- Anzeige -
Management

Gebührenordnung für Ärzte

Novellierung der GOÄ - längst überfällig

Dr. med. Klaus Günterberg

14.11.2023

Jede ärztliche Gebührenordnung sollte dem Fortschritt der Medizin und über den Punktwert der Inflation angepasst werden. Bei der GOÄ 96 ist der Punktwert jedoch seit 1996 unverändert. Nach der Sommerpause wird sich auch der Bundestag wieder mit diesem längst überfälligen Thema beschäftigen.

Autorenkommentar

Dr. med. Klaus Günterberg
Gynäkologe
12623 Berlin

dr-guenterberg@t-online.de

Ärztliche KdöR sind bei der aktuellen Rechtslage unfähig und deshalb ungeeignet, wirtschaftliche Inter­essen ihrer Mitglieder, bspw. zur Gebührenordnung oder zu Honoraranpassungen an die Inflation, gegen den Staat – der ja die Aufsichtsbehörde stellt – durchzusetzen. Hinzu kommt: Die Vorsitzenden von KVen, der KBV und der ärztlichen Kammern beziehen in­zwisch­en Gehälter in der Größenordnung von Min­is­terpräsidenten. Da ist nicht zu erwarten, dass sie bei Konflikten mit ihrer Aufsichtsbehörde ihren Posten gefährden oder zurückgeben werden.

Die Struktur der GOÄ ist recht einfach: Ein allgemeiner Teil regelt grundsätzliche Fragen ärztlicher Vergütung, das Leistungsverzeichnis definiert detailliert die Art und über eine Punktzahl den vergleichbaren Wert einzelner ärztlicher Leistungen, neue medizinische Verfahren können vorübergehend, bis zur Übernahme in die GOÄ, über eine Analogbewertung berechnet werden. Die Vergütung jeder Einzelleistung errechnet sich durch Multiplikation ihrer Punktzahl mit einem Steigerungsfaktor und einem Punktwert. Ein erhöhter Zeitaufwand und Erschwernisse bei der Leistungserbringung werden über den Steigerungsfaktor berücksichtigt. Über eine Änderung des Punktwertes kann die GOÄ der Inflation angepasst werden.

Mit dieser Struktur haben die Väter der GOÄ eine Regelung geschaffen, die den individuellen Umständen ärztlicher Tätigkeit gerecht wird, die der medizinischen Entwicklung angepasst werden kann und die auch über eine Änderung des Punktwertes eine einfache Anpassung an die Inflation ermöglicht. Ein kluges, eigentlich ein Generationenwerk. Eine Anpassung ist bei der GOÄ 96 bisher nur bei sehr wenigen Leistungspositionen geschehen, der Punktwert ist seit 1996 unverändert.

GOÄ, Inflation und Kaufkraft

Etwa 10 % der Bevölkerung sind gegenwärtig privat krankenvollversichert, bekommen Rechnungen nach der GOÄ. Die GOÄ betrifft aber auch die Menschen, die privat zusatzkrankenversichert sind, betrifft auch alle Leistungen, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden (sog. IGe-Leistungen) und auch alle Menschen, die als Selbstzahler ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen – insgesamt also einen erheblichen Anteil der Bevölkerung. Dass der Punktwert seit 1996 praktisch unverändert ist und nie an die Inflation angepasst wurde, führte dazu, dass ärztliche Arbeit von Jahr zu Jahr immer schlechter bezahlt wird. Die Größenordnung, um die es bei der Anpassung der GOÄ an die Inflation geht, zeigt die Tabelle.

Grundlage für diese Berechnung sind die staatlich veröffentlichten Werte der Inflation, bezogen stets auf den Vorjahreswert; so wie auch die Wissenschaft, der Staat, die Wirtschaft und die Gewerkschaften die Kaufkraftverluste durch die Inflation berechnen. Dazu wurde ein Warenkorb von 100 EUR (in 1996 noch 200 DM) zugrunde gelegt, für den man, so das Endergebnis, dann Ende 2022 schon 154 EUR ausgeben musste.

Es geht aber nicht allein um das Einkommen der Ärzte. Privatärztliche Leistungen werden zwar nach der GOÄ vergütet, die Honorare aber sind ihre Einnahmen, nicht aber ihr Einkommen. Zwischen Einnahmen und Einkommen liegen Kosten, bspw. für Räume, für Geräte und Material, KV und Ärztekammer, für Versicherungen und für die Mitarbeiter. Ohne eine Anpassung der Einnahmen an die Inflation kann es auch keine Anpassung der Gehälter der MFA und der anderen Mitarbeiter an die Inflation geben.

