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Allgemeinmedizin

Diabetische Polyneuropathie

Das Virus ist in Deutschland angekommen

PD Dr. med. Ilonka Eisensehr

9.6.2025

Menschen mit Typ-2-Diabetes, aber auch schon jene mit Prädiabetes können eine schmerzhafte Polyneuropathie entwickeln. Die Einteilung in unterschiedliche Schmerz-Syndrome vor Beginn der Schmerztherapie könnte der Schlüssel zu einer erfolgreicheren Behandlung sein.

Etwa jede vierte Person mit Typ-2-Diabetes und annähernd jede zehnte mit Prädiabetes leiden an einer schmerzhaften Polyneuropathie. Damit einhergehende Komorbiditäten wie Angststörungen und ­Depressionen verursachen erhebliche Funktions­einschränkungen im Alltag sowie Kosten.

Neben den in den Leitlinien für Diagnostik und ­Therapie in der Neurologie empfohlenen Medikamenten zur Behandlung der schmerzhaften Polyneuropathie (PNP) gibt es individuelle Therapieversuche mit 10-kHz-Rückenmarkstimulation, Cannabinoiden und Memantin. Günstig scheinen sich körperliche Bewegung, die Gabe von GLP-1-­Agonisten oder ACE-Hemmern auf die schmerz­hafte Polyneuropathie auszuwirken.

Herausforderungen für die Behandlung

Mit den derzeitigen medikamentösen Behandlungsstrategien erfährt nur etwa jeder dritte Patient bzw. Patientin mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie eine Schmerzreduktion um 30 %. Und nur etwa 1 von 7 Personen mit schmerzhafter diabetischer PNP kann zufriedenstellend schmerztherapeutisch behandelt werden. Mögliche Ursachen des mangelhaften Therapieerfolgs:

  1. Es existiert kein Goldstandard zur Diagnose der schmerzhaften Polyneuropathie.
  2. Eine Einteilung der empfohlenen Medikamente nach deren Wirkmechanismus fehlt. So finden sich unter den Medikamenten der 1. Wahl sowohl zentral als auch peripher wirksame Medikamente (Antikonvulsiva / SSRI / Trizyklika), unter den Medikamenten der 2. Wahl ausschließlich peripher wirksame Medikamente (z. B. Lidocain-/Capsaicin-Pflaster) und unter den Medikamenten der 3. Wahl wiederum sowohl zentral als auch peripher wirksame Medikamente (Opioide).
  3. Die Leitlinien zur Behandlung der schmerzhaften Polyneuropathie gehen von einer homogenen ­Patientenpopulation aus. Wir haben es jedoch mit einer heterogenen Patientenpopulation hinsichtlich Schmerzverarbeitung, Schmerzqualität, des psychosozialen Hintergrunds und genetischer ­Prädisposition zu tun:
  • Die Schmerzdauer beeinflusst die zentrale Schmerzverarbeitung: Menschen, die < 2 Jahre unter ihren Neuropathieschmerzen leiden, sprechen deutlich besser auf konditionierte Schmerzmodulation an als Patientinnen und Patienten mit einer Schmerzdauer von > 2 Jahren. Letztere verhalten sich wie gesunde Kontrollpersonen.
  • Patientinnen und Patienten mit Hyperalgesie profitieren von einer Behandlung mit Oxcarbazepin, Personen mit einer Hyp-/Anästhesie nicht.
  • Die Intensität neuropathischer Schmerzen korreliert mit psychosozialen Faktoren wie Depressions-Scores.
  • Von den an schmerzhafter PNP Betroffenen leiden 22 % zusätzlich an myofaszialen Schmerzen. Sie empfinden neue Schmerzreize initial deutlich intensiver und zeigen signifikant höhere Angst- und ­Depressions-Scores sowie schwerere Beeinträchtigungen als diejenigen ohne myofaszialen Schmerz.
  • Die Wirkung einzelner Medikamente (z. B. Lacosamid und Carbamazepin) ist abhängig von der genetisch bestimmten Variante der Nozizeptor-assoziierten Natrium-Kanäle (1.7/1.8).

Tipps aus der Praxis

Ein Patient, der erst kurz (< 2 Jahre) an neuropathischen Schmerzen leidet, hat vermutlich eine Beeinträchtigung seiner zentralen Schmerzverarbeitung. Er spricht deshalb möglicherweise besser auf zen­tral wirksame Medikamente an (z. B. Duloxetin). Menschen, die schon lange unter ihren neuropathischen Schmerzen leiden, zeigen Hinweise für eine zentrale Schmerzverarbeitung („back to normal“) und sprechen deshalb eventuell besser auf peripher wirksame Medikamente an (z. B. Capsaicin-Pflaster).

Geht der neuropathische Schmerz mit einem myofaszialen Schmerz einher, bietet sich etwa die Gabe von Trizyklika an, da diese auch den myo­faszialen Schmerz reduzieren können.

Patienten und Patientinnen mit einem irritablen ­Nozizeptortyp (Hyperalgesie) profitieren nachgewiesenermaßen von einer Oxcarbazepin-Therapie.

Bestehen psychosoziale Komorbiditäten wie Schlafstörungen und Depressionen, bietet sich die Gabe von Trizyklika an.

Unter Berücksichtigung der A-priori-Phänotypisierung mögen bei entsprechenden Patienten und Patientinnen auch Kombinationstherapien notwendig werden.

Die Autorin

PD Dr. med. Ilonka Eisensehr
Neurologie am Sendlinger Tor
80331 München

ilonka.eisensehr@neurologie-sendlingertor.de

Literatur bei der Autorin

Bildnachweis: privat

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