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Allgemeinmedizin

Diphtherie ist wieder im Kommen

Vom „Würger der Kinder“ zum Exoten – und wieder zurück

Angelika Ramm-Fischer

12.8.2025

Die Diphtherie als tödliche Infektionskrankheit gehört keineswegs der Vergangenheit an. Vielmehr ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Diphtherie-Fälle europaweit deutlich gestiegen. Neben dem klassischen respiratorischen Krankheitsbild werden zunehmend kutane Diphtherie-Infektionen registriert.

Diphtherie ist nach wie vor eine lebensbedrohliche Erkrankung: Ohne Behandlung liegt die Mortalität bei 50 %; wenn das Antitoxin rechtzeitig verabreicht wird, lässt sich die Sterblichkeit auf 5–10 % senken. Auch wenn Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem Kinder an Diphtherie starben, sind heutzutage die Symptome selbst Kinderärzten und -ärztinnen kaum noch bekannt. Schließlich beträgt die Impfquote unter Kindern, die mit der Schule beginnen, laut Robert Koch-Institut (RKI) > 92 % [1].

Entwicklungen in Europa

Seit fast einem Jahrhundert ist die Diphtherie in Europa selten geworden: So gab es in der gesamten Europäischen Union zwischen 2016 und 2021 durchschnittlich 27 Fälle pro Jahr. Im Jahr 2022 allerdings fand mit 363 Fällen in 10 Ländern der größte Diphtherie-Ausbruch in Europa seit 70 Jahren statt. Deutschland war mit 118 am stärksten betroffen, gefolgt von Österreich mit 66, Großbritannien mit 59 und die Schweiz mit 52 Fällen [2].

Ursache für diesen Ausbruch: Die meisten Fälle betrafen Geflüchtete – vorwiegend aus Syrien und Afghanistan. Bei 77,5 % der Betroffenen manifestierte sich die Diphtherie an der Haut (77,5 %), am zweithäufigsten trat die respiratorische Form (15,3 %) auf. Die Befragung der Betroffenen – zu 98 % Männer, medianes Alter 18 Jahre – ergab, dass die Übertragungsquellen entlang etablierter Migrationsrouten nach Europa führen, meist über den Westbalkan.

Der Ausbruch von 2022 war nur der Beginn. Die Inzidenz von Diphtherie nimmt in Deutschland nicht ab. Zwischen Herbst 2022 und Ende April 2025 wurden bundesweit 126 Fälle registriert. Allein in den ersten 22 Wochen 2025 wurden in Deutschland 17 Fälle von Diphtherie diagnostiziert [3]. Nach Analysen genomischer Sequenzen gehen die in Deutschland registrierten Diphtherie-Fälle auf das Konto des Erregertyps Corynebacterium diphtheriae ST-574 [1].Mittlerweile sind laut RKI von der Erkrankung nicht mehr hauptsächlich Geflüchtete betroffen, sondern auch vulnerable Gruppen wie Wohnungslose, Menschen mit Drogenkonsum, Ungeimpfte sowie ältere, vorerkrankte Personen.

Besorgniserregend ist laut RKI, dass die Infektionen vermehrt schwer verlaufen, auch innerhalb Deutschlands weitergegeben werden – und es sich nicht nur um „importierte“ Fälle handelt. Daher sollten bei Verdacht auf Diphtherie gezielt weitere Untersuchungen veranlasst und engen Kontaktpersonen von Erkrankten Impfungen angeboten werden.

Impfen schützt auch die Erwachsenen

Derzeit sind in Deutschland am besten die Kinder vor Diphtherie geschützt: Seit 2005 liegen die jährlich erfassten Diphtherie-Impfquoten bei Kindern kontinuierlich > 90 %.

Bei den Erwachsenen sieht es anders aus: Trotz der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) hat nur etwa die Hälfte der Erwachsenen eine Auffrischimpfung gegen Diphtherie in den vergangenen 10 Jahren erhalten – unabhängig von den Altersgruppen zwischen 18 und 79 Jahren. Generell profitieren die Erwachsenen vom Herdenschutz, der durch die hohen Impfraten der Kinder erzeugt wird.

Bei Auslandsreisen entfällt dieser Schutz, sodass der Impfschutz zumindest vor Reisen in Endemiegebiete unbedingt aktualisiert werden sollte.

Klinik der Diphtherie

Die klassische Form der Diphtherie ist die Rachendiphtherie. Zu Beginn treten Abgeschlagenheit, Übelkeit und Schluckschmerzen auf, häufig verbunden mit Bauch- und Gliederschmerzen. Mit dem steigenden Fieber entwickelt sich auch an den Mandeln und Rachen ein gelblich-weißer Belag mit faulig-süßlichem Geruch. In der Folge kann die Erkrankung sich auch auf den Kehlkopf ausbreiten, was zu bellendem Husten, zunehmende Heiserkeit und Aphonie sowie Stridor führen kann. Gefährlich wird die Diphtherie, wenn sich das während der Infektion gebildete Diphtherie-Toxin über den Blutweg ausbreitet. Als toxische Komplikationen treten vor allem Myokarditis, Endokarditis, Nierenschäden und eine demyelinisierende periphere Neuritis auf. Eine Myokarditis manifestiert sich häufig mit Arrhythmien sowie Zeichen kardiovaskulärer Dysregulation bis hin zum kardiogenen Schock. Der plötzliche Herztod kann auch schon früh im Erkrankungsverlauf (häufig 8.–10. Krankheitstag, aber auch erst nach 4–6 Wochen) u. a. bei geringfügiger Belastung auftreten (daher konsequente Bettruhe erforderlich). Im Zuge der Neuritis kann es zu Lähmungen von Kopf-, Gesichts-, Rumpf- und Atemmuskulatur kommen. Typisch ist dabei die Gaumensegelparese, die am häufigsten in der 3. Erkrankungswoche auftritt und zu näselnder Sprache und Schluckbeschwerden führt.

Haut- oder Wunddiphtherie

Weitaus weniger bedrohlich ist die Haut- oder Wunddiphtherie: Die Infektion eines Bagatelltraumas mit Corynebacterium diphtheriae – meist als Mischinfektionen mit A-Streptokokken und/oder Staphylokokken – verursacht Ulzerationen mit schmierigen Belägen. Bei diesen Wunden wird in der Regel (Läsionsgröße < 2 cm2) nur sehr wenig Diphtherie-Toxin freigesetzt, sodass toxische Erscheinungen selten sind. Menschen mit Wunddiphtherie können allerdings gelegentlich eine Infektionsquelle für eine Rachendiphtherie bei sich selbst bzw. bei engen Kontaktpersonen darstellen.

Da nicht länger davon ausgegangen werden kann, dass alle Personen einen vollen Impf­schutz haben, sollten Ärztinnen und Ärzte wieder die Diphtherie bei differenzial­diagnos­tischen Überlegungen einbeziehen. Nicht nur Reisenden, sondern auch vor allem Älteren sowie Vorerkrankten sollten Auf­frischungs­impfungen angeboten werden.

  1. Epidemiologisches Bulletin 18/2025
  2. Hoefer A et al., N Engl J Med 2025; doi: 10.1056/NEJMoa2311981
  3. Epidemiologisches Bulletin 22/2025
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