Phytotherapie aus dem Mittelmeerraum mit klinischer Evidenz: So zeigen sich die Extrakte von Artischocke und Mariendistel. Cynarine fördern den Gallenfluss und wirken cholesterinsenkend, Silymarin verringert die Transaminasen.
Artischocken, die distelartigen Gewächse aus der Familie der Korbblütler, sind fester Bestandteil der mediterranen Küche. Verzehrt werden die fleischigen Hüllblätter und der Blütenboden. Damit nimmt man Inulin auf, ein arttypisches Reservekohlenhydrat, das unverändert über die Niere ausgeschieden wird. Gekochte Artischocke verringert nachgewiesenermaßen die postprandiale glykämische und insulinämische Antwort.[1] Doch Cynara scolymus birgt weitere Überraschungen: Die behaarten Blätter am Stängel enthalten den Bitterstoff Cynarin. Bis zu 2 % des Kaffeesäurederivates finden sich, dazu 0,5 % Flavonoide und Sesquiterpenlactone. Die beiden Hauptbestanteile steigern die Produktion der Gallensäuren in der Leber und regen die Gallenblase an. Flavonoide modulieren gezielt die Resorption von Cholesterin und verlangsamen dessen Synthese. Dazu zeigte sich in Experimenten eine antioxidative und leberschützende Wirkung. Hepatozyten und Hepatomzellen wurden vor oxidativem Stress geschützt und die Lebensfähigkeit menschlicher Leberkarzinomzellen verringert. Dosisabhängig konnte der lebertypische Stressmarker Malondialdehyd gesenkt werden, ebenso die Aminotransferasen AST und ALAT im Blut.
In klinischen Studien fiel eine ausgeprägte choleretische Wirksamkeit auf, dazu lipid- und glykämiesenkende Effekte. So stimuliert Artischockenextrakt die Sekretion der Gallensäuren, senkt also auf physiologische Art das Cholesterin in Leber und Serum. Wie eine Studie zeigte, bewirkten täglich 1.280 mg Artischockenextrakt über zwölf Wochen einen statistisch signifikanten Unterschied im Gesamtcholesterin. Bei 131 Personen mit leichter bis mäßiger Cholesterinämie und Plasmawerten von 6,0–8,0 mmol Cholesterin/l wurde dieses im Durchschnitt um 4,2 % gesenkt; in der Kontrollgruppe stieg der Parameter dagegen um 1,95 % an.[2] Eine Metaanalyse (zwei Studien, 167 Patienten mit moderater Hypercholesterinämie) weist auf die signifikante Senkung des Gesamtcholesterins von 7,74 mmol/l auf 6,31 mmol/l (p
Artischockenextrakt stärkt die Gallensekretion, indem wichtige Enzyme und Funktionen in der Leber aktiviert werden und Regeneration sowie Durchblutung unterstützt werden. So war in einer Studie die Gallenausscheidung eine Stunde nach der Einnahme am größten und noch drei Stunden später nachweisbar. Das ist klinisch bedeutsam, sodass Artischocken auch bei einer Dyspepsie empfohlen werden, die auf Dyskinesen oder Fettabsorptionsstörungen beruht. Tatsächlich kam es bei 553 Patienten nach sechs Wochen mit täglich 1.125–2.250 mg Extrakt zu einer signifikanten Reduktion dyspeptischer Beschwerden; die Allgemeinsymptome verbesserten sich bei 70 % der Patienten. Im Vergleich zum Studienbeginn nahm bei 66 % der Meteorismus ab, bei 76 % der abdominelle Schmerz, bei 82 % die Nausea und bei 88 % die Übelkeit. Die Ärzte schätzten die Wirksamkeit in 87 % als gut oder sehr gut ein, mit einem durchschnittlichen Wert von 1,95 (Skala von 1 = sehr gut bis 5 = schlecht). Als leichte Nebenwirkungen traten Schwäche und Flatulenz auf.[6]
Kurz gefasst: In Beobachtungsstudien senkten Artischockenextrakte das Gesamtcholesterin um 7,5–13,3 %, die Triglyceride um 11 % und das LDL um 15,8 %. HDL-Cholesterin nahm um 6,3 % zu.7 Bei funktionellen Störungen der Gallenwege, zur Anregung der Gallenproduktion, bei dyspeptischen Beschwerden oder Dyskinesen empfiehlt sich zu Beginn ein Monopräparat mit täglich 600 mg Artischocken-Trockenextrakt. Die Behandlung ist zeitlich nicht begrenzt. Vorsicht bei einer Allergie auf Korbblütler, bei Gallensteinen oder Gallengangsverschluss. Wechselwirkungen mit Gerinnungshemmern (Cumarinen) sind möglich.
