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GYNÄKOLOGIE

Risiken im Überblick

Orale Kontrazeption & Hämostase

Prof. Dr. med. Birgit Linnemann

27.7.2021

Unter der Einnahme oraler Kontrazeptiva kann es zu Veränderungen der Hämostase kommen – und in der Folge zu Thrombosen. Die pathophysiologischen Ursachen sind vielfältig. Dieser Beitrag gibt eine Übersicht.

Während des reproduktionsfähigen Alters erleiden Frauen häufiger venöse Thromboembolien (VTE) als gleichaltrige Männer. Diese Risikoerhöhung wird größtenteils auf frauenspezifische Risikofaktoren wie die Anwendung von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK) und Schwangerschaften zurückgeführt. Trotzdem bleibt das Gesamtrisiko für venöse Thrombosen und Lungenembolien weiterhin niedrig und liegt bei etwa 2–5 pro 10 000 Frauen pro Jahr [1].


Hormone und Hämostase

Estrogene beeinflussen die hepatische Genexpression und verschieben das Gleichgewicht zwischen koagulatorischen und antikoagulatorischen Faktoren hin zu einer erhöhten Koagulabilität. Das Thromboserisiko steigt mit der Höhe der Estrogendosis und in Abhängigkeit von der Gestagenkompenente in entsprechenden Kombinationspräparaten. Bei Anwendung von KHK lassen sich erhöhte Aktivitäten thrombogener Faktoren (Fibrinogen, Prothrombin, Faktor VII, Faktor VIII, Faktor X) und reduzierte Aktivitäten physiologischer Gerinnungsinhibitoren (Antithrombin, Protein S, Tissue Factor Pathway Inhibitor [TFPI]) nachweisen [2,3]. Es resultiert unter anderem eine Resistenz gegen aktiviertes Protein C (erworbene APC-Resistenz), deren Ausmaß mit dem VTE-Risiko korreliert [4].

Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva

Nach wie vor machen KHK in Deutschland den größten Anteil der angewandten Methoden zur Empfängnisverhütung aus. Bereits in den 1960er-Jahren wurde bekannt, dass KHK das Risiko für venöse Thrombosen und in geringerem Ausmaß auch für arterielle Thrombosen erhöhen [5]. Moderne KHK enthalten eine Kombination aus einem Estrogen (meist Ethinylestradiol in einer Dosierung von 20–35 µg) und einem synthetisch hergestellten Gestagen. Die Zusammensetzung bestimmt dabei das Ausmaß der Risikoerhöhung für thromboembolische Ereignisse (Tab. 1). Präparate, die eine niedrige Estrogendosis und Levonorgestrel als Gestagen enthalten, haben das geringste VTE-Risiko [6,7]. In Kombination mit anderen Gestagenen ist das VTE-Risiko zum Teil deutlich höher. Auch für transdermal und transvaginal eingesetzte Kombinationspräparate ist ein erhöhtes VTE-Risiko beschrieben [8]. Das Thromboserisiko ist in den ersten Monaten der Anwendung am höchsten und sinkt im Verlauf des ersten Jahres. Aber auch bei langfristiger Anwendung bleibt für Frauen, die KHK anwenden, ein etwa 2-fach erhöhtes VTE-Risiko bestehen, im Vergleich zu Frauen, die nicht hormonell verhüten [9]. Wird die hormonelle Kontrazeption für mehrere Wochen pausiert, besteht mit der Wiederaufnahme erneut ein vorübergehend höheres VTE-Risiko als bei kontinuierlicher Einnahme. Es erscheint daher nicht sinnvoll, im Fall eines anstehenden operativen Eingriffs, KHK perioperativ zu pausieren. Sofern ein hohes VTE-Risiko postoperativ anzunehmen ist, ­sollte in diesen Fällen eine medikamentöse VTE-­Prophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin oder einer anderen für die Indikation zugelassenen Sub­stanz durchgeführt werden [1].
Das Vorliegen weiterer VTE-Risikofaktoren (z. B. hereditäre Thrombophilie, positive Familienanamnese, höheres Lebensalter, Adipositas, Rauchen) steigert das Thromboserisiko weiter [10]. Entsprechend fordert die erst kürzlich aktualisierte AWMF-S3-Leitlinie zur hormonellen Empfängnisverhütung eine individuelle Risikobewertung durch sorgfältige Anamneseerhebung und unter Einbeziehung aller relevanten Risikofaktoren [11]. Zu den etablierten VTE-Risikofaktoren gehören Lebensalter > 35 Jahre, BMI > 35 kg/m², Rauchen, prolongierte Immobilität, große chirurgische Eingriffe, positive Eigenanamnese für VTE, positive Familienanamnese für VTE sowie asymptomatische Thrombophilie bzw. bei erstgra­digen Verwandten bekannte Thrombophilie (Tab. 2).

