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Brustkrebsmonat

S3-Leitlinie für die Onkologie

Komplementärmedizin unterstützt die Schulmedizin

Barbara Hauter

18.10.2023

Onkologischen Patientinnen sollten ergänzend zur schulmedizinischen Behandlung komplementärmedizinische Therapiemöglichkeiten angeboten werden. Das ist die Kernaussage von PD Dr. med. Daniela Paepke (München). Auf einem Workshop informierte sie über Grundlagen und Grenzen dieser Behandlungsform.

Viele Patientinnen brechen ihre Tumortherapien aufgrund der Nebenwirkungen ab. Schon drei Monate nach Behandlungsbeginn – beispielsweise bei einem hormonsensiblen Tumor, bei dem die Medikamente fünf bis zehn Jahre eingenommen werden müssen – sind es 35 % Abbrecher, nach 18 Monaten werden bereits 46 % der Rezepte nicht mehr eingereicht.

Die Prognosen werden dadurch deutlich verschlechtert. Nicht wenige wenden sich dann an einen der 47 000 Heilpraktiker (> Naturmedizin) in Deutschland. Zur Komplementärmedizin zählen u. a. die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die Homöopathie, die Orthomolekulare Medizin, Phytotherapeutika, Ernährungs- und Sporttherapie (> Sportmedizin), Entspannungstechniken und manuelle Therapie. Seit 2021 existiert die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen“ (> Leitlinien) . Zudem entspricht die Aufnahme der Naturheilverfahren dem Wunsch der Bevölkerung: Regelmäßige Umfragen des Instituts für Demoskopie in Allensbach erbrachten ein stetig steigendes Interesse. Von den onkologischen Patienten nutzen weltweit etwa 40 % ein solches Angebot.  

Lebensstil-assoziierte Interventionen

Sport- und Ernährungsberatung stehen dabei besonders im Fokus: Sie haben eine „Sollte“-Empfehlung erhalten und sind damit ein Muss bei jeder Patientin. Vor allem Übergewicht sollte angegangen werden. Studien zeigen, dass Adipositas nicht nur die Gesamtmortalität, sondern auch die Brustkrebs-spezifische Mortalität der betroffenen Frauen um etwa 30 % erhöht. „Meine Erfahrung ist, dass Patienten, die während der Chemotherapie (> Onkologie) zunehmen, eine deutlich schlimmere Fatigue und eine schlechtere Verträglichkeit der Chemotherapie haben,“ so Paepke. Sie empfiehlt ihren Patientinnen Intervallfasten, mindestens 13 Stunden sollte nachts nicht gegessen werden.

Qualität und Quantität des Essens sollten den Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Ernährung entsprechen. Dabei sollte vor allem ein besonderes Augenmerk auf die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren gelegt werden. Lebensmittel, die Paepke empfiehlt: Leinsamen, Kürbiskern, Sesam und ­Sonnenblumenkerne, da sie reich an zellschützenden Lignanen sind. Auch Brokkoli, Blumenkohl, Kresse, Rucola, Rettich, Radieschen, Meerrettich, Kohlrübe, Raps und Senf sind wegen des enthaltenen Sulforaphans empfehlenswert (Vorsicht: nur leicht dünsten, der Wirkstoff wird durch Hitze ­zerstört); Grüner Tee, wegen des zellschützenden Epigallocatechingallat (Achtung: Nicht während bestimmter Chemotherapien).

Niemand kann die gesamte Komplementärmedizin abdecken. Man muss sich auf eweniges beschränken und das wirklich durchringen.

Zudem sollte immer der Vitamin-D-Spiegel kontrolliert werden, denn 80 % der Tumorpatientinnen haben einen Mangel, der ausgeglichen werden muss. Das Ergebnis ist eine deutlich reduzierte Rezidivrate. Für weitere komplementärmedizinische Therapien rät Paepke: „Es ist nicht möglich, als Arzt die gesamte Komplementärmedizin abzudecken. Man muss sich auf weniges beschränken und das wirklich durchdringen. Für weitere Verfahren ist es dann sinnvoller, die Patientin zu einem spezialisierten Kollegen zu schicken.“

Evidenzbasierte Therapien

Paepke beschäftigt sich bereits ihr gesamtes Medizinerleben mit der Komplementärmedizin. Einige Beispiele aus der anthroposophischen Medizin: Viele Patienten fragen nach Misteltherapie. Mit Recht, denn sie hat unter den komplementären Methoden das höchste Level of Evidence und gehört zu den am häufigsten verordneten komplementärmedizinischen Krebstherapien. Eine Metaanalyse über 49 Studien zu Iscador zum Beispiel erbrachte einen entscheidenden Vorteil beim rezidivfreien Überleben (HR 0,59; 95%-KI 0,53–0,66; p < 0,0001) [1]. Weitere Metaanalysen bestätigen die Wirkung zur Verbesserung der Lebensqualität, nicht aber zur Verlängerung der Lebenszeit. Sie zeigt keine Interaktion mit Hormon- oder Chemotherapie (> Onkologie). Auch die Wirkung von Trastuzumab in der Behandlung von HER2-positivem Mammakarzinom wird demnach nicht beeinträchtigt.

