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Allgemeinmedizin

Adipositas

Übergewicht belastet Gelenke

Univ.-Prof. Dr. med. Dieter Christian Wirtz

29.7.2021

Weltweit wird Übergewicht immer stärker zu einem Problem. Adipositas ist mit vielen Komorbiditäten assoziiert, gilt aber auch für Gelenke und Rücken als Risikofaktor. Eine Gewichtsabnahme ist insbesondere bei schon bestehenden Beschwerden indiziert, fällt dann aber anscheinend schwerer als im schmerzfreien Zustand.

Das steigende Übergewicht hat weltweit bereits epidemische Ausmaße erreicht. Laut WHO sterben 2,8 Millionen Menschen jährlich an den Folgen von Übergewicht und Fettsucht.[1] Während die USA als Spitzenreiter mit einer prognostizierten Adipositas-Rate von 50 % im Jahre 2030 voranprescht, befindet sich Deutschland aktuell auf Rang 12 einer Liste, die die OECD-Länder nach der Rate des Übergewichts sortiert.[2,3] Aktuell sind zwei Drittel aller deutschen Männer und sogar die Hälfte der deutschen Frauen übergewichtig. Rund 23 % der Männer und 24 % der Frauen gelten als adipös.[3]

Risikofaktor Arthrose

Neben ernsthaften gesundheitlichen Folgen für den gesamten Körper werden Gelenke und die Wirbelsäule durch das Übergewicht besonders belastet. So staffelt sich das Risiko zur Entwicklung einer Arthrose des Kniegelenks beispielsweise von 2-fach bei Übergewichtigen (BMI > 25), zu 3,1-fach bei Adipösen (BMI > 30) und sogar zu 4,7-fach bei stark adipösen Patienten (BMI > 35) im Vergleich zu einem normalgewichtigen Kollektiv.[4] Auch eine Assoziation mit chronischen Schmerzen des unteren Rückens und Übergewicht ist beschrieben.[5] Damit beginnt ein Teufelskreis. Durch das bereits vorhandene Übergewicht entsteht ein erhöhtes Risiko für Schmerzen des gesamten Bewegungsapparats. Diese führen wiederum zu einer Einschränkung der Aktivität und begünstigen damit eine weitere Gewichtszunahme. Besonders bei Patienten mit starken Beschwerden stellt sich eine Gewichtsabnahme zudem als schwierig heraus (Abb.).[6]

Prinzipiell gilt jedoch: Häufig kann ein Großteil der ­Beschwerden durch konservative Maßnahmen verbessert werden. Allerdings erweist sich die Compliance oft als großes Problem. Adipositas stellt eben doch ein multifaktorielles Geschehen dar. Neben konserva­tiven Maßnahmen zur Verbesserung von Gelenk- und Rückenschmerzen sollte daher auch ein multi­modales Therapiekonzept zur Reduzierung des ­Körpergewichts angestrebt werden. Hierzu gehören vor allem Sport, Bewegung und gesunde Ernährung, aber auch eine psychologische Therapie kann ­indiziert sein. Adipöse Patienten, die zwischen 10 und 19 % ihres Körpergewichts verlieren, zeigen signifikante klinische und funktionelle Verbesserungen bei symptomatischer Kniegelenksarthrose.[7] Generell scheint Gewichts­verlust einen positiven Effekt auf muskuloskelettale Schmerzen zu haben. Die Schmerz­reduktion ist dabei umso höher, je näher der Patient an ein Normalgewicht herankommt.[8]

Trotz intensiver konservativer Therapie und Gewichtsreduktion kann es in einigen Fällen zu einer Beschwerdepersistenz kommen. Zeigen sich dann in einer nativradiologischen Untersuchung ausgeprägte Verschleißerscheinungen und sind Lebensqualität sowie Mobilität eingeschränkt, kann die Indikation zur operativen Therapie gestellt werden. Massiv adipöse Patienten (BMI > 35) bekommen in der Regel zehn Jahre früher als normal gewichtige Patienten eine Hüftgelenksendoprothese. Im Fall der Kniegelenksendoprothese besteht sogar ein Unterschied von 13 Jahren.[9] Bei ausgeprägter Arthrose in den Gelenken ist die Versorgung mit einer Endoprothese ein sehr erfolgreiches Verfahren. So wird die Hüftprothese nicht zu Unrecht als OP des Jahrhunderts bezeichnet.[10] Doch auch bezogen auf den erfolg­reichen ­Verlauf der Operation und auf ein gutes Ergebnis einer endoprothetischen Versorgung wirft das Krankheitsbild Adipositas große Probleme auf, denn erhöht sich der BMI, erhöht sich auch das ­Gesamtkomplikationsrisiko.[11] So finden sich vermehrte Wundin­fektionen, tiefe Infektionen und eine höhere Reoperationsrate bei adipösen Patienten, welche eine Endoprothese erhielten.[12] Daher empfehle ich in der klinischen Praxis nach Möglichkeit die Gewichtsreduktion, bevor ein operativer Eingriff durchgeführt wird. Leider ist dies bei ausgeprägten Beschwerden nicht ­immer möglich.

Fazit:

Das Krankheitsbild der Adipositas stellt ein relevantes und wachsendes Problem in Deutschland dar. Adipöse Patienten haben häufiger muskuloskelettale Beschwerden, beson­ders an Hüft- und Kniegelenken sowie am unteren Rücken. In Folge dieser Schmerzen kommt es zu einer Verminderung der Aktivität und zu einer weiteren Gewichtszunahme. Massiv übergewichtige Patien­ten entwickeln früher im Leben opera­tionspflichtige Verschleißerscheinungen des Bewegungsapparats. Darüber hinaus ist das operative Vorgehen bei diesem Patientengut mit einem höheren Risiko behaftet. Im Zuge der ambulanten Behandlung von übergewichtigen Patienten sollte daher vermehrt der Fokus auf eine nachhaltige Gewichtsreduktion ge­legt werden. Hierzu bedarf es häufig eines multimodalen Therapiekonzepts, um die Compliance der Patienten und die Ergebnisse dauerhaft zu verbessern.

Der Autor

Univ.-Prof. Dr. med. Dieter Christian Wirtz
Direktor der Uniklinik Bonn
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) sowie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU)

1 www.euro.who.int/de/health-topics/noncommunicable-diseases/obesity/news/news/2017/10/world-obesity-day-understanding-the-social-consequences-of-obesity, Stand 05.10.2020
2 Ward ZJ et al., N Engl J Med 2019; 381(25): 2440–2450
3 Robert Koch-Institut 2014, Studie DEGS1, Erhebung 2008–2011
4 Reyes C et al., Arthritis Rheumatol 2016; 68(8): 1869–1875
5 Koyanagi A et al., BMC Public Health 2015; 15: 123
6 Masheb RM et al., Obesity 2015; 23(9): 1778–1784
7 Messier SP et al., Arthritis Care Res 2018; 70(11): 1569–1575
8 Dunlevy C et al., Eur J Pain 2019; 23(8): 1403–1415
9 Changulani M et al., J Bone Joint Surg Br 2008; 90(3): 360–363
10 Learmonth ID et al., Lancet 2007; 370(9597): 1508–1509
11 Ward DT et al., J Arthroplasty 2015; 30(Suppl 9): 42–46
12 DeMik DE et al., J Arthroplasty 2018; 33(10): 3281–3287

Bildnachweis: Christian Ahrens, Köln/UK Bonn

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