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Fokus Naturmedizin

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Leitlinien: komplementäre Therapien bei CED

Birgit Matejka

16.11.2021

Naturheilkundliche und komplementärmedizinische Behandlungsverfahren für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) erfreuen sich bei den Betroffenen großer Beliebtheit. Auch in den medizinischen Leitlinien haben sie inzwischen einen festen Platz.

Immer mehr und immer jüngere Menschen erkranken an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mit den zwei klassischen Vertretern Morbus Crohn und Colitis ulcerosa [1]. Und obwohl inzwischen eine breite Palette an pharmakologischen Behandlungsoptionen zur Verfügung steht, um die Beschwerden zu lindern oder im besten Fall zu beseitigen und die beschwerdefreien Phasen zu verlängern, wendet in Deutschland mindestens die Hälfte der CED-Patienten komplementäre oder alternative Behandlungen an [2]. Denn nicht alle Betroffenen sprechen ausreichend auf die leitliniengerechte Pharmakotherapie an oder sie leiden unter starken Nebenwirkungen. Zudem werden psychische und soziale Faktoren, die bei CED eine relevante Rolle im Krankheitsgeschehen spielen, im Zuge der Behandlung oftmals zu wenig beachtet.

Am häufigsten vertrauen die Betroffenen auf Homöopathie, Phytotherapie, traditionelle chinesische ­Medizin (TCM), aber auch Diäten, Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel. Allerdings fühlen sich nur 25 % der Patienten ausreichend über komplementäre Verfahren aufgeklärt. Andererseits informieren mehr als 30 % ihre Ärzte nicht über die Anwendung komplementärer Heilmethoden [2]. Deshalb ist es wichtig, dass sich Ärzte und Patienten darüber austauschen, damit Letztere auch über die potenzielle Wirksamkeit und Sicherheit komplementärmedizinischer Präparate informiert sind.

Eine Ergänzung, kein Ersatz

Auch in den aktualisierten S3-Leitlinien für Morbus Crohn (2021) [3] und Colitis ulcerosa (2020) [4] werden inzwischen unter bestimmten Bedingungen einige komplementärmedizinische Verfahren befürwortet, allerdings nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu konventionellen Standardtherapien. Dazu gehören etwa achtsamkeitsbasierte Verfahren zur Stressreduktion, aber auch Yoga, traditionelle chinesische Medizin einschließlich Akupunktur und Phytopharmaka. Ziele der Komplementärmedizin sind zumeist eine Verringerung von Nebenwirkungen, die Verbesserung der Lebensqualität und/oder eine verbesserte Behandlung bei unbefriedigender Wirksamkeit der konventionellen Therapie.

Bei den pflanzlichen Präparaten existieren positive Studiendaten zu Flohsamen und zu einer Kombination aus Myrrhe, Kamillenblütenextrakt und Kaffeekohle in der remissionserhaltenden Behandlung ­sowie zu Curcumin in der Remissionsinduktion und -erhaltung. Curcumin steht in Deutschland aber nicht als Arzneimittel, sondern lediglich als Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung.


Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle – ein starkes Team

Bereits seit mehr als 60 Jahren werden pflanzliche Arzneimittel mit Myrrhe zur unterstützenden Behandlung von Magen-Darm-Störungen eingesetzt, besonders wenn diese mit Durchfall, Blähungen und Krämpfen einhergehen (> Gastroenterologie). Als besonders effektiv hat sich die Myrrhe in Kombination mit Kamille und Kaffeekohle erwiesen. Die Kaffeekohle wird dabei durch eine spezielle Röstung verschiedener Kaffeesorten gewonnen.

In einer randomisierten, doppelblinden, Double-Dummy-Studie wurde die pflanzliche Kombination aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle mit der Standardtherapie Mesalazin zum Remissionserhalt bei Colitis ulcerosa verglichen. Eingeschlossen wurden insgesamt 96 Patienten mit Colitis ulcerosa in der klinischen Remission, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Für einen Zeitraum von zwölf Monaten erhielten die Patienten entweder einmal täglich 500 mg Mesalazin oder dreimal täglich eine orale Präparation aus 100 mg Myrrhe, 70 mg Kamillenextrakt und 50 mg Kaffeekohle. Es zeigte sich während des gesamten Studienzeitraums kein signifikanter Unterschied im Colitis-Aktivitätsindex (CAI nach Rachmilewitz) zwischen der Mesalazin- und der Phytopharmakon-Gruppe. Auch hinsichtlich des sekundären Zielkriteriums, der Rezidivrate, unterschieden sich die beiden Gruppen nicht signifikant. Beide Präparate erwiesen sich als verträglich und sicher [5].