Allgemeine Anpassungen an die Inflation

Zur Anpassung des Lebensstandards an die Inflation gibt es in unserem Land für die meisten Menschen Regelungen. Lohn- und Gehaltsempfänger werden von Gewerkschaften vertreten, die mit den Arbeitgebern Tarifverträge beschließen. Mitunter wird letztlich noch ein Schlichter hinzugezogen. Zur Besoldung der Beamten, der Richter, der Staatsanwälte und der Soldaten wird der Kaufkraftausgleich berechnet. Mieter haben mitunter eine Indexmiete; damit wird die Miete an den Verbraucherpreisindex gekoppelt. Die Diäten der Abgeordneten von Bund, Ländern und Kommunen sowie die Parteienfinanzierung werden automatisch an die allgemeine Lohnentwicklung angepasst. Die Renten werden jährlich über den Verbraucherpreisindex angepasst. Empfänger des Bürgergeldes erhalten eine Anpassung immer zum 1. Januar.

Zwar können die Steigerungsfaktoren in ärztlichen Rechnungen im Einzelfall und begründet gesteigert werden. Eine generelle Steigerung aller Rechnungspositionen in ärztlichen Rechnungen über die Regelsätze hinaus zum Ausgleich steigender Kosten oder Pauschalhonorare sind aber in Deutschland nicht statthaft. Rechnungen, die gegen Rechtsvorschriften verstießen, wären nichtig. Im Einzelfall wäre für eine Abdingung eine vorherige schriftliche Vereinbarung nötig. Meist führen unbegründete oder überhöhte Steigerungssätze aber dazu, dass die Patienten einen Großteil des Rechnungsbetrages nicht von ihrer Versicherung bzw. Beihilfe erstattet bekommen.

Für den 100-EUR-Warenkorb von 1996 müsste man heute 154 EUR ausgeben.

Das führt dann häufig zum Vertrauensbruch, zum Arztwechsel, zu unterlassenen Arztbesuchen und auch zu Rechtsstreitigkeiten. Eine solche allgemeine Abdingung ist nicht rechtens und daher auch nicht empfehlenswert.

Entwicklung von Infaltion und Kaufkraft 1996-2022

Ärzte und die GOÄ

Freie Berufe handeln, im Gegensatz zu Kaufleuten und Handwerkern, die Bezahlung ihrer Arbeit nie mit ihren Kunden/Klienten/Mandanten/Patienten aus, stets erlässt der Gesetzgeber per Verordnung eine Gebührenordnung und bestimmt auch die regelmäßige Anpassung der Gebührenordnungen an die Inflation. Solche Anpassungen haben andere freie Berufe, bspw. Tier- und Zahnärzte, Apotheker, Hebammen, Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten und Wirtschaftsprüfer, auch regelmäßig bekommen. Nur für Ärzte ist das seit 1996 nicht geschehen, aus mehreren Gründen:

Der Hauptgrund: Jede Anpassung der GOÄ belastet über die Beihilfe für die Beamten sofort und direkt den Haushalt des Staates. Da ist der Staat, der Gesetzgeber, für den eigentlich das Gleichbehandlungsgebot seiner Bürger gilt, am Konflikt beteiligt. Juristen würden dazu sagen: Dieser Richter ist nicht neutral, er steht im Interessenkonflikt.

Ein zweiter Grund: Ärzte wurden bisher zu den Besserverdienenden gerechnet. Dabei wird aber u. a. vergessen, dass Ärzte mit die längste Ausbildungszeit aller Berufe haben und ein Maximum an psychischer Belastung und Verantwortung tragen. Von Ärzten wird auch eine lebenslange Fortbildung gefordert; zu absolvieren in der Freizeit.

Das Einkommen der Ärzte steht auch im Zusammenhang mit ihrer Arbeitszeit, mit Überstunden, Bereitschafts- und Notdiensten, mit Nacht- und Wochenendarbeit. Noch immer beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Ärzte mehr als 50 Stunden – wo ansonst die zulässige Wochenarbeitszeit vollbeschäftigter Angestellter, Stand 2021, bei 40,5 Stunden liegt. Überdurchschnittlich viele Ärzte arbeiten aus sozialer Verantwortung noch weit über das Renteneintrittsalter heraus. In der Summe haben Ärzte wohl die längste Lebensarbeitszeit.

Ärztliche Interessenvertretung

Interessenvertretung braucht körperschaftliche Organisation. Das Grundgesetz garantiert allen Bürgern das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden; das deutsche Körperschaftsrecht gibt für die verschiedenen Zwecke der Bürger zahlreiche Körperschaftsformen vor. Und selbstverständlich müssen sich die Organisationen und Maßnahmen der Interessenvertretung an Recht und Gesetz halten.

