Die WHO warnt vor einer weltweiten Epidemie des Chikungunya-Virus (CHIKV). Das Verbreitungsgebiet nimmt stark zu. Prof. Dr. med. Tino Schwarz (Würzburg) erläutert die Hintergründe und weist auf Vor- und Nachteile der beiden zugelassenen Lebend- und Totimpfstoffe hin.
Prof. Dr. med. Tino Schwarz
Chefarzt
Institut für Labormedizin
Impfzentum
Klinikum Würzburg Mitte
Das ssRNA-Virus CHIKV ist inzwischen auch in Europa ein Thema, mit steigender Zahl an Infektionen. Kürzlich aktualisierte die STIKO ihre Empfehlungen zu den zugelassenen Impfstoffen. Dennoch ist die Erkrankung hierzulande noch wenig bekannt.
Herr Prof. Dr. Schwarz, wie ist die derzeitige epidemiologische Lage bei Chikungunya?
Es gibt einen enormen Ausbruch auf La Réunion (Frankreich) im indischen Ozean, mit bis zu 50 000 gemeldeten Fällen und Weiterübertragungen bis an die ostafrikanische Küste oder Indien. Zusätzlich gibt es einen Ausbruch in Foshan (China) mit ca. 8 000 Fällen. Aus Indonesien, Thailand oder den Philippinen werden ebenfalls Fälle berichtet. Aber auch auf der anderen Seite des Globus, in Brasilien oder anderen südamerikanischen Ländern gibt es vermehrt Infektionen mit CHIKV. Inzwischen kommen sogar autochthone Übertragungen in der EU vor, insbesondere in Frankreich und Italien. Die Stechmücken als Vektoren sind weltweit verbreitet, damit besteht die Möglichkeit, sich auch ohne Reise zu infizieren.
Wie genau sind die Übertragungswege und gibt es spezielle Risikofaktoren?
Es gibt zwei Überträger: Aedes aegypti, vor allem in den Tropen, und Aedes albopictus, zusätzlich noch in subtropischen oder den „moderate climate“ Zonen. Bis 2005 war eigentlich nur Aedes aegypti der Überträger, aber dann entstand durch Mutation die jetzt vorherrschende Indian-Ocean-Linie, die auch durch Aedes albopictus übertragen werden kann. Die Mutation bewirkt zusätzlich einen erhöhten virämischen Titer in der Mücke, wodurch die Infektiosität deutlich gesteigert ist. Diese neue Ausgangslage veranlasste die WHO, die Entwicklung von Impfstoffen zu fordern, um die Ausbreitung der Erkrankung zu kontrollieren.
Risikofaktoren sind wie bei allen viralen Infektionen jegliche Komorbiditäten. Aber auch Schwangere können durchaus schwere Verläufe haben.
Ist bei schweren Verläufen mit Langzeitfolgen zu rechnen?
Schwere Verläufe sind durch eine kognitive Beteiligung definiert. Leistungsminderung oder Arthalgien können Langzeitfolgen sein, was für die Patientinnen und Patienten chronische Schmerzen bedeuten kann. Ähnliches ist auch von Dengue-Fieber bekannt, tritt bei CHIKV-Infektion aber viel häufiger auf.
Was ist bei Diagnosestellung oder Differenzialdiagnose zu beachten?
Angenommen es kommt ein Patient mit Gelenkschmerzen aus einem Endemiegebiet zu Ihnen in die Praxis, dann würde man zuerst versuchen, das Virus über eine PCR nachzuweisen. Allerdings erfolgt der Arztbesuch dafür oft zu spät. Über die Serologie können spezifische Antikörper nachgewiesen werden. Das funktioniert sehr zuverlässig, Kreuzreaktionen, wie bei Flaviviren, gibt es bei Alphaviren kaum. Natürlich muss man zuerst an CHIKV als mögliche Ursache denken. Da Chikungunya eine meldepflichtige Erkrankung ist, läuft die entsprechende Diagnostik nicht über das ärztliche Budget, sondern kann außerbudgetär abgerechnet werden.
Ein echtes Problem sind Doppelinfektionen, man kann durchaus mit CHIKV und DENV gleichzeitig infiziert sein, da die Verbreitungsgebiete überlappen.
Es gibt jeweils einen zugelassenen Tot- und einen Lebendimpfstoff. Was sind die wichtigen Unterschiede?
Da Infektionen nicht planbar für eine Studie sind, gibt es keine tatsächlichen Wirksamkeitsdaten. Stattdessen wurde von der WHO ein serologisches Surrogat festgelegt, was als Immunität bzw. Wirksamkeitskriterium gelten soll. Dieses ist beim attenuierten Lebendimpfstoff und dem VLP-Impfstoff, steht für virus-like particles, ähnlich gut, mit Serokonversationsraten bis nahezu 100 % und einem Titer mit langem stabilem Plateau. Beim Lebendimpfstoff sind hier bereits Langzeitdaten über 3 Jahre verfügbar. Beim Totimpfstoff nur über 2 Jahre, noch aus der Phase-II-Studie. Da die Studien allerdings weiterlaufen, wird sich noch zeigen, ob eine Auffrischimpfung nötig sein wird.
Gibt es spezielle Zielgruppen für die verschiedenen Impfstoffe?
Die STIKO empfiehlt aktuell beide Impfstoffe von 12 bis 59 Jahren. Ab 60 sollte nur noch der VLP-Impfstoff verabreicht werden. Die Empfehlungen der STIKO wurden hierzu kürzlich aktualisiert. Man kann aber noch nicht sagen, ob ein Impfstoff besser ist, beide sind auf jeden Fall hoch potent und wirksam.
Wie kam es zum Rote-Hand-Brief für den Lebendimpfstoff?
Zuerst wurden schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, sog. SAEs, mit zeitlichem Zusammenhang zur Impfung vor allem bei Älteren aus den USA gemeldet, wo der Impfstoff zuerst eingesetzt wurde, dann ebenso bei Regelimpfungen auf La Réunion, vor allem an älteren Menschen. Dies führte zur Zulassungsbeschränkung des Impfstoffes auf ein Alter bis 64. FDA und EMA haben dies inzwischen aber schon wieder aufgehoben*. Die STIKO-Empfehlung existiert natürlich weiter, aber die Zulassung ist entscheidend. Im Falle einer Aktualisierung der Fachinformation ist es am Ende die Entscheidung des Arztes, welcher Impfstoff appliziert werden soll. Im Moment gilt aber noch die Zulassung bis 64 Jahre.
Was heißt das für die Praxis?
In der Reisemedizin geht es meist nicht nur um eine Impfung, sondern man arbeitet einen Impfplan ab. Es wird derzeit nicht empfohlen, den Lebendimpfstoff mit anderen Lebendimpfstoffen zu koadministrieren. Insofern hat man ein Problem, wenn man zum Beispiel gegen Gelbfieber, Dengue und Chikungunya impfen muss. Auch das Zeitfenster zur Reise spielt eine Rolle und die notwendige Dauer des Schutzes. Wenn genügend Zeit ist, kann die Lebendimpfung bevorzugt werden, um eine robuste lang anhaltende Immunität zu haben.
Vielen Dank für dieses Gespräch!
*Anmerkung der Redaktion: Am 22.08.2025 setzte die US-Behörde FDA aufgrund einer Neubewertung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses die Zulassung des Lebendimpfstoffes aus. Eine neue Stellungnahme der EMA gab es bei Redaktionsschluss noch nicht (Quelle: https://www.fda.gov/safety/).
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