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Gynäkologie

Gendermedizin

Ein Notfall in der gynäkologischen Praxis

Dr. med. Dr. rer. nat. Peter Schlüter

12.4.2024

Eine Patientin ist zur Vorsorgeuntersuchung angemeldet und verlässt die Praxis im Notfallwagen Richtung Kardiologie. Was war passiert? Eher zufällig wurde ein akutes Koronarsyndrom entdeckt. Solche Fälle sind in der gynäkologischen Praxis häufiger als man denkt – und müssen dann auch korrekt abgerechnet werden.

Die Ausbildung der Keimdrüsen legt das gonadale Geschlecht fest und die Ausbildung der äußeren Geschlechtsmerkmale bestimmen das genitale ­Geschlecht. In der heutigen Gesellschaft spielen zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle: das psychische Geschlecht und das soziale Geschlecht. ­Ersteres wird durch die Geschlechtsidentität im Zuge der Selbstidentifikation bestimmt, Letzteres durch von außen kommende soziale Zuweisung von ­Geschlechterrollen.

Entwickelt wurde die Gendermedizin in den 1990er-Jahren, im Zuge der geschlechtsspezifischen Erforschung und Behandlung von Krankheiten. Sie ist Teil der personalisierten Medizin, die sich mit dem durch soziales Umfeld und Geschlechterrollen-­Vorstellungen zugewiesenen Geschlecht beschäftigt. Dabei sind das biologische und das soziale Geschlecht zu unterscheiden. Diese stehen sich nicht grundsätzlich diametral gegenüber, sondern sind vielmehr durch verschiedene Faktoren miteinander verbunden. Hierzu gehört das genetische Geschlecht, das durch Geschlechtshormone determiniert wird.

Die Gendermedizin als solche widmet sich neben den sozialen und psychologischen Unterschieden vor allem den Symptomen und Ausprägungen von Krankheiten bei Frauen und Männern. Bekannte Beispiele hierfür sind Suchterkrankungen, die bei Männern deutlich häufiger als bei Frauen vorkommen, oder Depressionen, die wiederum bei Frauen deutlich häufiger beobachtet werden. Auch das unterschiedliche Gesundheitsbewusstsein, Unterschiede in der Wirksamkeit von Medikamenten oder auch die Unterschiede im Suchtverhalten sind Schwerpunkte der Gendermedizin.

Ein weiteres wichtiges Beispiel aus dem Praxisalltag sind Herzerkrankungen. Frauen zeigen eine signifikant andere Symptomatik bei akuten Herzerkrankungen, z. B. beim Herzinfarkt, als Männer. Das führt dazu,dass weibliche Patienten diesbezüglich oft zu spät oder falsch diagnostiziert werden. Gerade ­deshalb müssen in der Diagnostik wie auch in der Therapie noch viel bewusster als bisher geschlechtsspezifische Unterschiede beachtet werden.

Für die eingehende Beratung, die mehr als 20 Minuten in Anspruch nimmt, lässt sich die GO-Nr. 34 berechnen.

Das bedeutet letztendlich, dass im Rahmen der geschlechterspezifischen Versorgung für die entsprechende Evidenz gesorgt werden muss. Erst dann wird man die Möglichkeit haben, die Leitlinien entsprechend anzupassen. Dann nämlich können diese Aspekte der Gendermedizin vermehrt auch in die Gynäkologie und den gynäkologischen Praxisalltag einfließen.

Besonders wichtig wäre dies auch im Bereich der Prävention. Hier lässt sich beobachten, dass Frauen zum Beispiel sekundäre und tertiäre Präventionsangebote stärker wahrnehmen als Männer. Doch gerade auf dem Gebiet der Nachsorge ist es wichtig, durch klärende Gespräche unterstützend einzuwirken. So denken beispielsweise im Unterschied zu Frauen immer noch viele Männer, dass nach einer Prostataoperation Schonung wichtig sei, um etwa das Wiederauftreten von Prostatakrebs zu verhindern. Beim Thema Schmerzen werden Frauen eher in die Hysterie-Ecke gestellt, während Männer diesbezüglich eher unterdiagnostiziert sein könnten. Das wiederum liegt zum Teil auch an dem unterschiedlichen Rollenverständnis; weil es ihnen schwerer fällt, Hilfebedarf zuzugeben. So zeigen sich in allen Bereichen der medizinischen Versorgung geschlechterspezifische Unterschiede, die gerade in der Gendermedizin Berücksichtigung finden.