Leberschäden durch Virusinfektionen, toxische Substanzen oder Arzneimittel können allenfalls symptomatisch behandelt werden. Eine Option ist die Mariendistel – die auch zu den Korbblütlern gehört und ebenfalls am Mittelmeer heimisch ist. Bereits im 1. Jahrhundert schrieb Plinius der Ältere, dass eine Mischung aus Distelsaft und Honig für den Abtransport der Galle angezeigt sei. Nach der Erfahrungslehre von Johannes Rademacher wurde Silybum marianum dann im 18. Jahrhundert in Deutschland zur Behandlung von Lebererkrankungen eingesetzt. Die nussähnlichen Früchte wirken pharmakologisch. Sie enthalten 1,5 % Silymarin, ein Komplex aus den Flavonolignanen Silibinin, Silydianin und Silychristin. Dazu kommen Quercetin, 20–30 % fettes Öl und mehrfach ungesättigte Linol- und Ölsäuren. Die Wirkungen sind vielfältig (Abb.).[8] So stabilisiert der Silymarin-Komplex die Zellmembran (indem er die zerstörerische Lipidperoxidation unterbricht), hemmt Enzyme und wirkt antiphlogistisch (durch Hemmung des NF-KB-Weges). Silymarin erwies sich als antifibrotisch (verhinderte die Umwandlung von fettspeichernden Sternzellen in Myofibroblasten) und antioxidativ (als Radikalfänger). Schließlich wirkt Mariendistel hepatoprotektiv (unterdrückt die Zytokinfreisetzung) sowie regenerativ (durch Induktion von Struktur- und Funktionsproteinen in der Leber) – und nicht zuletzt choleretisch (reguliert den Gallensäure-Exporter BSEP herauf) sowie immunstimulierend (verhindert die Aktivierung des Inflammasoms, das auf Entzündungssignale hin gebildet wird).
Trotz dieser breiten leberspezifischen Wirkung sind die klinischen Daten für alkoholische Lebererkrankungen widersprüchlich, eine Evidenz mit hoher Qualität fehlt. Vielversprechender sind die Ergebnisse bei der nicht-alkoholischen Fettleber (NAFL). Hier wurden die Transaminasen signifikant gesenkt (mit täglich 140 mg über sechs Monate bzw. 210 mg über zwei Monate)[9] und die Fibrose reduziert (700 mg Silymarin pro Tag über ein Jahr)[10]. Wirksam war auch eine Kombination aus Silymarin und Vitamin E: Diese verbesserte das biochemische Profil und anthropometrische Parameter, den Lipid- und Glucosestoffwechsel sowie die Ultraschall-Scores bei einer Lebersteatose.[11] Ein antioxidativer Komplex mit 120 mg Silymarin, kombiniert mit der Mediterranen Diät, verbesserte die anthropometrischen Parameter und verringerte die Fettakkumulation und die Insulinempfindlichkeit.[12] In einer Metaanalyse mit acht randomisierten kontrollierten Studien und 587 Patienten verbesserte Silymarin die Leberfunktion, die Transaminasen nahmen ab.[13] Bei der Virushepatitis besteht keine klinische Evidenz, obwohl die Experimente positiv verliefen. So verhinderte Silybin in Hepatozyten eine Infektion mit Hepatitis C; Silymarin schwächte Prozesse ab, die in die T-Zell-Aktivierung, Proliferation und HIV-1-Infektion involviert waren. In einer Pilotstudie zu HIV erhöhte eine Infusion mit Silybin (20 mg/kg KG/Tag für zwei Wochen) vor der Triple-Therapie die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Hep-C-Behandlung. Bei den Patienten mit HIV/Hep-C-Koinfektion und fortgeschrittener Leberfibrose war zuvor eine Peginterferon-Ribavirin-Therapie gescheitert.