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Allgemeinmedizin

Chronische Schmerzen

Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch

PD Dr. med. Charly Gaul

17.11.2021

Bei zu häufiger Einnahme von Akutschmerzmedikation kann die Kopfschmerzfrequenz paradoxerweise zunehmen. Mehr als die Hälfte der Patienten, die unter chronischem Kopfschmerz leiden, erfüllen auch die Kriterien des Medikamentenübergebrauchs. Bei erfolgreicher Therapie geht die Kopfschmerzfrequenz rasch zurück.

Zur Anamnese von Patienten mit Kopfschmerzerkrankungen gehört unbedingt die Frage nach der Einnahme von Akutmedikation: nach der Art der Akutmedikation, nach dem Zeitpunkt des Ansprechens und der Wirkung (Schmerzreduktion oder Schmerzfreiheit sowie der Beseitigung von Begleitsymptomen). Ebenso wichtig ist es, nach der Häufigkeit der Einnahme der Akutmedikation zu fragen. Werden Analgetikamischpräparate, Triptane oder Ergotamine an zehn Tagen oder häufiger im Monat eingenommen, drohen Kopfschmerzen durch Medikamentenübergebrauch (MOH). Die Einnahmegrenze für einfache Analgetika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) liegt bei 15 oder mehr Tagen im Monat. Gezählt werden dabei die Einnahmetage, nicht die Anzahl der Tabletten. Die internationale Kopfschmerzklassifikation legt fest, dass die Diagnose MOH dann gestellt wird, wenn die Einnahmegrenzen drei Monate in Folge überschritten werden; im klinischen Alltag werden die Diagnosekriterien häufig bereits seit Jahren erfüllt. Insbesondere chronische Migräne ist mit einem MOH-Risiko assoziiert.

Den Patienten sollten zur Einnahme der Akutmedikation pragmatische, einfache Regeln vermittelt werden. Am besten geeignet ist die Empfehlung, Akutmedikation nicht häufiger als an zehn Tagen im Monat und nicht häufiger als drei Tage in Folge zur Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen einzunehmen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, ein abgestuftes Therapiekonzept des Kopfschmerzes durch Medikamentenübergebrauch anzuwenden.

Erster Schritt – Aufklärung und Beratung

Zunächst müssen die Patienten über den möglichen Zusammenhang zwischen Kopfschmerzzunahme und Häufigkeit der Einnahme von Akutmedikation informiert werden. Dies beinhaltet auch Empfehlungen zur Einnahme von Akutmedikation (Dosierung, Einnahmezeitpunkt) und alternative Strategien (Einlegen einer Pause, Kühlen). Komorbide Depression, Angststörung, Schlafstörung und weitere Erkrankungen sind bei chronischen Kopfschmerzen und ­Medikamentenübergebrauch sehr häufig und als Risikofaktoren in die Therapieplanung mit einzubeziehen. Im Umgang mit dem Betroffenen ist es wichtig, den Medikamentenübergebrauch als Komplikation einer (häufig) primären Kopfschmerzerkrankung zu verstehen und dies gegenüber dem Betroffenen ­anzusprechen. Cave: Vorwürfe gegenüber Patienten können hingegen das therapeutische Bündnis negativ beeinflussen.

Zweiter Schritt – Beginn einer Prophylaxe

Ein hoher Bedarf an Akutmedikation sollte Ärzte vor allem motivieren, mit ihren Patienten über prophylaktische Maßnahmen zu sprechen. Dies umfasst sowohl nicht medikamentöse Prophylaxe (Entspannungsverfahren, Lebensstilmodifikation, Ausdauersport) als auch medikamentöse Prophylaxe. Nach Datenlage scheinen nicht alle Prophylaktika wirksam zu sein, wenn bereits ein MOH vorliegt. Ein Wirksamkeitsnachweis wurde in Studien für die Therapien mit Topiramat, Botulinumtoxin und monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor erbracht.