Eine weitere Publikation der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München konnte bestätigen, dass die Arzneipflanzen Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle gastrointestinale Spasmen lindern können. Auf ­welche Weise Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle bei Magen-Darm-Erkrankung helfen, haben erst kürzlich Forscher der Universität Leipzig in einer Studie herausgefunden [6].

Mithilfe eines komplexen Zellkulturmodells der entzündeten Darmschleimhaut simulierten sie im Labor Entzündungsvorgänge und Barrierestörungen der Darmschleimhaut und untersuchten, wie sich die drei Arzneipflanzen darauf auswirkten. Dabei beobachteten die Forscher, dass ­Myrrhe-, Kaffeekohle- und Kamillenblütenextrakt die Freisetzung von Entzündungsbotenstoffen aus Darm- und Immunzellen hemmen und dadurch Entzündungsprozessen im Darm entgegenwirken. Myrrhe und Kaffeekohle steigern außerdem die schützende Wirkung der Darmbarriere. Die Effektstärken waren im Labormodell vergleichbar mit denen der Referenzsubstanz Budesonid. Außerdem beobachteten die Forscher, dass sich die Arzneipflanzen sowohl bei der Entzündungshemmung als auch der Stabilisierung der Darmbarriere gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken. Die vielen positiven Ergebnisse aus der Forschung haben dazu geführt, dass die drei Pflanzen auch in die aktuelle deutsche Behandlungsleitlinie für Colitis ulcerosa aufgenommen wurden.


Kurkuma taugt nicht nur als Gewürz

Ähnliche antientzündliche Eigenschaften wie die der Myrrhe werden auch dem indischen Gewürz ­Kurkuma beziehungsweise dem darin enthaltenen Wirkstoff Curcumin zugesprochen. In einer Studie mit Patienten mit Colitis ulcerosa zeigte sich eine Senkung der entzündlichen Botenstoffe im Körper. Für die Therapie mit Curcumin komplementär zu einem Aminosalicylat liegen Studien mit positiven Ergebnissen in der Remissionsinduktion sowie ­-erhaltung vor. In einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Multicenterstudie wurden 45 Patienten mit ­Colitis ulcerosa in der remissionserhaltenden Therapie 2 000 mg Curcumin täglich komplementär zu Sulfasalazin oder Mesalazin gegeben. Nach sechs ­Monaten zeigte sich ein signifikanter Unterschied zu den 44 Patienten aus der Placebogruppe im Hinblick auf die Häufigkeit von Rezidiven, dem ­klinischen Aktivitätsindex (CAI) und einem endoskopischen Index zugunsten der Verumgruppe zum Therapieende [7].

Flohsamenschalen – mehr als ein Quellstoff

In den deutschen S3-Leitlinien für die Therapie der Colitis ulcerosa werden auch die Schalen des Indischen Flohsamens (Plantago ovata) empfohlen. Sie wirken auf zweifache Weise. Zum einen binden Flohsamen in feinvermahlener Form das Vierzigfache des eigenen Volumens an Wasser. Das führt zu einer Vergrößerung des Darminhalts und löst den Reflex der Darmentleerung aus. Zum anderen entstehen bei der Fermentierung von Flohsamen durch Mikrobiota kurzkettige, antiinflammatorische Fettsäuren wie Butyrat und Acetat, die das Darmimmunsystem positiv beeinflussen (> Mikrobiom). Der pflanzliche Ballaststoff wird deshalb nicht nur gerne als Quellstoff gegen Obstipation eingesetzt, sondern unterstützt darüber hinaus die ­Remissionserhaltung bei Colitis ulcerosa – und zwar ähnlich gut wie die Standardmedikation Mesalazin [8].

In einer offenen, randomisierten Studie erhielten 105 Patienten mit Colitis ulcerosa, die sich gerade in Remission befanden, entweder ein Präparat mit Flohsamenschalen, Mesalazin oder Mesalazin plus Flohsamenschalen. Nach zwölf Monaten betrug die Rückfallrate in der Flohsamen-Gruppe 40 %, in der Mesalazin-Gruppe 35 % und in der Gruppe, die beides erhalten hatten, 30 %. Im Remissionserhalten hatten sich die Flohsamenschalen und Mesalazin als ähnlich wirksam erwiesen. Zudem wurde im Tierversuch eine Reduktion verschiedener Entzündungsmediatoren wie Leukotrienen und des TNF-α nachgewiesen. Ebenso konnte ein wachstumsfördernder Effekt auf Lactobacillus acidophilus und Bifidobakterien nachgewiesen werden, welche in der Darmflora Colitis ulcerosa Erkrankter pathologisch reduziert sein können [9].

