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Allgemeinmedizin

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Diabetes mellitus im Kontext der Begleiterkrankungen

Simone Reisdorf

26.3.2024

Diabetes mellitus muss immer im Kontext der Begleiterkrankungen gesehen werden. Unter diesem Vorzeichen stand Anfang Februar der diesjährige Fortbildungskongress „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“, der mit einem innovativen interdisziplinären Programm aufwartete.

Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger ­(München) betonte die Fortschritte in der Diabetologie, die zu einer ganzheitlichen Sichtweise geführt haben: Neben der Blutzuckersenkung gehöre heute auch das Management von Hypertonie, Dyslipidämie, Adipositas und Gerinnungsstörungen sowie die Organprotektion zu den Therapiezielen bei Typ-2-­Diabetes (T2D). „Die Ziele müssen realistisch erreichbar sein und regelmäßig überprüft werden mit Blick auf die Intensivierung oder auch Deeskalation der Behandlung.“

Diabetes und Adipositas zugleich adressieren

„Adipositas ist einer der Hauptrisikofaktoren für Typ- 2-Diabetes“, sagte Prof. Dr. med. Baptist ­Gallwitz (Berlin). In den STEP-Studien wurde der bereits für die Diabetestherapie zugelassene GLP-1-Rezeptor­agonist (GLP-1-RA) Semaglutid bei adipösen Personen untersucht, unabhängig von Diabetes. Das Ergebnis: Die mit Semaglutid Behandelten verloren im Schnitt ca. 15 % ihres Körpergewichts [1,2]. „Damit wird die Lücke zum Therapieerfolg mit bariatrischer Chirurgie deutlich kleiner“, so Gallwitz. Weitere Verbesserungen bei der Blutzucker- und Gewichtskontrolle erhofft er sich von kombinierten inkretinbasierten Ansätzen, etwa mit GLP-1-/GIP-RA, GLP-1-/Glukagon-RA oder Dreifach-RA [3]. Mit Tirzepatid ist bereits der erste GLP-1-/GIP-RA in Europa verfügbar. Die Zulassung umfasst den unzureichend eingestellten T2D sowie das Gewichtsmanagement; letztere Indikation ist jedoch in Deutschland nicht erstattungsfähig.

Typ-1-Diabetes mit Teplizumab verzögern

Prof. Dr. rer. nat. Michael Hummel (München) berichtete von Chancen, den Krankheitsverlauf des Typ-1-Diabetes (T1D) zu verzögern: Risikokinder, die ≥ 2 Inselzell-Antikörper und erste Zeichen einer ­Dysglykämie aufweisen (T1D-Stadium 2), profitieren vom einmaligen 14-tägigen i.v.-Behandlungszyklus mit dem CD3-Antikörper Teplizumab. Damit lässt sich der Beginn der manifesten, symptomatischen Erkrankung (T1D-Stadium 3) um knapp 3 Jahre verzögern [4,5]. In den USA wurde Teplizumab kürzlich für Kinder ab 8 Jahren und Erwachsene mit T1D-Stadium 2 zugelassen. Voraussetzung für den ­Einsatz in Deutschland wäre neben der Zulassung auch ein reguläres Screeningprogramm – zumindest für ­Kinder aus Risikofamilien.

Hyperurikämie frühzeitig erkennen

Etwa jeder 4. Mann und jede 10. Frau haben eine Hyperurikämie [6]. Sie ist die Vorstufe der Gicht, und „ab dem ersten Gichtanfall ist eine medikamentöse Behandlung indiziert“, betonte Prof. Dr. med. ­Monika Reuß-Borst (Bad Bocklet). Dies sei wichtig, um einerseits schmerzhafte Gichttophi (Knoten) zu verhindern und andererseits das gichtbedingt erhöhte ­kardiovaskuläre Risiko einzudämmen.

Die Therapie ist einfach und kostengünstig; die ­meisten Personen profitieren von der Einnahme von Allopurinol. Die Therapieadhärenz ist jedoch gering: Nach einem Jahr nehmen nur noch 30 % der ­Patienten und Patientinnen den Xanthinoxidase-Hemmer ein [7]. Hier bestehe noch ein hoher Aufklärungs- und Optimierungsbedarf, so Reuß-Borst. Bewährt habe sich z. B. in Großbritannien der Einsatz speziell geschulter Nurses [8].

