276), dass sie auch Blutdruckrhythmen in Schwingung versetzen kann – und zwar besonders dann, wenn die musikalischen Phrasen vorhersehbar aufgebaut sind. Die 92 Probandinnen und Probanden hörten am Flügel eingespielte Klassiker, während ihr Blutdruck kontinuierlich gemessen wurde. Am stärksten synchronisierte sich die Kurve beim Hören von Schuberts „Ständchen“ in der Bearbeitung von Liszt, gespielt von Harold Bauer – einem Stück mit klar strukturierten musikalischen Bögen. Je vorhersehbarer die Phrase, desto stärker die Anpassung der Blutdruckregulation, was auf eine gesteigerte Baroreflex-Sensitivität hindeutet.
Musik werde somit zunehmend als potenzielle nicht pharmakologische Intervention zur Regulierung des Herz-Kreislauf-Systems anerkannt, resümierte Prof. Elaine Chew (London). „Diese Studie eröffnet die faszinierende Möglichkeit, dass wir in Zukunft Musiktherapien entwickeln könnten, um bestimmte biologische Reaktionen hervorzurufen. Diese könnten speziell auf einzelne Personen zugeschnitten werden und uns der Musik als Präzisionsmedizin näherbringen. Langfristig könnten wir eines Tages in der Lage sein, Musik zur Vorbeugung von Herzerkrankungen oder zur Verlangsamung, Eindämmung oder Umkehrung ihres Fortschreitens einzusetzen.“
Digital Twin im Herzkatheterlabor
Wissenschaftlich belastbarer, wenn auch nicht weniger visionär, sind die Ergebnisse der CUVIA-PRR-Studie aus Südkorea (esc365.escardio.org/esc-congress/sessions/). Diese überprüfte die Standardprozedur bei persistierendem Vorhofflimmern, die Pulmonalvenenisolation. In der Interventionsgruppe wurde zusätzlich eine digitale Kopie des linken Vorhofs – ein sogenannter Digital Twin – genutzt, um im Vorfeld stabile „Phase Singularities“ zu identifizieren, die den Rhythmusfehler antreiben könnten. Diese Stellen wurden dann gezielt mitverödet. Das Resultat: Nach 18 Monaten waren knapp 78 % der so behandelten Patientinnen und Patienten frei von erneuten Arrhythmien, gegenüber 60 % unter Pulmonalvenenisolation allein. Weder Komplikationsrate noch Prozedurdauer unterschieden sich zwischen den Gruppen. Damit zeigt sich: Eine maßgeschneiderte, patientenspezifische Katheterablation mithilfe digitaler Simulation ist machbar und wirksam – ein Schritt hin zu präziserer Rhythmustherapie, die nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip arbeitet, sondern individuelle Mechanismen adressiert.
Für den Katheterlabor-Alltag zählt, wie stabil die modellierten Treiber über Zeit, Rhythmuswechsel und Medikamente bleiben. Zudem stehen Kosten-Nutzen, Trainingsaufwand und Interoperabilität der Mapping-Systeme zur Diskussion – ebenso die Frage nach fairer, datenschutzkonformer Nutzung.
Abstract „Cardiovascular synchronisation to music: blood pressure entrainment to expressive musical structures“ (Session: Digital innovations in clinical practice)
Präsentation „CUVIA: Digital twin-guided rotor ablation for persistent atrial fibrillation“ (Session: HOT LINE 8)