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Allgemeinmedizin

Süßes Parfüm, Essensgerüche und Rauch

Osmophobie häufig anzutreffen bei Patienten mit Migräne

PD Dr. med. Gudrun Goßrau

23.5.2023

Viele der von chronischer Migräne Betroffenen leiden unter einer permanenten Geruchsüberempfindlichkeit. Die als störend empfundenen Gerüche können auch Auslöser für Migräneattacken sein. Diese Erkenntnis könnte zu neuen Therapien führen – etwa die Desensitivierung durch ein strukturiertes Riechtraining.

Migräne ist eine hochprävalente neurologische Erkrankung, die mit stark einschränkenden Kopfschmerzattacken und auch neurologischen Defiziten wie Gesichtsfelddefiziten und sensorischen Störungen einhergehen kann. Typisch für Migräneattacken ist die veränderte Wahrnehmung einer Vielzahl von Sinnesreizen, was sich in begleitender Photophobie, Phonophobie und Osmophobie ausdrückt.

Durch Geruch ausgelöste Migräneanfälle wurden als potenziell nützliches Diagnosekriterium für Migräne vorgeschlagen.

Funktionelle und morphologische Effekte

Inzwischen weisen verschiedene Studien darauf hin, dass Patienten mit Migräne auch interiktal Abweichungen in der sensorischen Verarbeitung zeigen. Beispielsweise wurde interiktal eine Sensibilisierung für auditive Reize bei Migränepatienten durch quantitative Messung des geräuschinduzierten Schmerzes nachgewiesen. Weiterhin zeigt eine aktuelle Studie für 31,9 % der Patienten mit Migräne interiktal eine Hypersensitivität für Gerüche. Auch deuten Daten darauf hin, dass Patienten mit interiktaler Osmophobie eine höhere Anfallshäufigkeit und eine höhere Anzahl von geruchsinduzierten Migräneanfällen aufweisen.

Eine experimentelle Studie mit Geruchsstimulation während eines akuten Migräneanfalls bei zeitgleicher fMRT-Untersuchung zeigte eine erhöhte Aktivität der rostralen Pons auf, einer Struktur, die an der trigemino-nozizeptiven Bahn in der Migränepathophysiologie beteiligt ist. Eine MRT-morphologische Untersuchung des Bulbus-olfactorius-Volumens bei Patienten mit Migräne konnte eine Atrophie dieses Teils des Zentralnervensystems nachweisen. Besonders ausgeprägt war die Atrophie bei Patienten mit Migräne und begleitender Osmophobie. Diese Ergebnisse deuten weiterhin auf einen engen Zusammenhang zwischen Geruchssinn und Schmerz hin.

Häufigkeit der Osmophobie

Die Prävalenz der Osmophobie bei Migräne wird als sehr hoch eingeschätzt, wobei die veröffentlichten Daten zwischen 24,7 % und 95,5 % liegen.

Eigene Daten einer interviewbasierten Umfrage zeigen eine präiktale Hypersensitivität für Gerüche bei 38,1 % der Patienten mit Migräne. In der Migräneattacke berichteten 61,9 % der Patienten Osmophobie. Parfüm, Lebensmittelgerüche und Rauch waren die am häufigsten genannten Gerüche, die eine Abneigung, Schmerzverstärkung oder Triggerung einer Attacke zur Folge hatten. Darüber hinaus zeigte die Untersuchung einen direkten Zusammenhang zwischen hoher migränebedingter Alltagseinschränkung und Vorhandensein einer Geruchsüberempfindlichkeit.

Komorbiditäten und Chronifizierung

Patienten mit längerer Erkrankungsdauer weisen häufiger Osmophobieverhalten auf. Dies könnte die Hypothese stützen, dass eine längere Krankheitsdauer die sensorische Sensibilisierung und damit das Risiko einer Chronifizierung erhöht.

Bei Migräne mit Aura tritt Osmophobie doppelt so häufig auf wie bei Formen ohne Aura.

Untersuchungen an Migränepatienten zeigten das gemeinsame Auftreten sensorischer Sensitisierung gegenüber Licht, Lärm und Geruch sowie einen ­klaren Zusammenhang zwischen sensorischen Überempfindlichkeiten und migränebedingter Behinderung.

Weitere Daten lassen erkennen, dass Osmophobie und ein Marker der zentralen Sensibilisierung, die kutane Allodynie, bei Patienten mit chronischer ­Migräne häufiger vorkommen als bei Patienten mit episodischer Migräne.

Nach der internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen ist eine chronische Migräne (cM) definiert als mindestens 15 Kopfschmerztage pro Monat in den vorangegangenen 3 Monaten, wobei an mindestens 8 Tagen pro Monat Migränemerkmale vorhanden sind. Bei der Chronifizierung der Migräne spielen verschiedene Risikofaktoren eine Rolle, z. B. die Häufigkeit der Migräneattacken, der übermäßige Gebrauch von Analgetika und ­komorbide Schmerzen. Das Konzept der Migränestadien beschreibt einen allmählichen Übergang von einer niedrigen zu einer hohen Häufigkeit episodischer Migräne und chronischer Migräne (0–9; 10–14 bzw. ≥ 15 Kopfschmerztage pro Monat).

Neuere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Komorbiditäten und Umweltfaktoren sowie nicht genetische Faktoren Schlüssel zur Chronifizierung bei Migränepatienten sind. In Übereinstimmung damit sind Depressionen und Angstzustände bei chronischer Migräne häufiger als bei episodischer Migräne, und insbesondere das Vorhandensein einer komorbiden Depression ist mit einem höheren Risiko für die Entwicklung einer chronischen Migräne assoziiert.

Ausblick

Interessant ist der potenzielle therapeutische Ansatz einer Riechtherapie zur sensorischen Desensitisierung bei Patienten mit Migräne. Erste Untersuchungen zur Wirkung eines strukturierten Trainings mit Gerüchen auf die Migräne weisen bei Kindern und Jugendlichen eine positive Wirkung auf die kopfschmerzbedingte Behinderung aus und zeigen auch günstige Effekte auf das Schlafverhalten. Ein regelmäßiges Training mit Düften verbesserte ebenso die Riechfunktion und führte zu einer Anhebung der Schmerzwahrnehmungsschwelle, was auf eine ­Desensitisierung für Schmerz hindeutet. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um spezifische Effekte zu bestätigen, aber auch mögliche Einflüsse auf die Chronifizierung des Kopfschmerzes zu prüfen.

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise ­online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.

Die Autorin

PD Dr. med. Gudrun Gossrau
Fachärztin für Neurologie – Spezielle Schmerztherapie
Universitäts SchmerzCentrum
Technische Universität Dresden

gudrun.gossrau2@
uniklinikum-dresden.de

Literatur bei der Autorin

Weitere Artikel aus dieser Serie finden Sie hier

Bildnachweis: privat

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