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Kongress-Ticker

COVID-19

Was kommt nach Omikron BA.2?

Steffen Robens

13.5.2022

SARS-CoV-2 und die evidenzbasierte Medizin bieten sich seit mehr als zwei Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die langfristige Gesundheit der Menschen. Auf dem 128. DGIM-Kongress in Wiesbaden fassen Experten den aktuellen Zwischenstand zwischen besorgniserregenden Varianten und therapeutischen Entwicklungen zusammen.

Nach zwei Jahren Pandemie mit weltweit 504.079.039 bestätigten Fällen und 6.204.155 Toten (Stand 21.04.2022) sinken die Inzidenz und die Intensivzahlen in Deutschland zwar, bewegen sich aber nach wie vor auf sehr hohem Niveau. PD Dr. Dr. Martin Stürmer vom IMD Labor Frankfurt geht die Öffnung zu schnell. „Wir unterschätzen die Inzidenz zurzeit deutlich! Die Dunkelziffer ist vermutlich enorm“, warnte er während seines Vortrags über den Pandemieverlauf. Von 2,8 Mio. PCR-Tests pro Woche vor dem Freedom Day der Bundesregierung gingen die Testungen auf aktuell 1,1 Mio. Tests zurück. Dafür liegt die Positivrate bei bis zu 80 %. Ein genaueres Bild der Inzidenz könnte das Monitoring des Abwassers auf SARS-CoV-2 geben. In einer Übersichtsarbeit aus Connecticut, USA, korrelierte die im Abwasser gemessene Corona-Inzidenz eng mit der durch Einzeltestungen und Pool-Tests. Wissenschaftler könnten so lokale Ausbrüche und Cluster früher entdecken.

Die Impfungen der ersten Generation sind weiterhin sehr effektiv, das Ausmaß ihrer Protektion aber je nach Patienten unterschiedlich ausgeprägt und anhaltend. „Vergessen Sie bitte eines nicht: die Impfstoffe sind nicht dazu gemacht, um die Infektion zu verhindern. Der klinische Erfolg und der Schutz vor einem schweren Verlauf sind auch bei Omikron gegeben“, erinnerte Stürmer seine Kollegen.

War zunächst COVID-19 der Haupteinweisungsgrund, stellt es heute eher eine Nebendiagnose dar. Mit mehreren antiviralen Substanzen, monoklonalen Antikörpern und anderen antiinflammatorischen Medikamenten stehen der Medizin gute Werkzeuge gegen das Virus zur Verfügung. Vorausgesetzt, der Arzt beginnt früh genug mit der Therapie, damit der inflammatorische Prozess gar nicht erst in Fahrt kommt.

Neue Varianten, neue Eigenschaften

Die dominante Variante in Deutschland ist aktuell Omikron BA.2. Fest steht: Omikron wirkt milder als Delta. Unter anderem ist Omikron weniger in der Lage, die Interferon-Antwort abzuschalten, als es Delta konnte. Harmlos wird es dadurch aber nicht. Ungeimpfte riskieren einen schweren Krankheitsverlauf bis hin zum Tode.

In Südafrika breiten sich gerade die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 aus. Ob sie BA.2 toppen und in Deutschland für Unruhe sorgen werden, ist noch nicht abzusehen. Mit einiger Sorge sieht Stürmer in die USA. Dort verdrängt die Variante BA.2.12.1 gerade BA.2. Wo BA.2.12.1 dominiert, steigt mit den Fallzahlen auch die Hospitalisierungsrate – bisher liegt sie bei 30 % aller COVID-Infektionen. Das Besondere an BA.2.12.1 ist eine Mutation, die bisher nur bei der Lambda-Variante aus Peru nachgewiesen wurde. Damit einher gehen mutmaßlich eine nochmals höhere Infektiosität und die Fähigkeit, die zelluläre Immunität zu umgehen. Sollte sich diese Annahme bestätigen und diese Variante dominant werden, müssen die Impfstoffe angepasst werden. Ob BA.2.12.1 in den USA dominant wird und dann nach Europa migriert, ist bisher aber noch nicht abzusehen.

„Wir leisten uns den Luxus von viel Infektionsgeschehen“, kritisiert Stürmer. Viele Infektionen führen zu vielen Mutationen. Neue Varianten entstehen momentan eher durch Immunselektion als durch Medikamentenresistenzen. Die Antikörper, die aktuell noch greifen, werden bei der nächsten Variante vermutlich nicht mehr wirken. Viele der monoklonalen Antikörper, die in der EU zugelassen sind, wirken nicht bei Omikron. Dagegen hilft nur Sotrovimab – allerdings nicht gegen BA.2.

Noch mehr "Deltakron"? 

Ein weiterer Mechanismus des hohen Infektionsgeschehens: zwei unterschiedliche Varianten verbinden sich, wie etwa im Fall „Deltakron“. Dabei stammt das S-Protein von Omikron BA.1 und der Rest von Delta AY.4. So erlangt das Virus sehr schnell neue Eigenschaften, wobei die Fähigkeit, dem Immunsystem auszuweichen, nur eine von vielen Möglichkeiten ist.

Medikamentenresistenzen werden bei SARS-CoV-2 vermutlich eine untergeordnete Rolle spielen. Bisher gibt es keinen Hinweis auf einen Wirkungsverlust bei den antiviralen Substanzen wie Nirmatrelvir (Protease-Inhibitor), Molnupiravir (Ribonukleosid-Analogon) und Remdesivir (Nukleosid-Analogon). Molnupiravir befindet sich aktuell noch im Zulassungsverfahren. Besonders wirksam sind sie allesamt, wenn sie früh angewendet werden.

In der Frühphase besteht die Therapie aus neutralisierenden Antikörpern, Virostatika und anderen, unterstützenden Medikamenten. In die amerikanischen Guidelines wurde Anfang März überraschend Bebtelovimab aufgenommen, das in Europa nicht zugelassen ist. Da die Masse der Infektionen prähospital stattfindet, wäre es logisch, auch schon im ambulanten Umfeld mit der antiviralen Therapie zu beginnen, findet PD Dr. Timo Wolf, Infektiologe vom STAKOB-Zentrum Frankfurt. Nirmatrelvir würde sich dafür anbieten.

FAZIT: Neue Varianten sind jederzeit möglich. Allerdings sind diese klinisch nicht automatisch harmloser als die Vorgängervariante. Wichtig ist, das Infektionsgeschehen genau zu verfolgen und die gefundenen Varianten zu charakterisieren. Ärzte sollten sich auf den Herbst vorbereiten. Eine neue Impfkampagne mit einem angepassten Impfstoff ist wahrscheinlich.

Symposium „SARS-CoV-2 Varianten und Durchbruchsinfektionen: Aktuelles Update zur Wirksamkeit der zugelassenen COVID-19-Therapieoptionen“, 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Veranstalter: Gilead Sciences GmbH), Wiesbaden, April 2022

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