Fehlende Datenlage bei Anthocyanen

Auch Anthocyane, die in großen Mengen in Heidelbeeren vorkommen, besitzen antiinflammatorische und antioxidative Wirkungen. Eine offene Pilotstudie konnte belegen, dass bei leichter bis mittelschwerer Colitis ulcerosa ein täglich verabreichtes standardisiertes Anthocyan-reiches Blaubeerpräparat nach sechs Wochen bei 63,7 % der Patienten zu einer ­Remission und bei 90,9 % zu einem Ansprechen führte [10]. Sie werden in den Leitlinien aufgrund der noch nicht ausreichenden Datenlage allerdings noch nicht empfohlen.

Das Expertenstatement

Univ.-Prof. Dr. med. Jost Langhorst

Chefarzt
Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde
am Klinikum am Bruderwald
Sozialstiftung Bamberg
Klinikum Bamberg

Ganzheitlicher Ansatz – mehr Lebensqualität

Ergänzende Behandlungsmethoden wie Stress­mana­gement und Entspannungsverfahren, aber auch die Ernährung gewinnen in der Behandlung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zunehmend an Bedeutung. Man weiß inzwischen, dass eine pflanzenbasierte Vollwertkost Entzündungen im Körper positiv beeinflussen kann. Die Leitlinien empfehlen die Phytopharmaka Kurkuma, Flohsamenschalen und die Kombination aus ­Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle zum Erhalt der Remission. Im besten Fall lindern sie auch Symptome der Darmerkrankung. In eigenen Studien konnte zudem nachgewiesen werden, dass Yoga die Lebensqualität verbessert.

Ziel ist es, mit einem ganzheitlichen Konzept, das neben den bereits genannten komplementär­medizinischen Ansätzen auch naturheilkundliche Selbsthilfestrategien berücksichtigt, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und Einfluss auf die Krankheitsaktivität zu nehmen. Damit lässt sich die CED ebenso wenig heilen wie mit den zur Verfügung stehenden Pharmakotherapien. Möglich ist allerdings eine Kontrolle der Symptome und der Entzündung. Komplementäre Verfahren sind ein wichtiger, unabhängiger Therapieansatz, um den Patienten eine gute Lebensqualität und einen selbstbestimmten Alltag zu ermöglichen.

FAZIT:

Komplementärmedizinische Anwendungen ­haben in der Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ihre Berechtigung. Achtsamkeitsbasierte Verfahren zur Stressreduktion, Yoga und die traditionelle chinesische Medizin einschließlich der Akupunktur finden in den Leitlinien als begleitende Therapie Berücksichtigung. In der Remissionserhaltung zeigt sich z. B. eine Kombination aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle dem Standardtherapeutikum Mesalazin als ebenbürtig. Dennoch stellt die Naturmedizin hier keinen Ersatz dar, findet aber als Add-on Anwendung. So zeigt Kurkuma in Kombination mit Aminosalicylaten (Mesalazin) in ersten vielversprechenden Ergebnissen, dass es die klinische Aktivität oder die Häufigkeit von Rezidiven reduzieren kann.

1) Jacobsen BA et al., Europ J Gastroenter Hepatol 2006; 18: 601–606
2) Langhorst J et al., Inflamm Bowel Dis 2005; 11: 287–295
3) Sturm A et al., Aktualisierte S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), August 2021 – AWMF-Registernummer: 021-004
4) Kucharzik T et al., Z Gastroenterol 2020; 58: 241–326
5) Langhorst J et al., Aliment Pharmacol Ther 2013; 38: 490–500
6) Weber L et al., Biomolecules 2020; 10: 1033
7) Hanai H et al., Clin Gastroenterol Hepatol 2006; 4: 1502–1506
8) Fernández-Bañares F et al., Am J Gastroenterol 1999; 94: 427–433
9) Richert J, epubli, Berlin 2014, ISBN 978-3-8442-8205-4
10) Montrose DC et al., Carcinogenesis 2011; 32: 343–350

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