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Gynäkologie

Endometriose

Neu denken und behandeln

Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner

8.12.2023

Die Pathophysiologie der Endometriose führt zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität bei den betroffenen Patientinnen. Im Fokus der individuellen Therapie sollte eine adäquate Schmerzlinderung stehen – und im Fokus der überfälligen gesellschaftlichen Diskussion ein tragfähiges Unterstützungskonzept.

In Deutschland werden jährlich rund 28 000 operative Eingriffe aufgrund einer Endometriose durchgeführt. Die geschätzte Prävalenz beträgt 10–15 % [1]. Das heißt, dass etwa 1 von 10 Frauen an Endometriose erkrankt. Diese Patientinnen leiden an vielfältigen körperlichen und psychischen Symptomen. Dazukommen soziale Benachteiligungen durch häufige Fehlzeiten und Leistungseinschränkungen.

Um Verbesserungen für diese Patientinnen zu erreichen, braucht es eine breite politische Diskussion – wie sie bei anderen chronischen Erkrankungen schon lange geführt wird. Es braucht dazu aber auch ­praxistaugliche Therapiekonzepte. Beide Komplexe sind wichtig und werden deshalb im Zuge dieses Beitrags thematisiert.

Die politische Dimension

Ein ernsthaftes Problem bei der Endometriose ist die fehlende adäquate Kostenübernahme für die niedergelassenen Frauenärzte. Eine umfassende Diagnose, Beratung und Einleitung einer Therapie ist dort kaum realisierbar. Wenn die Praxis irgendwann am Ende mit ihrem Latein ist, wird die Patientin ins nächstgelegene Krankenhaus überwiesen, und dort wird operiert.

Das ist leider systemimmanent. Wir haben oft die Situation, dass Niedergelassene die Patientin zur OP in die Klinik überweisen. In unserer Klinik besprechen wir das noch einmal neu mit der Patientin und operieren dann – vielleicht. Das geht bei uns, weil wir ein ambulantes System haben, die Hochschulambulanz, ist aber ein großes Problem für kleinere Häuser oder reine OP-Zentren, die nicht die Möglichkeit der ambulanten Abrechnung haben. Der Aufwand, lange zu beraten, ohne am Ende zu operieren und dann keine Vergütung zu erhalten, ist für sie unwirtschaftlich.

Problematisch ist auch das Verhalten der Krankenkassen. Diese müssten eigentlich Alarm schlagen, wenn die dritte OP bei derselben Diagnose abgerechnet wird. Tun sie aber nicht. Ein Beispiel: Wir betreuen in unserer Klinik eine Patientin, die drei Operationen innerhalb eines Jahres hatte. Als ihr die vierte OP empfohlen wurde, ist sie zu uns gekommen. Und wir haben im Zuge einer Ultraschalluntersuchung gesehen: Sie hat eine Adenomyose – und wurde mehrfach unsinnigerweise operiert.

Das ist leider kein Einzelfall, und hier sollte man sich durchaus die Gelenkersatz-Operationen als Modell nehmen. In Deutschland werden 70 000 Kniegelenke im Jahr ersetzt und die Kassen haben sich im Rahmen der Qualitätssicherung die Verläufe angeschaut und festgestellt: Bei einem Teil war bereits nach 3 Jahren eine Re-OP nötig. Bei genauem Hinsehen fiel dann auf:  Das sind vor allem die Häuser, die eine Fallzahl unter 70 pro Jahr hatten. Seitdem muss eine Klinik eine Mindestanzahl an Fällen vorweisen können.

Als die Arbeitsgemeinschaft Endometriose gegründet wurde, war eins der erklärten Ziele, die hohe Zahl an Operationen zu reduzieren – die zudem oft nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben. Besser aufgehoben sind die Patientinnen in einem Endometriosezentrum mit eigener Sprechstunde. Dort werden alle Optionen neutral erörtert und wenn erforderlich, kommt die Einweisung zur OP dann aus der eigenen Sprechstunde.