Neue ESC-Leitlinie erstellt

Die neue ESC-Leitlinie „Management of cardio­­vas­cular disease in patients with type 2 diabetes“ ­wurde von Expertinnen und Experten der Kardio­logie, ­Diabetologie, Nephrologie sowie von Pflegekräften und Patienten-Vertreterinnen und -Vertretern erstellt. Basis ist ein Screening aller Herz-Kreislauf-Patienten  und -Patientinnen auf Diabetes und umgekehrt ein Screening aller Diabetespatienten und -patientinnen auf Herz- und Nierenerkrankungen, betonten Prof. Dr. med. Nikolaus Marx (Aachen) und Prof. Dr. med. Dirk ­Müller-Wieland (Aachen).

Für die Therapie werden in der Leitlinie jeweils Sub­stanzen mit nachgewiesenem kardiovaskulärem ­Nutzen priorisiert, gefolgt von Substanzen, für die zwar kein Nutzen, jedoch kardiovaskuläre Therapiesicherheit gezeigt werden konnte. Vorrangig (jeweils mit Klasse-I-Empfehlung) werden für T2D-Patienten und -Patientinnen mit komorbider ­atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankung GLP-1-RA und SGLT2-­Inhibitoren (SGLT2i) genannt, für T2D-Patienten und -­Patientinnen mit Herzinsuffizienz die SGLT2i, und für T2D-Patienten und -Patientinnen mit chronischer ­Nierenerkrankung wird ein ganzes Bündel an ­Medikamenten(klassen) empfohlen.

T2D-Patienten und -Patientinnen ohne solche ­Komor­­bi­dität sollten vorzugsweise Metformin ­erhalten (Klasse-II-Empfehlung). Das ist aber noch nicht alles: Für sie wurde der SCORE2-Diabetes entwickelt, mit dem ähnlich wie beim bekannten ­(Framingham-)­SCORE das 10-Jahres-Risiko für ­kardiovaskuläre Ereignisse eingeschätzt werden kann. Ist dieses hoch, kommen zum Metformin noch SGLT2i oder GLP-1-RA hinzu. Der neue Risikoscore kann – auch als App – kostenlos von der ­ESC-Seite geladen werden.

Resilienz von Menschen mit Diabetes stärken

Laut Prof. Dr. med. Norbert Hermanns (Bad Mergentheim) ist Diabetes ein 24-Stunden-Job, 7 Tage die Woche. Krankheitssymptome, Belastung durch Therapie und Monitoring, Einschränkungen in Beruf und Freizeit und eine bei T2D teils beachtliche Stigmatisierung reduzierten die Lebensqualität und führten nicht selten sogar zur Depression, erläuterte Hermanns in einem schriftlichen Statement. Wie eine Person mit einer Erkrankung zurechtkomme, hänge von der Resilienz ab. Bausteine der Resilienz seien proaktives, problemlösendes Vorgehen, kognitive Flexibilität, Optimismus, Selbstwertschätzung, stabile soziale Beziehungen, Selbstregulation und Coping und damit letztlich das Erleben von Selbstwirksamkeit. Regelmäßige Diabetesschulungen, die Vorurteile ausräumen, Kompetenz steigern und Austausch ermöglichen, können unterstützend wirken  [9]. Erste Anhaltspunkte, um Patienten und Patientinnen mit diabetesbezogenem Stress zu erkennen, bieten kostenlose Fragebögen aus dem Internet.

  1. Wadden TA et al., JAMA 2021; 325: 1403–13
  2. Wilding JPH et al., NEJM 2021; 384: 989–1002
  3. Brandt SJ et al., J Endocrinol 2018; 238: R109–R119
  4. Herold KC et al., NEJM 2019; 381: 603–13
  5. Sims EK et al., Sci Transl Med 2021; 13: eabc8980
  6. Kuo CF et al., Ann Rheum Dis 2015; 74: 661–7
  7. Annemans L et al., Ann Rheum Dis 2008; 67: 960–6
  8. Doherty M et al., Lancet 2018; 392: 1403–12
  9. Wu Y et al., World J Pediatr 2023; 19: 323–39

Fortbildungskongress „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“, Kongress-Pressekonferenz, München und virtuell, Februar 2024

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