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Allgemeinmedizin

Multiresistente Erreger

Auch in der Ambulanz ein Problem

Prof. Dr. med. Petra Gastmeier

Etwa die Hälfte der Infektionen mit multiresistenten Erregern (MRE) steht im Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt. Inzwischen sind jedoch sehr viele Patienten bereits ambulant mit MRE besiedelt. Für die Medizin stellen Multiresistenzen daher ein wachsendes Problem dar, das sich durch die falsche Anwendung von Antibiotika zusätzlich verschärft.

Antibiotikaresistenzen gab es schon immer. Dabei unterscheidet man zwischen der natürlichen Resistenz von bestimmten Bakterien gegenüber bestimmten Antibiotikagruppen und der erworbenen Resistenz. Eine Resistenz kann durch Mutation erworben werden oder durch die Aufnahme von Resistenzgenen (z. B. über Plasmid-Transfer). Alle Menschen haben viele Billionen von Bakterien und andere Mikroorganismen in ihrem Körper, die Gesamtheit dieser Erreger ist das Mikrobiom. Unter diesen Erregern sind auch immer Bakterien mit Resistenzgenen. Bei entsprechenden Untersuchungen wird bei den meisten Patienten keiner der häufigsten multiresistenten Erreger nachgewiesen. Aber wenn aus einzelnen resistenten Bakterien eine große Anzahl wird, zum Beispiel während einer Antibiotikaanwendung und der dabei resultierenden Selektion der multiresistenten Erreger, erfolgt der mikrobiologische Nachweis der multiresistenten Bakterien. Auch andere Medikamente können dazu führen, dass ein Teil des Mikrobioms geschädigt oder zerstört wird und damit andere Erregerarten wie diejenigen mit Resistenzeigenschaft davon profitieren und sich ausbreiten. Bereits Alexander Fleming warnte unmittelbar nach seiner Entdeckung des Penicillins vor der Resistenzentwicklung gegenüber Antibiotika. In den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam es dann zum vermehrten Nachweis von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Da S. aureus ein sehr häufiger Erreger von schweren Infektionen ist und mit der Methicillinresistenz auch eine Resistenz gegenüber den meisten anderen zur Behandlung von S.-aureus-Infektionen eingesetzten Antibiotika verbunden ist, hat man verschiedene, teilweise sehr restriktive Maßnahmen zur Prävention der Ausbreitung eingeführt. Die Besorgnis über das vermehrte Aufkommen von S. aureus rührte vor allem daher, dass zur damaligen Zeit nur ein anderes Antibiotikum existierte, das für die Therapie eingesetzt werden konnte (Vancomycin), welches jedoch nicht in alle Körperregionen penetriert und damit für die Therapie nicht genutzt werden konnte. Zudem fürchtete man, dass in Kürze auch Vancomycin-resistente S. aureus (VRSA) auftreten könnten. Glücklicherweise wurden in den Folgejahren nur sehr vereinzelte Fälle von Vancomycin-resistenten S. aureus nachgewiesen. Außerdem wurden neue Antibiotika entwickelt, die zur Therapie von MRSA-Infektionen eingesetzt werden können (z. B. Linezolid, Daptomycin).

Häufigkeit verschiedener multiresistenter Erreger

Über viele Jahre hinweg waren MRSA die häufigsten multiresistenten Erreger. Seit ca. 2014 beobachten wir hier – wie in vielen anderen Ländern –eine deutliche Reduktion, deren Ursache nicht gesichert ist. Die Inzidenz der invasiven MRSA-Infektionen hat sich seitdem um mehr als 50 % reduziert.[1] Gleichzeitig ist es zu einem deutlichen Anstieg der Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE), Enterococcus faecium, gekommen sowie zu einem Anstieg von multiresistenten gramnegativen (MRGN) Bakterien. Hier hat man 2011 eine neue Nomenklatur im Hinblick auf die Empfehlungen von Präventionsmaßnahmen eingeführt: Sofern ein Bakterium gegen alle vier der wichtigsten Antibiotikaklassen zur Behandlung von Infektionen mit gramnegativen Erregern (Acylureidopenicilline, 3./4.-Generations-Cephalosporine, Carbapeneme, Fluorochinolone) Resistenz zeigt, bezeichnet man diese Bakterien als 4MRGN. Sofern noch eine dieser Klassen wirksam ist (meist Carbapeneme) wird von 3MRGN gesprochen.[2] Die häufigsten gramnegativen multiresistenten Erreger sind die Extended Spectrum β-Lactamasen(ESBL)-bildenden Bakterien. Dieser Resistenztyp wird besonders häufig bei E. coli und Klebsiellen gefunden.

