Eine Hyperglykämie muss nicht zwangsläufig zu einem klinisch relevanten Diabetes mellitus Typ 2 führen. Kürzlich entdeckte Subtypen der Vorstufe könnten anhand von Clustermerkmalen eine Vorhersage erlauben, welche Risikopatienten mit einer Diabetesmanifestation und/oder anderen Komplikationen rechnen müssen.
Bis zur Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) durchlaufen Betroffene eine längere Vorstufe, da die Betazellen der Langerhans-Inseln eine Insulinresistenz lange kompensieren können. Die Blutwerte sind in diesem Stadium leicht erhöht. Bisher ließ sich nicht vorhersehen, welche Menschen mit Prädiabetes tatsächlich einen klinisch relevanten Diabetes entwickeln, mit Risiken für Folgeerkrankungen wie ein Nierenversagen leben müssen oder bei welchen es einfach bei erhöhten HbA1C-Werten ohne bedeutsame Risiken bleibt. Eine Unterscheidung würde es aber ermöglichen, gezielte Maßnahmen zur Prävention der Stoffwechselerkrankung zu entwickeln. Dieser Problemstellung widmeten sich Forscher des Universitätsklinikums Tübingen in Kooperation mit Kollegen des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen sowie des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Mithilfe einer Clusteranalyse bei Menschen mit Prädiabetes konnten sie nun sechs verschiedene Subtypen mit unterschiedlichen Diabetesrisiken identifizieren.
Dazu untersuchte das Tübinger Team um Prof. Dr. med. Hans-Ulrich Häring und Prof. Dr. med. Andreas Fritsche detailliert den Stoffwechsel von 899 noch als gesund geltenden Personen mit Prädiabetes. Die Probanden stammten aus der Tübinger Familienstudie (TUEF) und der Studie des Tübinger Lebensstil-Interventions-Programms (TULIP) und waren in den vergangenen 25 Jahren wiederholt intensiv klinisch, laborchemisch, kernspintomografisch und genetisch untersucht worden. Anhand wichtiger Merkmale wie Blutzuckerwerte, Leberfett, Körperfettverteilung, Blutfettspiegel und genetisches Risiko ließen sie sich unterscheiden und in sechs Subtypen einordnen. Personen der Cluster 1, 2 und 4 wiesen ein niedriges Diabetesrisiko auf. Die Probanden der Gruppen 1 und 2 galten als gesund, unterschieden sich aber im Body-Mass-Index (BMI): durchschnittlich 26,82 kg/m2 (übergewichtig) bei Subtyp 1 und 23,45 kg/m2 bei Subtyp 2 (normalgewichtig, daher besonders niedriges Risiko für Folgekomplikationen). Dem Cluster 4 gehörten adipöse Menschen (BMI = 31,45 kg/ m2) mit relativ gesundem Stoffwechsel an. Ein erhöhtes Risiko für eine Diabetesmanifestation und/oder Folgeerkrankungen war mit den Subgruppen 3, 5 und 6 verbunden. Bei den übergewichtig bis adipösen Probanden vom Subtyp 3 (BMI = 29,15 kg/m2) war die Insulinproduktion eingeschränkt, was einem hohen Risiko an Diabetes zu erkranken gleichzusetzen ist. Betroffene aus Cluster 5 waren adipös (BMI = 34,45 kg/m2) und wiesen eine ausgeprägte Fettleber auf. Das damit einhergehende sehr hohe Diabetesrisiko beruht auf der Resistenz ihres Körpers gegen die blutzuckersenkende Wirkung von Insulin. Die Gefahr von Nieren- und Gefäßschäden ist bei ihnen ebenfalls sehr hoch. Die Personen des Subtyps 6 zeigten eine ausgeprägte viszerale Adipositas (BMI = 34,94 kg/m2), und Nierenschäden traten bei ihnen bereits vor der Diabetesmanifestation auf. Ihr Mortalitätrisiko ist besonders hoch. Um die Anwendbarkeit dieser Subtypeneinteilung zu überprüfen, wurde das Verfahren auf die 6 810 Teilnehmer der Whitehall-II-Kohorte in London übertragen. Dort ließen sich die gleichen sechs Subtypen identifizieren.
FAZIT:
Etabliert sich die Einteilung in sechs Prädiabetes-Subtypen in weiteren prospektiven Studien, können Menschen mit hohem Diabetesrisiko frühzeitig erkannt und gezielt behandelt werden. Das wäre ein wichtiger Schritt Richtung Präzisionsmedizin bei der Prävention des Diabetes.
Der Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Robert Wagner
Stellvertretender Direktor Klinik für Endokrinologie und Diabetologie Universitätsklinikum Düsseldorf
robert.wagner@med.uni-duesseldorf.de
Leitung Klinisches Studienzentrum
Deutsches Diabetes Zentrum Düsseldorf
Wagner R et al., Nat Med 2021; doi: 10.1038/s41591-020-1116-9
Bildnachweis: Gábor Wagner 2020; privat