Die natürliche Familienplanung erfährt durch Zyklus-Apps ein Revival in digitaler Form. Doch wie sicher und alltagstauglich ist die Verhütung mit Zyklus-Apps wirklich? Prof. Harald Meden, niedergelassener Gynäkologe und Vorsitzender der NATUM e. V., schildert im Gespräch seine Erfahrungen aus der Praxis.
Im Gespräch:
Prof. Dr. med. Harald Meden
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
1. Vorsitzender der NATUM e. V.
Herr Prof. Meden, haben Sie Veränderungen zum Thema Verhütung in Ihrer Praxis beobachtet?
Ja, es kommen immer mehr Frauen mit dem Wunsch nach hormonfreier Verhütung in meine Sprechstunde. Das entspricht einem aktuellen Trend. Immer mehr Frauen informieren sich im Internet über die Vorteile, Nachteile und Risiken einzelner Verhütungsmethoden und möchten das dann gezielt so umsetzen, meist in eigener Regie.
Worin sehen Sie die Gründe?
Ein Teil der Frauen befürchtet unerwünschte Wirkungen bei hormoneller Verhütung. Ein weiterer Grund ist der Wunsch, den eigenen Körper in seiner Natürlichkeit spüren zu wollen, insbesondere im emotionalen Bereich. Als dritten Grund sehe ich den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung zum Thema Verhütung.
Welche Verhütungsmethoden werden anstelle hormoneller Verhütung in erster Linie vermehrt eingesetzt?
Insbesondere Kondome und symptothermale Methoden werden vermehrt verwendet, einzeln oder in Kombination. Zunehmend werden dabei auch Apps eingesetzt.
Wie ist die derzeitige Studienlage zur kontrazeptiven Sicherheit von Zyklus-Apps?
Es gibt zahlreiche Zyklus-Apps und zahlreiche Studien dazu. Diese Apps haben unterschiedliche Funktionen. Man kann die Zykluslänge individuell eingeben – und es erfolgt eine Vorhersage des Eisprungs sowie der fruchtbaren Tage. Ein Teil der Apps hat weitere Funktionen. Die Verhütungssicherheit von Apps wird in den meisten Studien als moderat bewertet. In Studien wird gefordert, dass in die Entwicklung dieser Apps mehr medizinisches Fachwissen einfließen sollte. Empfohlen wird, dass medizinische Fachpersonen sich zunächst selbst mit der Struktur und der Handhabung solcher Apps beschäftigen sollten, bevor sie diese empfehlen.
Was können Sie zur Verknüpfung von Zyklus-Apps mit kommerziellen Interessen sagen?
Bei einer Analyse von 60 Zyklus-Apps zeigten sich in jeder dritten App Inserate. Bei 71 % der 60 untersuchten Zyklus-Apps wurden persönliche Daten der Nutzer an Dritte weitergeleitet.
Welche praktischen Erfahrungen haben Sie und Ihre Patientinnen gemacht?
Der klassische Zykluskalender wird nicht mehr auf Papier geführt, sondern im Smartphone. Mit dem Aufkommen von Zyklus-Apps wurde die Nutzung der einfachen Kalenderfunktion durch Apps ersetzt. In Apps wird ergänzend zur dortigen kalendarischen Dokumentation zunehmend die Vorhersage des Eisprungs genutzt und die Vorhersage der nächsten Menstruation. Ein Teil der Frauen kombiniert die Funktionen ihrer Zyklus-App mit anderen Methoden der hormonfreien Verhütung.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele App-Anwenderinnen die Genauigkeit und die Sicherheit dieses Konzepts überschätzen. Den Zyklus zu dokumentieren und die fruchtbaren Tage anzuzeigen, schafft keine hinreichende Verhütungssicherheit. Auch die statistische Erfassung der früheren Blutungstage bietet wenig zusätzliche Sicherheit. Auch das Reisen in andere Zeitzonen kann die fruchtbaren Tage verschieben.
Für welche Patientinnengruppen halten Sie Zyklus-Apps für geeignet bzw. nicht geeignet?
Zyklus-Apps können grundsätzlich zur Verhütung oder zur Familienplanung eingesetzt werden. Da die Verhütungssicherheit der meisten Apps nur moderat ist, sehe ich den größeren Nutzen bei Frauen mit Kinderwunsch. Die Anwenderinnen lernen dadurch meist viel über ihren Zyklus und damit verbundene Körperfunktionen.
Zyklus-Apps gewinnen aber auch für die natürliche Familienplanung an Bedeutung, wenn sie mit Elementen der symptothermalen Methodik ergänzt werden. Die Kombination mit der Messung der Basaltemperatur und der Erfassung des Zervixschleims in Zyklusmitte ist für diese Frauen vorteilhaft. Die zusätzliche Kombination mit der LH-Messung im Urin erlaubt eine noch bessere Planung des Verkehrs zum optimalen Zeitpunkt. Eine Besonderheit ist die intravaginale Messung der Basaltemperatur und die Übertragung der Messdaten in eine spezielle App. Mit dieser Technik lassen sich Messfehler und Dokumentationsfehler sowie Übertragungsfehler der klassischen Messung der Basaltemperatur umgehen.
Nicht gut geeignet sind Zyklus-Apps aus meiner Sicht bei Frauen mit sehr unregelmäßigen Zyklen und bei Frauen mit unregelmäßigem Schlafrhythmus, beispielsweise durch Nachtarbeit oder häufige Reisen in verschiedene Zeitzonen.
Wie schätzen Sie die zukünftige Rolle digitaler Tools in der Verhütungsberatung ein?
Die derzeit verfügbaren digitalen Tools zur Verhütungsberatung werden sicher optimiert werden und sich zunehmend verbreiten. In der frauenärztlichen Sprechstunde sollten wir bei Beratungen zur Verhütung auch Zyklus-Apps thematisieren. Dabei sollte zunächst über die nur moderat vorhandene Sicherheit informiert werden. Zudem sollte im individuellen Beratungsgespräch erfasst werden, bei welchen Frauen digitale Tools nicht vorteilhaft eingesetzt werden können. Der Beratungsbedarf in der frauenärztlichen Sprechstunde zur Verhütung mithilfe digitaler Tools wird zunehmen, insbesondere bei Frauen, die zur Frage digitaler Tools bereits Doktor Google und Professor IT konsultiert haben. Die so gewonnenen Informationen können für die Frauen hilfreich sein, die ärztliche Beratung aber nicht ersetzen.
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Bildnachweis: privat