Im Vergleich zu anderen Ansätzen schneidet die Misteltherapie bei Fatigue erfolgreich ab. Das Syndrom ist eine häufige unerwünschte Nebenwirkung von Krebstherapie, bis zu 90 % der Patientinnen leiden während der Therapie darunter, chronische Fatigue stellt sich bei bis zu 50 % ein. In den Leitlinien zur Fatigue-Behandlung hat Sport mit mindestens 150 Minuten pro Woche eine „Soll“-Empfehlung – ein Pensum, das mit Fatigue kaum zu schaffen ist. Qigong und Yoga erhalten bei Fatigue ein „Sollte“, Akupunktur ebenso wie Ginseng ein „Kann“. Die Wurzel, die traditionell gegen Erschöpfung eingesetzt wird, hat in vier aktuellen Studien mit der empfohlenen Dosis von 1 000 bis 1 500 mg/Tag allerdings keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. Nur eine Studie mit einer deutlich höheren Dosierung von 2 000 mg/Tag konnte eine Verbesserung zeigen. Auch die Ergebnisse zu Wechselwirkungen sind unklar. Deswegen wird der Einsatz von Ginseng unter laufender Therapie und beim hormonsensiblen Mammakarzinom nicht empfohlen.

Bei Fatigue ist daher die Mistel eine Option, auch wenn sie nur eine „Kann“-Empfehlung bei Patientinnen mit soliden Tumoren hat. An der TU München ist sie seit 15 Jahren fester Therapiebestandteil. Vor allem, weil die Mistel neben der Verbesserung der Fatigue weitere Wirkungen zeigt: die Schlafqualität verbessert sich, die Infektanfälligkeit ist vermindert, die Stimmung hellt sich auf, das Frösteln lässt nach, die Leistungsfähigkeit nimmt zu, die Neutropenie-Rate verringert sich, die Apoptose der Krebszellen wird angeregt.

Wirksame Bestandteile der Mistel sind die Mistellektine – zuckerhaltige Proteine, die zytostatisch wirken und das Zellwachstum hemmen – und ­Viscotoxine, eine eiweißhaltige Verbindung ähnlich einem Schlangengift. Es wirkt zytolytisch, kann die Zellmembran der Tumorzellen zerstören und damit die Aktivität der T-Zellen und der Granulozyten ­stimulieren.

Hilfe zur Selbsthilfe

Patientinnen sind oft überwältigt vom Gefühl der Hilflosigkeit und möchten selbst handeln. Dazu bietet die anthroposophische Medizin eine Fülle von Möglichkeiten: Äußere Anwendungen wie Fußbäder oder Wickel zum Beispiel, die die Patientinnen selbst anwenden können, werden begeistert angenommen. Prototyp eines Wickels ist der feucht-heiße und feucht-warme Wickel. Er erhöht die Durchblutung und führt je nach Temperatur Wärme zu oder ab, wirkt auf die tiefer liegenden Organe und beeinflusst Stoffwechselprozesse, Immunsystem und Psyche. Nach dem jeweils behandelten Organ oder Körperbereich werden sie Brust-, Leber-, Bauch-, Pulswickel genannt, oder nach dem zugesetzten Agens Arnika-, Calendula-, Zwiebelwickel, oder nach beidem.

Schafgarben-Leberwickel können unter Chemo­therapie zur Entlastung der Leber eingesetzt werden.

Stressbewältigung ist ein wichtiger Bestandteil der Komplementärtherapie

Die Anwendung mindert die Fatigue. Anwendungen mit Zitrone helfen gegen Hitzewallungen und ­Erschöpfung. Lavendel in Form von Fußbädern oder einem Öl oder Salbe kann bei Schlafstörungen und Angst eingesetzt werden. Ein Aurum lavandula comp. Salbenwickel hilft bei seelischer Erregung, Herzklopfen und Unruhe.