Sowohl VRE als auch E. coli und Klebsiellen haben ihr natürliches Habit im Darm der Patienten, sodass sie ausschließlich über Kontakt übertragen werden. Auch MRSA werden fast immer über physischen Kontakt übertragen. Ausnahmen sind hier nur Transmissionen bei Patienten mit floriden Haut- oder Atemwegsinfektionen mit diesem Erreger. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über das Auftreten von nosokomialen Infektionen mit diesen Erregern in deutschen Krankenhäusern nach den Daten des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS). Es ist zu erkennen, dass inzwischen Infektionen durch gramnegative multiresistente Erreger sowohl in Intensivstationen wie in Normalstationen dominieren.

Die Kolonisationsraten mit multiresistenten Erregern auf den beiden Stationsarten sind wesentlich höher und werden in erster Linie vom Umfang der Screening-Untersuchungen bestimmt. In den deutschen Krankenhäusern, in denen nahezu alle Patienten bei Aufnahme auf MRSA gescreent werden, betrug die Gesamtprävalenz im Mittel 1,2 %. Weniger als 10 % dieser Patienten erwerben den MRSA während des Krankenhausaufenthaltes, mehr als 90 % von ihnen sind bereits bei Aufnahme besiedelt.

Zusammenhang von Multiresistenz und Krankenhausinfektionen

In Deutschland treten pro Jahr ca. 500.000 nosokomiale Infektionen auf. Etwa 30.000 Patienten mit nosokomialen Infektionen haben eine Infektion mit multiresistenten Erregern, das entspricht einem Anteil von 6 %. Basierend auf der Verteilung der nosokomialen Infektionen nach Erregerarten und den aktuellen Resistenzraten kann man hochrechnen, dass pro Jahr ca. die Hälfte davon Infektionen durch die grampositiven Erreger MRSA und VRE sind und die andere Hälfte durch multiresistente gramnegative Infektionen hervorgerufen werden. Der Anteil der nosokomialen Infektionen durch 4MRGN wird auf etwa 1,5 % der nosokomialen Infektionen mit multiresistenten Erregern geschätzt.

Die Europäische Behörde für Infektionskrankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) hat hochgerechnet, dass in Deutschland pro Jahr ca. 55.000 Infektionen durch multiresistente Erreger auftreten. Somit ist ca. die Hälfte dieser Infektionen mit einem Krankenhausaufenthalt assoziiert und die andere Hälfte mit Infektionen im ambulanten Bereich. Gleichzeitig hat das ECDC hochgerechnet, dass in Deutschland pro Jahr etwa 2.400 Patienten an Infektionen mit multiresistenten Erregern versterben.[3]

Inzwischen sind sehr viele Patienten bereits ambulant mit multiresistenten Erregern besiedelt. Für die Charité haben wir im Rahmen von wiederholten Screening-Untersuchungen bei repräsentativ ausgewählten Patientengruppen bei Krankenhausaufnahme in den Jahren 2016 bis 2018 zeigen können, dass ca. 12–18 % der Patienten mit ESBL-bildenden Bakterien besiedelt sind und 1–3 % mit VRE.