Hereditäre Thrombophilie

Inwieweit eine alleinige positive Familienanamnese eine Kontraindikation für die Verordnung von KHK darstellt, wird kontrovers diskutiert. Einige Studien konnten zeigen, dass eine hereditäre Thrombophilie zusammen mit der Einnahme eines KHK das relative Risiko für VTE deutlich steigert [12,13]. Einigkeit besteht heutzutage darüber, dass ein generelles Thrombophilie-Screening vor Erstverordnung eines KHK nicht sinnvoll ist. Mindestens eine hereditäre Thrombophilie lässt sich bei 3–9 % der mitteleuropäischen Bevölkerung nachweisen (Tab. 3). Am häufigsten finden sich milde Thrombophilien wie Faktor-V-Leiden-Mutation (ca. 2–7 %) oder Prothrombin-G20210A-Mutation (ca. 1–2 %). Trotz der hohen Prävalenz dieser Mutationen in der Normalbevölkerung ist das absolute VTE-Risiko bei heterozygoten Anlageträgern niedrig, sofern nicht weitere Risikofaktoren hinzutreten. Eine aktuelle französische Arbeit, die 2 214 Verwandte aus 651 Familien mit bekannter hereditärer Thrombophilie und VTE-Manifestation einschloss, errechnete für Personen mit milder Thrombophilie, aber ohne bisherige eigene VTE-Ereignisse ein jährliches VTE-Risiko von 0,36 % (HR 1,91; 95%-KI 1,30–2,80) und für Personen  mit schwerer Thrombophilie von 0,64 % (HR 3,78; 95%-KI 2,50–5,73) [14]. Allerdings steigt das VTE-Risiko deutlich bei Einnahme eines KHK. So errechnete eine andere Arbeitsgruppe für die Anwendung von KHK bei Frauen mit einer Faktor-V-Leiden-Mutation ein bis zu 45-fach erhöhtes VTE-Risiko [15]. Es ist daher davon abzuraten, Frauen mit Thrombophilie und positiver Familienanamese ein KHK zu verordnen, insbesondere wenn das Indexereignis in jungen Jahren hormonassoziiert oder spontan aufgetreten ist. Wird die Verordnung eines KHK jedoch aufgrund von Begleitumständen oder Komorbiditäten als dringlich erachtet, sollte eine hämostaseologische Abklärung und Beratung erfolgen und die Verordnung eines KHK mit möglichst niedrigem VTE-Risiko erwogen werden. Bei bekannter schwerer Thrombophilie (z. B. angeborene Mangelzustände von Antithrombin, Protein C oder Protein S, Homozygotie für Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-G20210A-Mutation) sollte auf KHK verzichtet werden; in diesen Fällen ist einer estrogenfreien Verhütungsmethode der Vorzug zu geben.


Gestagenmonopräparate

Nach heutigem Kenntnisstand erhöhen Kontrazeptiva mit alleiniger Gestagenkomponente (d. h. orale Präparate mit Desogestrel oder Levonorgestrel ­­bzw. levonorgestrelhaltige Intrauterin-Devices) das VTE-Risiko nicht signifikant. Sie können daher bei Frauen mit erhöhtem VTE-Risiko oder VTE in der Vorgeschichte angewendet werden [1,16]. Dies gilt jedoch nicht für Depot-Medroxyprogesteronacetat (DMPA; sog. 3-Monatsspritze), für das ein etwa 3-fach erhöhtes VTE-Risiko beschrieben ist [17]. DMPA sollte Frauen mit erhöhtem VTE-Risiko nicht verordnet werden.

Kontrazeption unter Antikoagulation

Ist eine Venenthrombose oder Lungenembolie aufgetreten, wird die hormonelle Kontrazeption häufig unmittelbar nach Bestätigung der Diagnose beendet. Dies ist insofern problematisch, da das Absetzen zu einer Abbruchblutung führt, die unter den in der Initialphase höheren Dosierungen oraler Antiko­agulation (z. B. Apixaban, Rivaroxaban) oder einer überlappenden Antikoagulation (niedermolekulares Heparin plus Vitamin-K-Antagonist) stärker ausfallen kann als in der Phase der Erhaltungstherapie. ­Außerdem steigt das Risiko für eine ungewollte Schwangerschaft. Nach aktueller Einschätzung wird der prothrombo­gene Effekt der KHK durch eine volltherapeutische Antikoagulation kompensiert, sodass eine fortgeführte Verhütung mit einem KHK unter vollthera­peutischer Antikoagulation als unbedenklich gilt. In einer Post-hoc-Subgruppenanalyse der EINSTEIN-DVT- und EINSTEIN-PE-Studie, in der das Rezidiv­risiko bei Frauen vor dem 60. Lebensjahr mit und ohne fortgeführte Hormontherapie verglichen  wurde, hatte sich kein Hinweis für eine erhöhte Rate an VTE-­Rezidiven unter fortgeführter Hormontherapie ergeben [18]. Da sowohl die Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) als auch VKA plazenta­gängig und damit potenziell embryotoxisch sind, ­fordert die aktuelle AWMF-S3-Leitlinie für alle ­Frauen, die mit oralen Antikoagulanzien behandelt werden [11], eine sichere Empfängnisverhütung. Zur Minimierung des VTE-Risikos unter Antikoagulation empfiehlt die AWMF-S3-Leitlinie ein Gestagenmonopräparat (oral oder als Intrauterin-Device) oder aber eine Kupferspirale als Mittel der ersten Wahl (sog. estrogenfreie Methoden) (Tab. 4). Entscheidet sich die Patientin zusammen mit ihrem Arzt für eine ­weitere Verhütung mit einem KHK, ist eine Umstellung auf ein Präparat mit Levonorgestrel als Gestagen­komponente zu empfehlen und die Therapie mindestens sechs Wochen vor geplanter Beendigung der Antikoagulation auf eine estrogenfreie Methode ­umzustellen [11].

