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Fokus Naturmedizin

Bakterien bei Atemwegsinfekten

Immunsystem natürlich stimulieren

Richard Kessing

In der Schleimhaut der Atemwege befinden sich Bakterien in hoher Diversität, was das Immunsystem stärkt. Reduzieren sich Vielfalt und damit der Immunschutz, können Bakterienstämme für einen Ausgleich sorgen und vor Infekten schützen, wie einige Studien zeigen.

Nur wenige pathogene Erreger wie Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae, so die bisher einhellige Meinung, bedingen wiederkehrende Atemwegserkrankungen. Diese Bakterien kommen häufig aber auch als harmlose Bewohner der oberen Atemwege bei Gesunden vor. Denn auch die Schleimhaut der Atemwege bietet Lebensraum für ein kompliziertes ökologisches Netzwerk aus vielen harmlosen Bakterien, Viren und Pilzen. Die Mikrobiota interagiert ständig mit dem Immunsystem, fördert und hemmt dabei entzündliche Immun-antworten – ein Gleichgewicht der Netzwerkaktivitäten ist daher von Vorteil.[1]

Bakterienvielfalt schützt vor Infektionen

Das Lungenmikrobiom weist zwar eine geringe Koloniedichte auf, besitzt aber eine hohe Diversität, was sich günstig auf Abwehrfunktion und Kolonisations­resistenz auswirkt. Denn durch Vielfalt kann die mikrobielle Gemeinschaft z. B. sämtliche Nährstoffe verwerten, sodass sie eindringenden pathogenen Erregern nicht zur Verfügung stehen. Oder die Bakterien besetzen sämtliche Nischen der Schleimhaut und hindern eindringenden Arten, sich anzuheften, zu vermehren und eine Infektion zu verursachen.[2] Einige pathologische Zustände führen jedoch zu einem Verlust dieser Vielfalt, wobei die Konzentrationen einiger Bakteriengattungen zum Nachteil anderer zunehmen.[3] So fördert eine Besiedlung mit Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus und Streptococcus pneumoniae die Entzündung der Schleimhaut und schwächt ihre Barrierefunktion. Aber auch virale Infektionen lösen Entzündungen aus, auf die konsekutiv eine Übersiedlung mit Bakterien folgen kann.

Bakterien setzen Impulse im Darm

Um die Immunität an allen Schleimhautbereichen zu stärken, wäre z. B. die Aktivierung des darmassoziierten Immunsystems durch Gabe von lebenden Bakterien eine Option. Denn bei der Entwicklung eines funktionstüchtigen Immunsystems kommt dem Darm eine besondere Rolle zu, weil hier die meisten Immunzellen und auch die Schaltzentrale des Immunsystems liegen. Auf dieser Ebene laufen komplexe Prozesse der spezifischen und unspezifischen Immunabwehr ab. Durch Anbindung an das Blut- und Lymphsystem ist das darmassoziierte Immunsystem über den Ductus thoracicus und den Blutstrom mit allen Schleimhäuten, z. B. Nasen-, Mund- oder Bronchialschleimhaut, immunologisch vernetzt und versorgt diese mit Antikörpern.[1] Darmbakterien nehmen also eine besondere Rolle ein. Sie dienen dem Immunsystem im Darm quasi als „Sparringspartner“, um die richtige Reaktion auf Fremdstoffe zu „trainieren“. Wie eine solche Stimulation des Abwehrverhaltens ablaufen könnte, fanden Japaner heraus. Wurden Versuchstiere mit mikrobiellen Antigenen traktiert, induzierte dies eine antigenspezifische mukosale und systemische Immunantwort. Durch die Immunisierung mit Streptococcus pneumoniae kam es u. a. zu einer Inhibition der Lungenkolonisation nach Intoxikation mit S. pneumoniae.[4] Ziel einer mikrobiologischen Therapie ist eine dauerhafte Stärkung und Stabilisierung des mukosaassoziierten Immunsystems. Untersuchungen mit speziellen Enterokokken-Stämmen in hoher Konzentration, wie Enterococcus-faecalis-Bakterien, ergaben bei Patienten mit chronischer Bronchitis eine deutlich verringerte Rezidivhäufigkeit im Vergleich zu Placebo.[5] Ein lyophilisierter, normierter Bakterienextrakt aus gleichen Teilen von Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae, Klebsiella pneumoniae ssp. pneumoniae und ssp. ozaenae, Staphylococcus aureus, Streptococcus pyogenes und sanguinis (viridans) sowie Moraxella führte bei prophylaktischer Einnahme bei älteren Menschen mit chronischer Bronchitis und gehäuften Atemwegsinfekten dazu, dass die Zahl von akuten Bronchitiden (nicht von Pneumonien) um bis zu 40 % gesenkt werden konnten.[6] In einer anderen Studie zur Prophylaxe von Infektionen der unteren Atemwege führte die Therapie mit einem durch bakteriell-mechanische Lyse (MLBL) erzeugten immunstimulierenden Lysat verschiedener Bakterienstämme zu signifikant weniger akuten Episoden als eine Behandlung ohne Immunstimulation.[7]

Neubewertung angemahnt

Trotz dieser Studienergebnisse werden longitudinale Ansätze, um mögliche Ursachen-Wirkungs-Beziehungen zwischen spezifischen Bakteriengattungen oder -arten und dem Risiko von möglicherweise auftretenden Infektionskrankheiten in Bezug auf die Gesundheit der Atemwege zu ermitteln, bemängelt.[1] Auch die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) beanstandet die Studienlage, insbesondere zur Behandlung von Atemwegserkrankungen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) kommt nun aber zu dem Ergebnis, dass es für die Prävention rezidivierender Infektionen gewisse Belege gäbe und auch das Sicherheitsprofil der Medikamente den Erwartungen entspreche. Daher sollen Bakterienlysate zur Prävention von Atemwegsinfektionen (außer bei Pneumonien) weiterhin zugelassen bleiben. Die Hersteller müssen jedoch bis 2026 weitere Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit aus neuen klinischen Studien vorlegen.[8]

[1] de Steenhuijsen Piters WAA et al., Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 2015; 370: 20140294
[2] Durack J et al., J Exp Med 2019; 216(1): 20–40
[3] Costa AN et al., J Bras Pneumol 2018; 44: 424–432
[4] Fujimoto K et al., Gastroenterology 2019; 157: 1530–1543.e4
[5] Habermann W et al., Arzneimittelforschung 2001; 51: 931–937
[6] Orcel B et al., Eur Respir 1994; 7: 446–452
[7] Rossi S et al., Arzneimittelforschung 2004; 54: 50–56
[8] www.ema.europa.eu/en/news/bacterial-lysate-medicines-respiratory-conditions-be-used-only-prevention-recurrent-infections

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