Ursache und Risikofaktor Antibiotikatherapie

Die Ausbreitung von multiresistenten Erregern wird vor allem durch zwei Faktoren bedingt:

1. Selektion von multiresistenten Erregern durch Antibiotikaanwendung und andere Pharmaka

2. Transmission dieser Erreger

Aktuelle Studien zeigen, dass durch Antibiotikaanwendung und die damit verbundene Selektion das Risiko des Nachweises von multiresistenten Erregern signifikant steigt. In einer kürzlich publizierten Studie wurden die Patienten bei Aufnahme und Entlassung auf die beteiligten internistischen und chirurgischen Stationen in sechs Krankenhäusern auf ESBL-bildende Enterobakterien gescreent, und es wurden sämtliche Antibiotikagaben erfasst. Die ESBL-Neu-Nachweisrate mit und ohne Antibiotikaexposition betrug 22/1.000 Expositionstage bzw. 9/1.000 Expositionstage. Nach den Ergebnissen der adjustierten Regressionsanalyse war die Antibiotikagabe mit einem 2,4-fachen Risiko für den Erwerb von ESBL assoziiert. Die Antibiotika-Monotherapie führte verstärkt zur Kolonisation mit diesen Erregern, mit dem höchsten Einfluss bei den Cephalosporinen gefolgt von Tetracyclin, Makrolid und Cotrimoxazol. Im Median wurden ESBL am Tag 8 nach Antibiotikatherapiebeginn gefunden (Interquartilsabstand: 4–13 Tage).[4] Mit multiresistenten Erregern kolonisierte Patienten unter Antibiotikatherapie oder nach Antibiotikatherapie übertragen diese Bakterien auch häufiger an andere Patienten, weil sie bei ihnen auch in wesentlich höherer Menge nachweisbar sind. Darüber hinaus ist die Häufigkeit der Manipulationen bei den Patienten entscheidend für das Übertragungsrisiko. Das ist neben der hohen Anwendungsrate von Antibiotika der entscheidende Grund, dass Intensivpatienten wesentlich häufiger betroffen sind.

Präventions- und Behandlungsmaßnahmen

Jedes Krankenhaus trifft Festlegungen zu den Präventionsmaßnahmen bei der Behandlung von Patienten mit multiresistenten Erregern. Diese Festlegungen haben die verschiedenen Risikogruppen der Patienten zu berücksichtigen, die epidemiologische Situation und weitere Umstände der jeweiligen Abteilung bzw. des jeweiligen Krankenhauses, sodass die Maßnahmen sich zwischen verschiedenen Krankenhäusern durchaus unterscheiden können. Im Unterschied zum Krankenhaus ist das Übertragungsrisiko im ambulanten Bereich in der Regel deutlich geringer, weil die Patienten seltener unter Antibiotika stehen und weil an ihnen wesentlich weniger Manipulationen vorgenommen werden. Entscheidend ist hier die Beachtung der Händedesinfektion. Bei engem Patientenkontakt (z. B. physiotherapeutische Maßnahmen) sollte darüber hinaus ein Einwegkittel angelegt werden. Die Flächen in der Umgebung des Patienten sollten nach der Behandlung mit einem Flächendesinfektionsmittel desinfiziert werden. Folgende weitere Empfehlungen sollten beachtet werden:

• Durchführung einer Risikobewertung durch den Arbeitgeber und Festlegung der Präventionsmaßnahmen in der eigenen Praxis (Hygieneplan)

• Schulungen der Mitarbeiter zu den regelmäßig in der Praxis vorkommenden multiresistenten Erregern

• Schulungen der Mitarbeiter zu Basis­hygiene­maßnahmen und Umgang mit persönlicher Schutz­ausrüstung und regelmäßige Überprüfung der Umsetzung

• restriktive Verschreibung von Anti­biotika (in den Jahren 2010 bis 2018 wurde der Antibiotikaeinsatz im ambulanten Bereich in Deutschland bereits um 21 % reduziert)

• Informationsweitergabe von Befunden über multiresistente Erreger sowohl von der stationären Einrichtung zum ambulanten Bereich als auch umgekehrt (siehe Infektionsschutzgesetz)

Es ist keinesfalls gerechtfertigt, Patienten wegen des Carrierstatus eines multiresistenten Erregers nicht zu behandeln. Betroffene Patienten und deren Angehörige sind durch Pressemitteilungen über „Killerkeime“ und ähnliche Berichte häufig verunsichert über das Infektionsrisiko bei Kontakten zwischen den Patienten und ihren Angehörigen. Sachliche Informationen sind deshalb wichtig. Patienten und Angehörige müssen wissen, dass multiresistente Erreger in der Regel nur über Kontakt übertragen werden. Mithilfe einer Händedesinfektion kann eine sichere Abtötung der Bakterien erreicht werden.