Hormonassoziierte VTE und Rezidivrisiko

Grundsätzlich haben Frauen nach einem VTE-Erstereignis ein geringeres Rezidivrisiko als gleichaltrige Männer. Innerhalb von einem Jahr erleiden 5,3 % und innerhalb von 5 Jahren 11,1 % aller Frauen ein Rezidiv. Das Rezidivrisiko ist dabei nach hormon-assoziierter VTE geringer als nach spontaner VTE (HR 0,5; 95%-KI 0,3–0,8) [19]. Kohortenstudien berichten ein jährliches absolutes Risiko von 1,1–2,5 % [20-22]. Dem steht ein durchschnittliches Blutungsrisiko unter volltherapeutischer Antikoagulation von etwa 1–3 % pro Jahr gegenüber [23]. Einige Studien berichten sogar über ein höheres Risiko für schwere und klinisch relevante Blutungen bei Frauen im Vergleich zu Männern [10]. In Abwägung von Nutzen und Risiken wird daher eine Antikoagulation nach KHK-assoziierter VTE und bei fehlenden persistierenden Risikofaktoren in der Regel auf 3–6 Monate befristet.

Literatur bei der Autorin

Kontrazeption bei Autoimmunerkrankungen

Blutgerinnungssystem und Immunabwehr arbeiten Hand in Hand, Signale auf Molekülebene ermöglichen eine im Idealfall sinnvolle Koordination. Allerdings kann es bei Störungen des Immunsystems auch zu hämostatischen Problemen kommen. Folglich ist bei einer Reihe von Autoimmunkrankheiten auch die Hämostase gestört – mit Folgen u.a. für die Kontrazeptionsberatung.

Der systemische Lupus erythematodes (SLE) betrifft insbesondere Frauen (Verhältnis Frauen zu Männern 4:1) und ist mit vielfältigen kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert. Zusätzlich tritt begleitend häufig ein Antiphospholipidsyndrom auf, welches zusätzlich das venöse thromboembolische Risiko steigert. Bei stabiler/­inaktiver Erkrankung und fehlendem Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern spricht nichts gegen den Einsatz von KOK (Kategorie 2). Bei Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern oder bereits bestehenden mikro-/makrovaskulären Komplikationen sollten jedoch nicht hormonelle Kontrazeptiva die Methode der Wahl sein.

Etwas anders gelagert ist der Fall bei der Multiple Sklerose (MS). Diese autoimmunbedingte, chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems betrifft ebenfalls häufig Frauen im reproduktiven Alter. Im Gegensatz zu anderen Autoimmunerkrankungen wurde bei der MS ein Rückgang der Krankheitsaktivität während einer Schwangerschaft festgestellt [1], daher lag die Vermutung nahe, dass auch hormonelle Kontrazeptiva den Krankheitsverlauf beeinflussen können.

Ein solcher Zusammenhang wurde in mehreren Studien untersucht. In einem systematischen Review kamen die Autoren zu dem Fazit, dass die Einnahme von oralen Kontra­zeptiva nicht mit einer Steigerung der Krankheitsaktivität einhergeht [2]. Sofern noch keine Immobilisation und damit einhergehendes Thrombose-/Embolierisiko besteht, dürfen KOK eingesetzt werden [3]. Dagegen sollte der Einsatz von Depot-MPA aufgrund des zusätzlich ungünstigen Effektes auf den Knochenstoffwechsel zurückhaltend erfolgen.

1. Vukusic S et al., J Neurol Sci 2009, 286; 114–118
2. Zapata LB et al., Contraception 2016; 94: 612–620
3. Curtis KM et al., MMWR Recomm Rep 2016; 65: 1–103

Bildnachweis: shuoshu (iStockphoto); privat

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