Leider ist die Vergütung der Sprechstunden auch in den Zentren noch nicht adäquat. Aber mittlerweile ist es immerhin in der Politik angekommen – auch im zuständigen Gesundheitsausschuss –, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Die diagnostische Dimension

Bei vielen Patientinnen vergehen Jahre, oft ein ­ganzes Jahrzehnt, bis zur Diagnose. Das ist teilweise der Unkenntnis der Patientinnen zuzurechnen, weil viele glauben, dass Dysmenorrhoen und Schmerzen ­„normal“ seien – und das Thema in der Frauen­arztpraxis deshalb erst gar nicht ansprechen. Aber auch dann, wenn die anhaltenden Beschwerden endlich thematisiert werden, kann es noch mehrere Jahre dauern, bis die Diagnose Endometriose gestellt wird.

Es gibt Hinweise darauf, dass die Diagnose umso später gestellt wird, je jünger die Frauen bei Auftreten der ersten Symptome waren. Ein besonders hohes Risiko für eine sehr lange Diagnoseverzögerung haben Frauen mit primärer Dysmenorrhoe, bei denen bereits die erste Menstruation mit Schmerzen verbunden war. Bei ihnen vergehen im Mittel 12 Jahre, ehe die Diagnose gestellt wird. Und das, obwohl 60 % der Frauen mit gesicherter Endometriose angeben, dass der Beschwerdebeginn vor dem 20. Lebensjahr lag [2].

Dauert die Diagnose aber zu lange, dann befinden sich die Patientinnen oft schon in einem chronischen Schmerzsyndrom. Anfangs steht der nozizeptive (inflammatorische) Schmerz durch die Freisetzung von Schmerzmediatoren im Zuge der Menstruation im Vordergrund, die Schmerzen treten meist zyklisch auf (die klassische Dysmenorrhoe). Mit zunehmender Dauer der Schmerzen kommen sekundäre Beckenbodenverspannungen dazu, die dann zu beckenbodenassoziierten Schmerzen und Dyspareunie führen (Abb. 1).

Frauen mit einer primären Dysmenorrhoe haben ein 2,5-fach höheres Risiko, an einem chronischen Schmerzsyndrom zu erkranken. Nach einer Schmerzdauer von 2 Jahren finden sich bereits erste morpho­logische Veränderungen in der schmerzverarbeitenden Hirnsubstanz [3]. Die schnelle Diagnose ist deshalb einer der wichtigsten Punkte, den es zu adressieren gilt.

Gerade bei Adoleszentinnen sollte eine Dysmenor­rhoe ein deutlicher Fingerzeig sein. In einer australischen Befragung von mehr als 4 000 Adoleszentinnen und jungen Frauen zwischen 13 und 25 Jahren berichteten 92 % der Befragten von Menstruationsschmerzen im Mittel bei 6 auf einer visuellen Analogskala (VAS). Zudem berichteten 55 % über azyklische Unterbauchschmerzen einmal monatlich [4].

Problematisch ist es, dass zwischen dem Ausmaß der Endometriose und der Schmerzintensität nicht zwangs­läufig eine Korrelation besteht. Auch „unauffällige“ Untersuchungsbefunde können mit schwersten Schmerzzuständen einhergehen, umgekehrt können Patientinnen mit komplexer Endometriose weitgehend beschwerdefrei sein. Deshalb ist es nicht einfach, diejenigen mit pathologischen Schmerzen zu identifizieren. Dies darf aber kein Grund sein, das ­Problem zu ignorieren. Wir brauchen also die ­Möglichkeit, ein Management für schwere Regelschmerzen anzubieten – und das möglichst für alle Betroffenen.

Das klingt zunächst nach einem sehr dicken Brett, das gebohrt werden muss. Eine mögliche Lösung könnte eine App sein. Wir haben in der Charité vom Innovationsfonds ein Projekt genehmigt bekommen, um eine solche App zur Früherkennung von Endometriose zu entwickeln. Mit deren Hilfe sollen junge Frauen Informationen bekommen: Was ist der Zyklus, was ist normal? Was ist nicht normal? Und was kann man selbst tun – mit Videos, mit Filmen, mit Cartoons.