Bei MRSA-Carriers ist es sinnvoll, eine Dekolonisationsbehandlung durchzuführen, sofern der Patient nicht auch MRSA-besiedelte Wunden oder andere Dekolonisationshindernisse hat. Dabei sollte die Dekolonisation der Nase (z. B. mit Mupirocin) mit einer Dekolonisationsbehandlung der Haut kombiniert werden. Bei den meisten Patienten sind die multiresistenten Erreger über einige Wochen oder Monate nachweisbar, bei einigen Patienten persistieren die Erreger allerdings auch länger.

Was Ärzte Patienten zur Vorbeugung raten können

Für Patienten ist es am wichtigsten, den Kontakt zu und die Aufnahme von multiresistenten Erregern zu verhindern. Dazu dienen folgende Maßnahmen:

• Bei Besuchen im Krankenhaus sollten sie die Händedesinfektion bei Verlassen beachten (und selbstverständlich auch vor dem Besuch des Angehörigen).

• Achtung bei Auslandsreisen: in den meisten Ländern der Welt gibt es wesen­tlich mehr Infektionen durch multi­resistente Erreger im Vergleich zu Deutschland (insbesondere in Asien und Afrika). Deshalb sollte man auf Reisen möglichst auch ein Händedesinfektionsmittel mitführen und es z. B. nach Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Toiletten bzw. vor dem Essen anwenden. Darüber hinaus sollten auf Reisen in Länder mit hohen Resistenzraten keine rohen Lebensmittel verzehrt werden. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die Resistenzraten in ausgewählten Ländern der Welt bei verschiedenen Erregern.

• Auch auf Lebensmitteln in Deutschland wurden Kontaminationen mit multi-resistenten Erregern (vor allem ESBL) nachgewiesen. Durch Sequenzierungsuntersuchungen ist inzwischen bekannt, dass z. B. auf Geflügelfleisch überwiegend solche ESBL gefunden werden, die beim Menschen keine Infektionen hervorrufen. Trotzdem ist die Beachtung küchentechnischer Hygieneregeln wichtig (z. B. Lebensmittel für den rohen Verzehr nicht mit möglicherweise kontaminierten Küchengeräten kontaminieren).

Patienten sollten auch wissen, dass es durch Antibiotikabehandlung zur Selektion von multiresistenten Erregern kommen kann und dass Antibiotika deshalb nur wenn nötig eingenommen werden sollten und bei Virus-bedingten Infektionen ohnehin wirkungslos sind.

Während das Problem der multiresistenten Erreger in der Vergangenheit häufig als Problem der Krankenhäuser angesehen wurde, ist inzwischen klar, dass alle Verschreiber von Antibiotika (Humanmedizin, Veterinärmedizin) und alle Konsumenten von Antibiotika über das Problem der Antibiotikaresistenz gut informiert sein sollten und in Maßnahmen zur Reduktion des Resistenzproblems einbezogen werden müssen (One-Health-Ansatz).

Die Autorin

Prof. Dr. med. Petra Gastmeier
Direktorin Institut für Hygiene und Umweltmedizin
Charité – Universitätsmedizin Berlin

petra.gastmeier@charite.de

[1] Robert Koch-Institut, Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2018, Stand: 01.03.2019
[2] Robert Koch-Institut, Epidemiol Bull 2011: 36: 337–339
[3] Cassini A, Högberg L et al., Lancet Infect Dis 2019; 19(1): 56–66
[4] Tacconelli E, Górska A et al., Clin Micro Infect 2020; 26(1): 87–94

Bildnachweis: Rogotanie (iStockphoto); privat

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