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Allgemeinmedizin

Fettleibigkeit

Herausforderungen bei adipösen Frauen und Männern

Dr. Bianca-Karla Itariu, PhD, und Univ.-Prof. Dr. med. Alexandra Kautzky-Willer

3.10.2023

Adipositas tritt bei beiden Geschlechtern auf: Männer sind in jüngeren Jahren stärker betroffen, Frauen vor allem mit zunehmendem Alter, insbesondere nach der Menopause. Die Fettverteilung ist bei Erwachsenen unterschiedlich, wobei die „Birnenform“ Frauen eigentlich einen gesundheitlichen Vorteil verschaffen sollte.

Wie fast jede chronische Erkrankung betrifft ­Adipositas beide Geschlechter. Bei der Entstehung, den gesundheitlichen und psychosozialen Auswirkungen und in der Behandlung der Adipositas finden sich allerdings deutliche Genderunterschiede.

Frauen haben bis zu 40 % mehr Fettgewebe als Männer und verbrennen weniger Energie. Wesentlich ist auch die unterschiedliche Fettverteilung, wobei jüngere Frauen mit mehr Fettmasse an Oberschenkeln und Hüfte im Gegensatz zu Männern mit mehr Fettmasse am Rumpf gesundheitlich im Vorteil sind. Dies ist vor allem auf biologische Unterschiede (Geschlechtschromosomen und Sexualhormone) zurückzuführen und geht mit einer höheren Fettspeicherkapazität bei Frauen einher, die den Energiebedarf während einer möglichen Schwangerschaft und Stillzeit abdeckt. Diese höhere Fettmasse kann auch als Schutz vor Infektionen oder anderen Erkrankungen dienen und die Resilienz des weiblichen Körpers gegenüber bestimmten Krankheiten verbessern.

Interessanterweise schneiden Frauen historisch in Zeiten der Krisen und Hungersnot besser ab als Männer:  Während einer fast europaweiten Hungersnot im Jahr 1771 zeigten schwedische Volkszählungsdaten beispielsweise, dass die Lebenserwartung bei Frauen von 35,2 Jahren (vor der Krise) auf 18,9 Jahren (während der Krise) fiel, aber immer noch höher als bei Männern blieb – 32,3 Jahre vor der Krise und 17,2 Jahre während der Krise [1,2].

Höherer sozialer Druck bei Frauen

Auf der anderen Seite kann die höhere Fettmasse auch eine Prädisposition für die Entwicklung von Adipositas sein. Und Frauen mit Adipositas sind heutzutage mit einem stärkeren Druck konfrontiert, bestimmten (schlanken) körperlichen Normen zu entsprechen, als Männer. Das kann dazu führen, dass Frauen eher drastische Methoden zur Gewichtsreduktion ausprobieren bzw. sich für Therapien wie einen Magenbypass aus rein ästhetischen Gründen entscheiden, gemäß „cultural desire for thinness“. Bei Männern sind meist körperliche Komplikationen der Adipositas für eine bariatrische Chirurgie vorrangig, weswegen eher von „metabolischer Chirurgie“ gesprochen wird.

Obwohl Männer und Frauen ähnliche Gesundheits­ri­si­ken durch Adipositas haben, können bestimmte Kompli­kationen geschlechtsspezifisch unterschiedlich auftreten: z. B. haben Frauen ein ­erhöhtes Risiko für polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS) und Menstruati­onsstörungen, Fertilitätsstörungen und Gestationsdiabetes sowie andere Schwangerschaftskomplikationen bis zu mehr Fehlbildungen, während adipöse Männer mit Erektionsstörungen und/oder Testosteronmangel konfrontiert werden. Zudem ­sinken die Fertilität und die Spermienqualität.

Hormonelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen könnten auch das Abnehmen beeinflussen. Beispielsweise können Hormone wie Estrogen den Stoffwechsel und die Fettverteilung beeinflussen, wodurch Frauen möglicherweise schwieriger Gewicht verlieren. Außerdem kann der Menstruationszyklus mit Gewichtsschwankungen einhergehen, was die Wahrnehmung des Abnehmerfolgs beeinflussen kann. Zudem sind Frauen von „emotional eating“ stärker betroffen und können Hungergefühle schlechter unterdrücken. Bei Männern hingegen könnte das Hormon Testosteron den Abbau von Fettgewebe und den Muskelaufbau begünstigen, was möglicher­weise zu einer besseren Reaktion auf körperliche Aktivität und Diät führt.

Männer zögern eher eine Behandlung heraus

Adipositas ist besonders bei Frauen und jüngeren Menschen mit einem höheren Risiko für psychische Probleme und psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen verbunden, wobei Adipositas meist den anderen Erkrankungen vorausgeht [3].

Studien zur Behandlung von Adipositas (egal ob es sich um Medikamenten-Studien oder bariatrisch-metabolische Chirurgie handelt) weisen häufig eine deutlich höhere Beteiligung von Frauen auf (um die 70 % Frauenanteil ist die Norm). Dies liegt wahrscheinlich an einer höheren Bereitschaft, therapeutische Interventionen zu suchen. Männer hingegen zögern oft, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, bis ihre Erkrankung durch mehrere Komplikationen gezeichnet ist. Aber nicht ausschließlich: Bei der SELECT-Studie (ClinicalTrials.gov: NCT03574597), die Ende des Jahres erscheinen soll, ist die Ratio ­Männer : Frauen umgekehrt. Das liegt wohl daran, dass Patienten für den Einschluss ein höheres kardiovaskuläres Risikoprofil erfüllen mussten.

Laut einer britischen Studie, die elektronische Patientenakten zwischen 2004 und 2014 auswertet, war die jährliche Wahrscheinlichkeit, das Körper­gewicht allein durch Ernährung und Lebensstil auf ein normales Maß zu reduzieren, bei Männern 1 zu 210 und bei Frauen 1 zu 124. Bei einem BMI zwischen 40 und 45 lag die Wahrscheinlichkeit bei 1 zu 1 290 für Männer und 1 zu 677 für Frauen [4].

Die bis dato effizienteste Therapieform – die metabolisch-bariatrische Chirurgie – wird von Männern tendenziell später in Anspruch genommen als von Frauen. Dadurch könnten Männer ein höheres Risiko für Komplikationen nach der Operation haben und eine erhöhte Mortalität aufweisen [5]. Die neuen medikamentösen Therapieoptionen wie GLP-1-­Analoga, die bei Frauen sogar etwas stärkere Therapieeffekte zeigten, und in Zukunft duale Inkretinmimetika oder Triple-Agonisten, könnten in der Adipositastherapie ein Gamechanger werden.

Es ist also entscheidend, geschlechtsspezifische Unterschiede zu berücksichtigen, um die Gesundheitsversorgung für Menschen mit Adipositas zu verbessern und effektivere Therapieansätze zu entwickeln. Für zukünftige Adipositasstudien sind Genderaspekte essenziell, um die Ergebnisse so gut wie möglich in der Praxis nutzen zu können.

Die Autorin

Dr. Bianca-Karla Itariu, PhD
Medizinische Universität Wien, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel

bianca.itariu@meduniwien.ac.at

Die Autorin

Univ.-Prof. Dr. med. Alexandra Kautzky-Willer
Medizinische Universität Wien, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel Institut für Gender Medizin Gars am Kamp

alexandra.kautzky-willer@meduniwien.ac.at

1 Zarulli V et. al., Proc Natl Acad Sci USA 2018; 115: E832–E40, DOI 10.1073/pnas.1701535115
2 Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. Human Mortality Database, 2023; www.mortality.org/
3 Leutner M et al., Transl Psychiatry 2023; 13: 175, DOI 10.1038/s41398-023-02447-w
4 Fildes A et al., Am J Public Health 2015; 105: e54–9, DOI 10.2105/AJPH.2015.302773
5 Beiglböck H et al., Obes Surg 2021; DOI 10.1007/s11695-021-05763-6

Bildnachweis: Alexander Jürets; privat

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