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Allgemeinmedizin

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Erkranken Frauen häufiger an CED?

Dr. med. Yuri Sankawa

30.9.2023

Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) werden vermehrt geschlechterspezifische Unterschiede erkannt und diskutiert, die u. a. die Pathogenese, klinische Phänotypen und das Therapieansprechen betreffen. Doch die Datenlage ist stellenweise noch lückenhaft.

Ähnlich wie bei vielen anderen immunvermittelten Systemerkrankungen erscheint es naheliegend, dass Frauen präferenziell häufiger an einer CED erkranken. Tatsächlich lassen sich aber keine allzu aus­geprägten Verteilungsunterschiede zwischen den Geschlechtern beobachten. Allerdings gibt es regionenspezifische Abweichungen, wonach in Europa und den USA Frauen häufiger als Männer an Morbus Crohn (MC) leiden, in asiatischen Ländern hingegen eher Männer als Frauen [1]. In einer niederländischen Kohorte mit mehr als 5 700 Betroffenen ergab sich für den frühen MC aber eine höhere männliche Prävalenz (< 16 Jahre; 20 vs. 12 %) [2]. An eine ­Colitis ulcerosa (CU) sollte wiederum eher gedacht werden, wenn der männliche Patient älter als 45 Jahre ist (Tab.) [3].

Rauchen und andere Risikofaktoren

Viele Faktoren für geschlechtsspezifische Differenzen in der CED-Pathogenese sind erst teilweise verstanden, diskutiert werden insbesondere genetische, hormo­nelle und Umwelt-assoziierte Aspekte. Schon seit ­Längerem werden häufigere CED-Manifestationen bei Männern mit positiver Antibiotika-Anamnese ­sowie bei Frauen mit positiver Appendektomie-/Raucher-­Anamnese berichtet [7]. Trends beim ­Rauchverhalten scheinen sich auch in der CED-­Statistik niederzu­schlagen: Aktuell wurden bei von CED Betroffenen die höchsten Raucherraten bei Frauen mittleren Alters beobachtet, die an MC erkrankt sind [4]. Der insbesondere bei CU diskutierte „protektive“ Effekt von ­Rauchen bei Krankheitsentstehung und Verlauf scheint vor allem für männliche, nicht jedoch weibliche ­Patienten (CU und MC) zu gelten [5].

Dass sich geschlechterabhängig unterschiedlich ­zusammengesetzte Mikrobiota auch auf die CED-Entwicklung differenziell auswirken, erscheint plausibel, eine direkte Herleitung ihres Anteils an Pathogenese oder Verlaufsunterschieden ist derzeit aber nicht möglich [1]. Des Weiteren sind verschiedene genetische Faktoren bei Frauen wie Männern beschrieben, die die Suszeptibilität für eine CED-Manifestation erhöhen bzw. diesbezüglich auch ­protektiv sein können (z. B. bestimmte IL-23-Rezeptorvarianten bei Frauen [6]). Intraindividuelle hormonelle Fluktuationen scheinen bei der CED-Manifestation ebenfalls eine Rolle zu spielen – auch im Zusammenhang mit der Einnahme hormoneller ­Präparate (Tab.).

Risikofaktoren für CED-Patientinnen

In der Swiss-IBD-Kohorte wurden bei männlichen ­Patienten häufiger MC-Manifestationen des oberen Gastrointestinaltrakts beschrieben [7]; einer niederländischen Auswertung von Versichertendaten zufolge neigen männliche MC-Patienten zudem häufiger zu Manifestationen im Ileum [2]. Frauen mit CED scheinen grundsätzlich häufiger als männliche Patienten von extraintestinalen Manifestationen (EIM) betroffen zu sein [2], vor allem der Augen, Haut sowie ­Gelenke. Daneben zeichnet sich bei CED-Patien­tinnen ein erhöhtes Risiko für komorbide Lungenkarzinome ab, bei Männern eher für kolorektale ­Karzinome [7]. Weitgehend übereinstimmend wird über erhöhte ­Osteopenie- und Osteoporoseraten bei Männern mit CED berichtet [1].

Hinsichtlich der oftmals im praktischen Alltag eher vernachlässigten psychosozialen bzw. psycho­komorbiden Aspekte der Erkrankung sind die von Patientinnen subjektiv stärker wahrgenommene Einschränkung von Lebensqualität sowie die häufiger auftretende Fatigue und erhöhte Prävalenz für ­depressive Störungen auffällig [1].

Diagnose und Therapie

In der Regel scheint die Diagnosestellung eines MC mit einer stärkeren zeitlichen Verzögerung zu erfolgen als die der CU. Zudem scheint das Risiko einer Diagnoseverzögerung bei weiblichen Patienten stärker ausgeprägt zu sein als bei Männern [8,9]. Auch bei ähnlicher klinischer Symptomatik besteht offenbar für Patientinnen ein über alle Versorgungs­ebenen hinweg beobachtbares höheres Risiko für Fehldiagnosen/Verwechslungen (z. B. mit bakterieller Enterokolitis). Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass bei Frauen zunächst eher an eine funktionelle gastrointestinale Störung gedacht wird und ggf. erschwerend eine atypische Symptomatik (z. B. ­Arthralgien) im Vordergrund stehen kann [9].

Auch beim Behandlungsmanagement wurden ­Abweichungen zwischen weiblichen und männlichen Patienten beobachtet, die nicht allein der geschlechtsspezifischen Krankheitsbiologie geschuldet sein dürften. Allerdings sind auch hier zu einzelnen Fragestellungen wie Therapiewahl oder -ansprechen die Daten limitiert (Tab.).

1 Greuter T et al., Digestion 2020; 101: 98–104
2 Severs M et al., Inflamm Bowel Dis 2018; 24: 1298–306
3 Shah SC et al., Gastroenterology 2018; 155: 1079–89
4 Biedermann L et al., J Crohn‘s Colitis 2015; 9: 819–29
5 Cosnes J et al., Gastroenterol Hepatol 2004; 2: 41–8
6 Lin Z et al., Dig Dis Sci 2010; 55: 739–46
7 Greuter T et al., J. Crohn‘s Colitis 2018; 12: 1399–409
8 Vavricka SR et al., Inflamm Bowel Dis 2012; 18: 496–505
9 Sempere L et al., Inflamm Bowel Dis 2023; izad001

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