Dritter Schritt: Medikamentenpause

Nun sollte vermittelt werden, dass die Reduktion der Medikamenteneinnahme bzw. eine Medikamentenpause („Entzug“) eine deutliche Verringerung der Kopfschmerzfrequenz erbringen kann. Mithilfe dieser Information können einige Patienten bereits ihren Medikamentenverbrauch deutlich reduzieren. Idealerweise wird mit dem Beginn der Prophylaxe eine Medikamentenpause eingeleitet. Dazu wird die Einnahme von Akutmedikation komplett und abrupt beendet. Ausnahme stellt hier die Akut­medikation mit Opioiden dar, die bei Kopfschmerzerkrankungen ohnehin nicht empfohlen werden.

Ein Entzug der Akutmedikation kann die Kopfschmerzfrequenz deutlich verringern.

Opioide müssen schrittweise abgesetzt werden, da es sonst zu einem ausgeprägten vegetativen Entzugssyndrom kommen kann (> Suchterkrankungen). Analgetika und Triptane können abrupt abgesetzt werden. Vorübergehend kann es in dieser Phase zur Kopfschmerzzunahme und vegetativen Symptomen wie Übelkeit, Schlafstörungen und Schwitzen kommen. Dies lässt sich durch zusätzliche Gabe schmerzdistanzierender Mittel (z. B. ein Trizyklikum) meist gut beherrschen. Besteht zusätzlich eine ständige Einnahme von Schlaf- oder Beruhigungsmitteln oder wurde bereits erfolglos eine Medikamentenpause durchgeführt, kann die Indikation zur stationären Medikamentenpause gestellt werden. Diese kann im Zuge einer Krankenhausbehandlung, als Teil einer multimodalen Schmerztherapie oder auch in einer Rehabilitationsbehandlung erfolgen. Ebenso ist eine ambulant durchgeführte Medikamentenpause in einer Tagesklinik möglich. Manchmal ist die Distanzierung vom sozialen Umfeld, die Herausnahme aus dem Familien- und Arbeitsleben notwendig, um eine Medikamentenpause erfolgreich durchzuführen. Im klinischen Alltag zeigt die vorübergehende Gabe von Kortikosteroiden (z. B. Prednisolon 100 mg über 3–5 Tage) eine gute Wirkung, was in klinischen Studien jedoch bislang nicht konsistent bestätigt werden konnte. Bei Exazerbation von starken Migräneattacken mit ausgeprägter Übelkeit kann die intravenöse Gabe von z. B. Acetylsalicylsäure und Metoclopramid notwendig werden.

Weiterbehandlung und Prognose

Für die Prognose der Erkrankung ist es entscheidend, dass nach der Medikamentenpause eine engmaschige Nachbetreuung erfolgt. Sonst besteht die Gefahr, dass ein Patient erfolgreich eine Medikamentenpause durchläuft, die anschließenden Therapiemaßnahmen jedoch nicht konsequent umgesetzt werden. Daher ist es sinnvoll, Patienten nach Abschluss der Medikamentenpause zeitnahe Termine anzubieten. Für Patienten ist es wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, mit dem Probleme schnellstmöglich besprochen werden können, denn die Migräne wird auch nach der Medikamentenpause weiter auftreten, wenn auch deutlich weniger häufig. In Beobachtungsstudien konnte gezeigt werden, dass das Rezidivrisiko des MOH bei über 30 % nach einem Jahr liegt, bei guter, regelmäßiger Nachbetreuung kann das Rezidivrisiko auf unter 10 % gesenkt werden.

Der Autor

PD Dr. med. Charly Gaul
Facharzt für Neurologie und Spezielle Schmerztherapie
Mitbegründer des Kopfschmerz­zentrums Frankfurt am Main

c.gaul@kopfschmerz-frankfurt.de
www.kopfschmerz-frankfurt.de

Literatur beim Autor

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Bildnachweis: privat

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