[14] Auf Empirie beruht die Wirkung bei der Knollenblätterpilz-Vergiftung: Hier war eine zweistündige Infusion mit 5 mg/kg KG Silybin alle vier Stunden für drei bis vier Tage oder bis zur Normalisierung der Leberwerte erfolgreich. Zwar zeigen präklinische Studien beim hepatozellulären Karzinom (HCC) ermutigende Ergebnisse. So unterdrückten Silybin und Silymarin das Wachstum von Leberkarzinomzellen und verhinderten synergistisch mit Doxorubicin die Telomeraseaktivität in den Zellen.[15] Auch die Toxizität von Antitumorarzneimitteln wurde abgeschwächt.[16] In klinischen Studien wurde jedoch keine anti-HCC-Aktivität deutlich.[17]
Kurz gefasst: Die Evidenz von Mariendistelextrakten bei Lebererkrankungen überzeugt nicht völlig. Dazu passt ein systematisches Review, in dem die Serumwerte von ALT und ASAT minimal, jedoch klinisch nicht relevant verringert wurden. Anders bei der nicht-alkoholischen Fettleber: Hier zeigte sich eine leichte Evidenz für eine Wirksamkeit von Silybin. In den Leilinien NAFL wird Mariendistel jedoch nicht empfohlen. Möchte man den Extrakt dennoch einsetzen, wird laut Herstellerangaben mit 324 mg Silymarin pro Tag dosiert. Bei Überempfindlichkeit gegenüber Korbblütlern ist Vorsicht geboten; sonst ist Mariendistel bei geringen Wechselwirkungen gut verträglich.
Die Autorin
Dr. rer. nat. Christine Reinecke
70378 Stuttgart
dres.reinecke@t-online.de
www.hello-biology.com
Dr. Christine Reinecke ist promovierte Diplom-Biologin und seit über 25 Jahren freiberufliche Autorin zahlreicher Publikationen der Naturheilkunde, Medizin und Pharmazie
[1] Ben Salem M et al., Plant Foods Hum Nutr 2015, 70(4): 441–453
[2] Bundy R et al., Phytomedicine 2008, 15: 668–675
[3] Pittler MH et al., Cochrane Database Syst Rev 2002, 3: CD003335
[4] Rondanelli M et al., Monaldi Arch Chest Dis 2013, 80: 17–26
[5] Rondanelli et al., Phytother res 2011; 25(9): 1275–1282
[6] Fintelmann V, Phytomed 1996, 1: 50
[7] Beer, A-M, Adler, M (Hrsg.) Leitfaden Naturheilverfahren für die ärztliche Praxis. 1. Aufl. 2012, Urban & Fischer Elsevier GmbH
[8] Abenavoli L et al., Phytother Res 2018; 32(11): 2202–2213
[9] Solhi H et al., Caspian Journal of Internal Medicine 2014; 5: 9–12
[10] Wah Kheong C et al., Clinical Gastroenterology and Hepatology,2017; 15: 1940–1949.e8
[11] Abenavoli L et al., Expert Review of Gastroenterology & Hepatology 2015; 9: 519–527
[12] Abenavoli L, Nutrients 2017; 9: E870
[13] Zhong S et al., Medicine (Baltimore) 2017; 96: e9061
[14] Braun DL et al., HIV Medicine 2014; 15: 625–630
[15] Yurtcu E et al., Journal of BUON 2015; 20: 555–561
[16] Bosch-Barrera J et al., Cancer Treatment Reviews 2017; 58: 61–69
[17] Siegel AB, Stebbing J, The Lancet Oncology 2013; 14: 929–930
Bildnachweis: CSA-Archive, vreemous (iStockphoto); privat