Gegen Blasenentzündungen wirkt ein Eukalyptusöl-Blasenwickel. Solum Öl, ein Moorextrakt aus Hochmoortorf (Solum uliginosum), auf den gesamten Körper verrieben, löst ebenfalls Angst. Sauerkrautwickel unterstützen bei Inkontinenz. Eine gute Übersicht über diese Anwendungen gibt die Website www.pflege-vademecum.de, die von Ärzten und Pflegepersonal gemeinsam erstellt wurde. Aus dem Bereich der Phytotherapie empfiehlt Dr. Paepke zum Schlafen Baldrian und Hopfen, für die Wundheilung Arnika, Calendula und Iris germanica (Schwertlilie). Vorsichtig: Arnika wirkt blutverdünnend, in etwa so stark wie ASS 100, und darf daher erst nach den Operationen gegeben werden.

Ein weitere Säule der komplementärmedizinischen Betreuung von Brustkrebspatientinnen(> Mammakarzinom) ist die Mind-Body-Medizin. Zur Auswahl stehen unter anderem MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction), ein Programm zur Stressbewältigung durch gezielte Lenkung von Aufmerksamkeit und durch Entwicklung von Achtsamkeit oder Qigong, eine zur TCM gehörende Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform, die nach chinesischer Vorstellung die Lebensenergie, das Qi, harmonisiert, aber auch nach westlicher Sicht positiv regulierenden Einfluss auf die Körperfunktionen hat.

Wichtig sei, sich für eines zu entscheiden und dies dann intensiv zu betreiben. Der Anbieter der Kurse sollte unbedingt gründlich ausgebildet und in seinem Bereich, beispielsweise der TCM, wirklich zu Hause sein und das Prinzip des Qi verinnerlicht haben. „Wer mit TCM behandelt, der muss das leben und von Pulsdiagnostik bis Kräuterlehre alles beherrschen.“ Heileurythmie ist eine achtsame Bewegungstherapie aus der anthroposophischen Medizin, die Selbstheilungskräfte fördern und das innere Gleichgewicht herstellen kann. Außerdem können durch die Bewegungen Gefühle ausgedrückt werden, für die sonst die Worte fehlen. Sie findet in der Regel in Einzeltherapie statt.  

Bei einigen komplementärmedizinischen Verfahren rät Dr. Paepke aber auch zur Vorsicht. Hyperthermie, eine gezielte Überwärmung des Körpers, dürfe nicht bei Erschöpfung eingesetzt werden. Auch der Einsatz von Darmbakterien sollte überlegt sein. Gibt man sie während der Immuntherapie, dann schlägt die Therapie nicht richtig an. Stattdessen sollte ­lieber die Darmflora durch die Gabe von Flohsamenschalen gepflegt werden, die Vermeidung von Fastfood und das Essen von fermentierten und Vollkornprodukten sowie Trockenobst.

Dr. Paepke fordert: Komplementärmediziner gehören mit ins Tumorboard. Und mehr Ärzte sollten ihre Patienten über komplementäre Verfahren informieren und sich selbst weiterbilden. Als Einstieg empfiehlt sie den Kurs der AG Integrative Medizin AGIMed der AGO, die seit drei Jahren einen von der AGO zertifizierten Kurs zur Integrativen Medizin in der Onkologie anbieten. Die drei Präsenzkurse vermitteln grundlegendes praktisches Wissen, um einige der wissenschaftlich basierten Verfahren dann in der eigenen Praxis auch sicher anwenden zu können: Akupunktur, Wickel/Auflagen, Phytotherapeutika, Schröpfen, Massage, Mind-Body medizinische Techniken, Ernährung, Bewegung und vieles mehr.

Abbildung Mobilgeräte und App

Immer dabei:

Die App Leitlinien­programm Onkologie der Deutschen Krebs­gesellschaft umfasst 33 Leitlinien, u. a. auch die zur onkologischen Komplementärmedizin.

Fazit

Die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen“ stellt für alle in der Onkologie tätigen Ärzte und Therapeuten ein präzises Nachschlagewerk dar. Sie fasst die vorliegende Evidenz übersichtlich zusammen und macht es so möglich, Fragen von Krebsbetroffenen evidenzbasiert zu beantworten, konkrete Empfehlungen auszusprechen und auch vor Maßnahmen zu warnen. Spezifische Fortbildungen spielen eine wichtige Rolle, um das theoretische Wissen um den Nutzen der Komplementärmedizin in der Praxis zu verankern.

1 Ostermann T et al., Complement Med Res 2020; 27: 260–271
Virtueller Fachpresse-Workshop von 21up GmbH und Pomme-med GmbH, München, Juni 2022

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