Für ärztliche Interessenvertretungen kommen Personengesellschaften (z. B. eingetragener Kaufmann), Aktiengesellschaften, KG oder GmbH nicht, der eingetragene Verein kaum infrage. Infrage kommt, weil Staatseigentum, auch keine Anstalt des öffentlichen Rechts (AdöR).

Es vertreten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die KBV die Interessen der Kassen-(Vertrags-)Ärzte, die Ärztekammern und die BÄK die Interessen aller Ärzte. Dann gibt es noch die ärztlichen Verbände (die Berufsverbände der Haus- und Fachärzte, die Freie Ärzteschaft, MEDI, die IG Med, die PVS, den Privatärztlichen Bundesverband u. a.) und regionale ärztliche Genossenschaften. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften widmen sich rein wissenschaftlichen Aufgaben.

Eine Anhebung des Punktwertes um 5,2 bis 6 %, wie zurzeit im Gespräch, wäre völlig absurd.

Die KVen, die KBV und auch die Ärztekammern ­organisieren als selbstständige Organisationen die Selbstverwaltung ihrer Mitglieder. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) haben sie mit dieser Rechtsform staatliche Aufgaben übernommen und dazu bestimmte Hoheitsrechte bekommen. Mit der Annahme dieser Rechtsform haben sie sich aber auch staatlicher Weisung und Aufsicht unterworfen, ihre Souveränität abgegeben. Während AdöR, bspw. die Rundfunkanstalten, vom Staat finanziert und im Eigentum des Staates sind, sind KdöR von den Mitgliedern finanziert und in deren Eigentum. Für die Verbindlichkeiten einer Körperschaft haften die Ei­gen­tümer. KdöR sind insolvenzunfähig; ggf. haften die Mitglieder. KdöR sind in ihren Leistungen steuerfrei. Werden sie allerdings privatwirtschaftlich tätig, so unterliegen auch sie der Ertrags- und Umsatzsteuer(USt.)-Pflicht.

Letztlich kommt als einzige Körperschaft für eine wirksame wirtschaftliche Interessenvertretung der Ärzte, die GOÄ ist nicht das einzige Problem, nur eine Körperschaft infrage: die Genossenschaft. Sie allein bietet Freiwilligkeit, Beitragsgerechtigkeit, die Möglichkeit von Einnahmen über kaufmännische Tätigkeit, Kostensenkung über Einkaufsgemeinschaft, eine außenstehende und staatlich unabhängige Aufsicht über die satzungsmäßige Verwendung der Mittel und sogar eine Gewinnausschüttung bei erfolgreicher kaufmännischer Tätigkeit. Die Rechtsform der Genossenschaft ermöglicht auch die Bildung einer Rücklage, zu der der Staat weder Einblick noch Zugriff hätte. Mitglieder, die durch Maßnahmen finanzielle Einbußen hätten, bekämen einen Ausgleich. Für viele, insbesondere für junge Ärzte, wäre das eine existenzielle Voraussetzung für ihre Teilnahme.

Der schwere Weg zur neuen GOÄ

Für die Vergütung der Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung gilt der EBM. Für alle Ärzte gilt die GOÄ; deshalb ist für die GOÄ die Bundesärztekammer zuständig. Die hat inzwischen den Entwurf einer neuen GOÄ dem Gesundheitsminister übergeben, den Inhalt den Ärzten aber verschwiegen. Soweit bekannt geworden, hat dieser Entwurf mit der Struktur der GOÄ 96 nur noch sehr wenige Gemeinsamkeiten. Eine öffentliche Diskussion innerhalb der Ärzteschaft über eine verbesserte GOÄ und über die Höhe eines angemessenen Punktwertes fand aber nicht statt – Demokratie innerhalb einer Organisation sieht anders aus.

Eine Anhebung des Punktwertes in einem Preiskorridor von 5,2 bis 6 %, wie zurzeit im Gespräch, wäre allerdings völlig absurd. Nach immerhin 27 Jahren wären Ärzte erst mit einer Anhebung des Punktwertes um 54 % zwar nicht besser, in ihrem Einkommen aber anderen Bürgern wenigstens wieder gleichgestellt. Will die Ärzteschaft in Zukunft nicht wieder von der allgemeinen Preisentwicklung abgehängt werden, braucht es in einer neuen GOÄ auch eine Klausel zur regelmäßigen Anpassung an die Inflation.

Fazit

Die GOÄ 96 hat eine bewährte Struktur, der zugehörige Punktwert und damit auch die Vergütung ärztlicher Leistungen sind seit 1996 aber unverändert. Die GOÄ muss in ihrem Leistungsverzeichnis dringend der medizinischen Entwicklung angepasst werden und der Punktwert der Inflation.

Eine erweiterte Version des Beitrags finden Sie auf der Website des Autors:
dr-guenterberg.de/Publikationen.

Literatur beim Autor

Bildnachweis: privat

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt