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Dermatologie

Hereditäres Angioödem

Leben mit Todesangst

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer

28.4.2022

Beim hereditären Angioödem leiden die Betroffenen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Oft geraten sie dabei in einen Teufelskreis: Die Angst vor einem neuen Schub löst einen Schub aus. Neben medikamentösen Therapien muss daher dringend auch die Psyche im Blick behalten werden.

Das hereditäre Angioödem (HAE), das auf einem quantitativen oder funktional bedingten C1-Esterase-Inhibitor-Mangel beruht, ist durch Schwellungen an der Haut, den Schleimhäuten der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts gekennzeichnet. Gelegentlich ist auch das Zentralnervensystem betroffen mit Kopfschmerzen sowie mitunter auch mit Aphasie und Hirndrucksymptomen.

Pathogenetisch führt der Enzymmangel dazu, dass das für die Schwellungen verantwortliche Gewebehormon Bradykinin nicht ausreichend abgebaut wird. Von Ausnahmen abgesehen wird das HAE autosomal-dominant vererbt. Mit einer Prävalenz von etwa 1 : 150 000 gehört es zu den seltenen Erkrankungen, von denen Frauen und Männer etwa gleich häufig betroffen sind. Zum Zeitpunkt der Diagnose liegt der Altersmedian bei 29 Jahren, wobei viele Betroffene zu diesem Zeitpunkt schon fast 20 Jahre mit der Erkrankung leben. Die Symptome, massive, meist das Gesicht und die Extremitäten betreffende und als entstellend erlebte Schwellungen, werden als besonders belastend empfunden.

Körper und Geist – stark verknüpft

Die besonders hohe psychische Belastung der HAE-Kranken beruht weniger auf den schmerzhaften Schwellungen der Haut und der Schleimhäute mit Erbrechen, Diarrhoe und Koliken, sondern vor allem beeinträchtigt sie die Schleimhautschwellung der oberen Atemwege mit der Folge eines lebensbedrohlichen Larynxödems. Zwischen den ersten Atemwegssymptomen und einer bedrohlichen Dyspnoe liegen oft nur wenige Stunden, bei manchen Patienten nur zwanzig Minuten. Besonders gefährdet sind Betroffene, bei denen die Erkrankung noch nicht diagnostiziert wurde und bei denen die Schwellung auf andere Ursachen, beispielsweise eine Allergie, zurückgeführt wird. Aber auch mit gesicherter Diagnose leben die Betroffenen stets mit dem Damoklesschwert eines potenziell lebensbedrohlichen Verlaufs, das über ihnen schwebt.

Für die Akutbehandlung, die „On-Demand-Behandlung“, stehen C1-Esterase-Inhibitoren zur Verfügung, die intravenös appliziert werden müssen. Zusätzlich  ist der Wirkstoff Icatibant, ein Bradykinin-Rezeptor-Antagonist, verfügbar, den sich Betroffene selbst subkutan injizieren können. Bei häufigen Attacken kommt auch eine Prophylaxe mit modifizierten ­Androgenen wie Danazol und Stanozolol in Betracht. Zu beachten ist, dass sich diese Hormone auf die Psyche auswirken können, was sich in Stimmungsveränderungen, Agitation und Insomnie äußern kann.

In einer neueren Metaanalyse psychologischer Bedingungsfaktoren und Folgeerkrankungen wurde deutlich, dass 85 % der von HAE Betroffenen unter Erstickungsangst leiden – bei der hohen Letalitätsrate von 30 % eine durchaus begründete Furcht. Häufig besteht auch Angst vor starken Schmerzen oder davor, die Erkrankung an Nachkommen zu vererben. Die Auswirkungen des HAE auf die Teilhabe am Arbeitsleben sind gravierend, Betroffene sind an 20 bis 100 Tagen im Jahr arbeitsunfähig. Dementsprechend sind diese Personen auch in ihren sozialen Aktivitäten eingeschränkt.

Psychologische Hilfe

Aus psychologischer Sicht sind die Unkontrollierbarkeit, die Unvorhersagbarkeit sowie ein geringes Gefühl von Selbstwirksamkeit im Umgang mit der Krankheit verantwortlich für den hohen Beeinträchtigungsgrad, die geringe Lebensqualität sowie die hohe Komorbidität von Depressionen und Angststörungen. Da ein Krankheitsschub durch emotionalen Stress auslösbar ist, baut sich bei manchen Patienten ein Teufelskreis auf, mit der Folge, dass ein neuer Schub allein durch die Furcht davor ausgelöst wird. Untersuchungen zeigten, dass die subjektiv empfundenen Stresswerte bei den von HAE Betroffenen signifikant höher liegen als in Vergleichsstichproben. Besonders hohe Level an Stress, Angst und innerer Anspannung finden sich bei Kindern und Jugendlichen. Möglicherweise liegt dies an der massiven Beeinträchtigung des Selbstwerts durch die Schwellung sichtbarer Körperteile sowie an einem gering ausgeprägten Coping mit Unsicherheit über Auslösefaktoren und individuellen Krankheitsverlauf. Auch eine defizitäre Fähigkeit zur Emotions- und Selbstwahrnehmung sowie zur Affektmodulation könnte Häufigkeit und Intensität der Krankheitsschübe beeinflussen. Bei Kindern und Jugendlichen mit HAE wurde eine Häufung von Alexithymie festgestellt, also eine Unfähigkeit, Emotionen differenziert wahrzunehmen und zu ­verbalisieren. Ungeklärt ist, ob diese Störung als Wahrnehmungsabwehr potenzieller emotionaler (Schub-)Auslöser eine Rolle spielt.

Bei Erwachsenen mit HAE führen ein erhöhtes Maß an negativer Emotionalität, die somatischen und psychosozialen Krankheitsfolgen sowie der Einfluss der Krankheit auf Partnerschaft und soziale Beziehungen zu einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität. Durch die ständige Furcht, oft auch Todesangst, sind Berufswahl, Partnerschaft und Kinderwunsch stark eingeschränkt, mit der Folge zusätzlicher Krankheitslast. Sind die Extremitäten von den Schwellungen betroffen, kann die Bewegungsfähigkeit so eingeschränkt sein, dass daraus eine Pflegebedürftigkeit resultiert. Die Folge sind nicht nur Gefühle wie Hilflosigkeit und Abhängigkeit, sondern auch Verzweiflung bis hin zur Suizidalität.

Ein Ziel der Psychotherapie der von HAE Betroffenen ist der Umgang mit dieser potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung in Analogie zur Psychoonkolo­gie. Die Identifizierung individueller Auslöse- und ­Aufrechterhaltungsfaktoren kann helfen, die Vorhersagbarkeit und damit auch die Kontrolle über die Erkrankung zu erhöhen. Sehr wichtig ist es, die ­Affektregulation der Betroffenen durch strukturbezogene Verfahren zu verbessern, mit dem Ziel, emotionale Trigger zu reduzieren und das allgemeine Stressniveau zu senken.

FAZIT: Bei HAE hat die Arzt-Patienten-Kommunikation einen besonderen Stellenwert. Ein wichtiges Ziel ist es, die Furcht vor Krankheitsschüben zu minimieren und das Gefühl der Selbstwirksamkeit zurückzugeben. Eltern betroffener Kinder und Jugendlicher sollten über medizinische und psychotherapeutische Aspekte aufgeklärt werden. Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität ist die prophylaktische medikamentöse Behandlung der On-Demand-Therapie überlegen.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

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