Die chirurgische Behandlung der Axilla beim primären Mammakarzinom befindet sich im Wandel. Dieser Artikel diskutiert klinische Implikationen und plädiert für ein Umdenken in der operativen Strategie – hin zu einer risikoangepassten, patientinnenzentrierten Behandlung.
Während die axilläre Lymphknotendissektion lange als Standard galt, zeigen aktuelle Studien wie INSEMA und SOUND, dass ein Verzicht auf axilläre Eingriffe bei sorgfältig ausgewählten Patientinnen möglich ist – ohne Einbußen bei der onkologischen Sicherheit. Beide Studien belegen, dass das krankheitsfreie Überleben durch den Verzicht auf die Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNB) nicht negativ beeinflusst wird. Gleichzeitig profitieren Patientinnen von einer signifikant verbesserten Lebensqualität durch weniger Schmerzen, geringeres Lymphödemrisiko und weniger funktionellen Einschränkungen. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer individualisierten Therapieplanung und stärken den interdisziplinären Diskurs im Tumorboard.
Von der Radikalität zur Individualisierung
Die axilläre Lymphknotendissektion war über Jahrzehnte ein fester Bestandteil der chirurgischen Therapie des Mammakarzinoms [1,2]. In der Ära der Halsted’schen Radikaloperation galt sie als unverzichtbar, um eine lokale Kontrolle zu gewährleisten und das Ausmaß der Erkrankung zu bestimmen. Doch mit dem Wandel hin zu brusterhaltenden Verfahren und der zunehmenden Bedeutung systemischer Therapien rückte die Frage nach der Notwendigkeit invasiver axillärer Eingriffe zunehmend in den Fokus.
Die Einführung der Sentinel-Lymphknotenbiopsie in den 1990er-Jahren markierte einen Paradigmenwechsel. Sie ermöglichte eine stadiengerechte Diagnostik bei deutlich reduzierter Morbidität. Dennoch blieb die SLNB lange Zeit ein Standard, auch bei klinisch unauffälliger Axilla. Die aktuelle Studienlage stellt nun selbst diesen Standard infrage.
INSEMA-Studie: Intergroup-Sentinel-Mamma-Studie
Die Intergroup-Sentinel-Mamma-Studie (INSEMA) ist eine prospektiv-randomisierte, multizentrische Studie, die Patientinnen mit frühem invasivem Mammakarzinom und klinisch unauffälliger Axilla (cN0) einschloss [3]. Alle Teilnehmerinnen erhielten eine brusterhaltende Operation. Sie wurden in zwei Gruppen randomisiert:
Primärer Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben (DFS), sekundäre Endpunkte umfassten Gesamtüberleben, Lebensqualität und chirurgische Morbidität. Die Ergebnisse zeigten:

SOUND-Studie: Ultraschall als Entscheidungshilfe
Die italienische SOUND-Studie (Sentinel node vs Observation after axillary UltraSouND) verfolgte einen ähnlichen Ansatz, jedoch mit einem Fokus auf die Rolle der präoperativen Bildgebung [4]. Eingeschlossen wurden Patientinnen mit Tumoren ≤ 2 cm (T1) und sonografisch unauffälliger Axilla. Die Randomisierung erfolgte zwischen SLNB und Beobachtung ohne axilläre Operation (Abb. 1).
Die Ergebnisse bestätigten die INSEMA-Daten:
Diese Studie unterstreicht die Bedeutung der präoperativen Bildgebung als Entscheidungshilfe und zeigt, dass moderne Diagnostik chirurgische Eingriffe ersetzen kann – zumindest bei ausgewählten Patientinnen.
Bildgebung statt Skalpell?
Die Rolle der Bildgebung in der axillären Diagnostik hat sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt. Hochauflösender Ultraschall, ergänzt durch elastografische Verfahren und ggf. MRT, erlaubt eine differenzierte Beurteilung der Lymphknoten. In Kombination mit klinischer Untersuchung und Tumorbiologie ergibt sich ein präzises Risikoprofil.
Die Studienergebnisse legen nahe, dass bei sonografisch unauffälliger Axilla und niedrigem Tumorrisiko eine SLNB nicht zwingend erforderlich ist. Dies eröffnet neue Perspektiven für eine nicht-invasive Stadieneinteilung – mit hoher Akzeptanz bei den Patientinnen.
Lebensqualität als zentrales Therapieziel
Die Reduktion chirurgischer Morbidität ist mehr als ein Nebenaspekt. Studien zeigen, dass Lymphödeme, Sensibilitätsstörungen und Bewegungseinschränkungen die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigen – oft über Jahre hinweg (Abb. 2).
Die INSEMA- und SOUND-Daten belegen:
Diese Aspekte müssen stärker in die Therapieplanung einfließen – insbesondere bei älteren Patientinnen oder solchen mit komorbiden Erkrankungen.
Konsequenzen für die klinische Praxis
Die Notwendigkeit einer axillären Operation sollte nicht mehr pauschal angenommen werden, sondern auf Basis der klinischen und bildgebenden Befunde sowie der Tumorbiologie individuell entschieden werden. Die Reduktion chirurgischer Morbidität rückt stärker in den Fokus – insbesondere bei älteren Patientinnen oder solchen mit niedrigem Risiko.
Die Entscheidung über das axilläre Vorgehen sollte im Tumorboard unter Einbeziehung aller Fachdisziplinen getroffen werden, um eine ausgewogene Balance zwischen onkologischer Sicherheit und Lebensqualität zu gewährleisten [4]. Hochauflösender Ultraschall kann in vielen Fällen eine invasive Diagnostik ersetzen und die Wünsche und Lebensumstände der Patientin müssen stärker berücksichtigt werden – nicht nur die Tumorbiologie.

Lassen wir die Axilla jetzt in Ruhe? Die Antwort lautet: Bei sorgfältiger Patientenselektion, ja. Die INSEMA- und SOUND-Studien zeigen eindrucksvoll, dass weniger Chirurgie nicht weniger Qualität bedeutet. Vielmehr eröffnen sie neue Wege zu einer patientenzentrierten, risikoangepassten Therapie des Mammakarzinoms. Die Zukunft liegt in der Individualisierung: weg von dogmatischen Standards, hin zu maßgeschneiderten Entscheidungen – getragen von Evidenz, Empathie und interdisziplinärer Expertise.
Die Autorin
Dr. med. Horia Asrar
Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden Frauenklinik
65199 Wiesbaden
horia.asrar@helios-gesundheit.de
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