In einer anschließenden Studie sollen dann 3 000 junge Frauen diese App nutzen. Interaktive Rückmeldungen geben Aufschluss über die Schwere einer Dysmenorrhoe. Patientinnen, die nach 3 Monaten weiterhin schwere Regelschmerzen haben, werden in ein Früherkennungsprogramm eingeladen und erhalten ggf. eine multimodale Therapie.

Es wird  eine „Wartegruppe“ geben, und so besteht die Möglichkeit zu erkennen, dass eine Intervention wirklich eine Verbesserung bringt. Und die entsprechenden Maßnahmen sollen dann in die Früherkennung oder in die Versorgung übernommen werden. Da sind dann auch die Frauenarztpraxen in der ­Niederlassung mit an Bord, denn ein Screening wird anders honoriert. Damit wäre, neben einer vernünftigen Abrechnungsziffer für Endometriose, der Grundstein für eine rechtzeitige Diagnose gelegt.

Die therapeutische Dimension

Da es sich bei der Endometriose um eine hormonelle Erkrankung handelt, ist die medikamentöse hormonelle Therapie eine Basistherapie. Es muss also geprüft werden, ob die Patientin eine Hormontherapie durchführt, und wenn ja, ob diese suffizient ist. Wird noch keine solche Therapie gemacht, sollte eine hormonelle Therapie eingeleitet werden [5].

Das Problem bei der medikamentösen Behandlung mit Dienogest stellt sich wie folgt dar: Viele junge Patientinnen wünschen eine effiziente Therapie ihrer Beschwerden und gleichzeitig eine Kontrazeption, weil aktuell kein Kinderwunsch besteht. Seit der Patentschutz von Visanne® abgelaufen ist, werden häufiger Generika verschrieben – ein Schritt in die richtige Richtung. Darauf kann man sich aber nicht ausruhen. Denn Visanne® und seine Generika sind nicht zur Verhütung zugelassen, weil die entsprechenden Zulassungsstudien fehlen. Zur Verhütung sind sie off label, auch wenn sie die gleiche Ovulationshemmdosis enthalten wie zugelassene Präparate.

Damit fühlen sich viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen unwohl. Die verschreiben stattdessen eher das Kontrazeptivum, das aber nicht zur Behandlung der Endometriose zugelassen ist. Die betroffenen Frauen müssen das dann aus der eigenen Tasche bezahlen. Dieses Dilemma wurde in gesundheitspolitischen Kreisen schon ausgiebig diskutiert und sogar an der G-BA überwiesen. Der hat sich tatsächlich dazu geäußert, in der Form:  Damit die Kassen das übernehmen können, muss die Studienlage eindeutig sein. Und die haben wir nicht für die Kontrazeptiva. Dass jetzt aber Studien zur Wirksamkeit von Kontrazeptiva bei Endometriose aufgesetzt werden, ist mehr als unwahrscheinlich.

Im Zuge der Erstdiagnostik sind fortbestehende Schmerzen unter suffizienter Therapie eine wichtige Indikation zur Laparoskopie mit Entfernung der ­Läsionen, und haben dann oft einen sehr guten ­Effekt auf die Schmerzreduktion, auch auf die Reduktion der zentralen Sensitivierung. In der Rezidivsituation sieht es aber anders aus. Hier sollte die Indikation einer Re-Operation streng geprüft werden.

Durch schmerzbedingte Fehlhaltung kann der gesamte Bewegungsapparat in Mitleidenschaft gezogen werden.

Bei fortbestehenden Schmerzen sollte parallel zur Hormontherapie das Stufenschema der Schmerz­therapie Anwendung finden (Abb. 2).

Analgetika greifen in den akuten nozizeptiven Schmerz ein und wirken antiinflammatorisch. Präparate und Dosierung sollten in der Praxis erfasst werden – ­auch für OTC-Produkte. Denn Einnahmefehler sind häufig.

Nicht steroidale Analgetika (Ibuprofen bzw. Naproxen und/oder Metamizol) gelten gemäß den WHO-Empfehlungen als Erstlinien-Schmerztherapie. Bei längerer Anwendung sollte an Magenschutz gedacht werden. Eine weitere Komponente der Schmerzentstehung können aber auch die glatten Muskeln der Darmwände sein. Daher scheint hier die Kombination von Buscopan und/oder Novaminsulfon sowie Magnesium zusätzlich zur Analgetikatherapie sinnvoll. Der Einsatz von Opiaten sollte streng indiziert sein. Bei stark brennendem Schmerzcharakter muss an eine neuropathische Schmerzkomponente gedacht werden, und daher können auch Gabapentin und Pregabalin versucht werden. Duloxetin und Amitriptylin können ebenfalls als Ko-Analgetika eingesetzt werden [3].

Weitere Bausteine einer multimodalen Therapie sind Ernährung, Bewegungs-/Physiotherapie sowie psychologische Betreuung. Bei der Ernährung ist die Studienlage leider sehr begrenzt. Grundsätzlich gibt es Empfehlungen für eine ballaststoffreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse sowie einem reduzierten Konsum von Zucker, Gluten und tierischen Produkten, also einer antientzündlichen Ernährung. Eine vegane Ernährung führt oftmals zur Beschwerdebesserung [3].

Komplementäre Verfahren können ebenfalls in die multimodale Therapie einbezogen werden. Vor ­allem für Akupunktur und Yoga gibt es Studien, die den positiven Effekt belegen [3]. Neuromodulation scheint einen Langzeiteffekt auf intraabdominale Schmerzen zu haben. Techniken wie progressive Muskelrelaxation, autogenes Training und andere Body-Mind-Verfahren sind sinnvoll und sollten in den Alltag der Patientin integriert werden. Auch Homöopathie, Balneotherapie und traditionelle ­chinesische Medizin können als supportive Maßnahmen eingesetzt werden.

Durch schmerzbedingte Fehlhaltungen kann der gesamte Bewegungsapparat in Mitleidenschaft gezogen werden, vor allem der Beckenboden. Durch zunehmende Schmerzsensitivierung kommt es zu ­Beckenbodenveränderungen, und myofasciale Trigger­punkte modifizieren die Schmerzen dann weiter. Beckenbodenentspannungsübungen können selbstständig durchgeführt werden, zudem können Physiotherapie oder manuelle Therapie über die ­Indikation LWS-Syndrom bei Endometriose verordnet werden [3]. Da Dyspareunie zu einem erheblichen Leidensdruck beiträgt, ist es wichtig, auch dieses ­Thema mit der Patientin zu besprechen.

Ein weiterer wichtiger Faktor im Krankheitsgeschehen ist die Psyche. Neben der reduzierten gesundheitsbezogenen Lebensqualität treten bei Frauen mit Endometriose gehäuft depressive Symptome und Angststörungen auf. Achtsamkeitsbasierte psychologische Interventionen scheinen in diesen Fällen wichtig im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität zu sein. Gegebenenfalls sollte eine psychologische Begleitung angesprochen und eingeleitet werden [3].

Fazit: Bei Endometriosepatientinnen liegt auf Grund der Jahrelangen Schmerzprobelmatik oft bereits einen zentrale Sensitivierung vor.

1 Römer T, Med Monatsschr Pharm 2012; 35: 44–51
2 Mechsner S, Dtsch Ärztbl 2022; 119: A-660 / B-548
3 Mechsner S, Schmerz 2023; DOI 10.1007/s00482-023-00747-0
4 Armour M et al., J Pediatr Adolesc Gynecol 2021; 34: 135–43
5 Mechsner S, Schmerz 2021; 35: 159–71

Bildnachweis: Pikovit44, StudioM1 (gettyimages), privat

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