Für die eingehende Beratung der Patientin, die mehr als 20 Minuten in Anspruch nimmt, lässt sich die Gebühr nach GO-Nr. 34 berechnen. Zu beachten ist dabei, dass während der Zeit der Erörterung mit der Patientin keine weiteren berechnungsfähigen Leistungen erbracht bzw. abgerechnet werden dürfen. Die Untersuchung zur Erhebung des Ganzkörperstatus ist in diesem Fall indiziert und wird mit der GO-Nr. 8 berechnet. Für die Infusion (bis zu 30 Minuten Dauer) kann die Gebühr nach GO-Nr. 271 abgerechnet werden. Das EKG nach GO-Nr. 651 gilt als „technische Leistung“ und ist entsprechend den Allgemeinen Bestimmungen mit dem reduzierten Faktor (1,8 bzw. 2,5) zu berechnen.

Auch wenn ein akutes Koronarsyndrom immer noch eher bei Männern vermutet wird, kommt dieses eben auch bei Frauen vor und muss differenzialdiagnostisch unbedingt berücksichtigt werden. ­Hinzu kommt die Tatsache, dass bei Männern und Frauen die typische Symptomatik eines akuten ­Koronarsyndroms deutlich unterschiedlich ist.

In der Konsequenz dieser geschlechtsunterschiedlichen Krankheitsverläufe sind nicht nur im Zuge der Diagnostik, sondern auch im Zusammenhang mit der Therapie die entsprechenden Unterschiede zu berücksichtigen.

Wozu ist die Ärzteschaft verpflichtet, wenn sie zufällig einen Befund erhebt, der außerhalb des eigenen Fachgebiets liegt? Hier könnte ein Urteil des OLG ­Dresden vom Oktober 2023 greifen (Az.: 4 U 634/23), in dem es um den Bericht eines Radiologen ging. Aufgrund der ihm gegenüber dem Patienten obliegenden Fürsorgepflicht habe er „Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für gebotene Maßnahmen zu nehmen ...“ Eine Verpflichtung, den Nebenbefund selbst zu bewerten oder weitere Befunderhebungen in eigener Zuständigkeit zu veranlassen, besteht demnach aber nicht. Deshalb wurde einem klagenden Patienten auch kein Schmerzensgeld zugesprochen.

Der Fall

Wenn sich Rückenschmerzen als Koronarsyndrom outen

Eine Patientin, 64 Jahre, ist zu einer Vorsorgeuntersuchung in der Praxis und berichtet hier über ­akute starke Rückenschmerzen, die nach ihren Angaben seit dem letzten Einkauf, bei dem sie schwer zu tragen hatte, bestehen. Diese Art von Rückenschmerzen habe sie oft und kenne sie deshalb sehr gut, weshalb sie nicht gleich zum Arzt ginge. Sie habe solche Rückenschmerzen auch immer im Zusammenhang mit ihrer Regelblutung gehabt. Nur wären die Schmerzen dieses Mal deutlich anders geartet und die Schmerzmittel hätten auch nicht wie gewohnt geholfen. Bei ihrem Orthopäden sei sie schon gewesen. Der habe jedoch nichts feststellen können. Sie habe aber immer wieder diese starken Schmerzen an der Wirbelsäule, etwa in Höhe der Schulterblätter.

Die gynäkologische Untersuchung wie auch die Urinuntersuchung waren unauffällig. Bei der körperlichen Untersuchung zeigen sich leichte Muskelverspannungen der Rückenmuskulatur. Die Schmerzen werden im Bereich zwischen den Schulterblättern und etwas cranial angegeben. Sie sind aktuell jedoch nicht auslösbar, weder durch aktive noch durch passive Bewegung. Die Beweglichkeit der ­Wirbelsäule ist altersentsprechend reduziert. Die Lunge ist auskultatorisch unauffällig, ebenso das Herz. Zum Abschluss der Untersuchung wird noch die Ableitung eines EKG veranlasst. Hier zeigt sich nun die Ursache der Thoraxschmerzen: eine signifikante ST-Streckensenkung, die auf ein akutes ­Koronarsyndrom hinweist. Die Patientin wird umgehend in der Kardiologie angemeldet und ein Transport mit Sondersignal und medizinischer Transportbegleitung organisiert. Parallel dazu wird ein venöser Zugang gelegt und eine Infusion angeschlossen, sowie die Akuttherapie eingeleitet.

Der Autor

Dr. med. Dr. rer. nat. Peter Schlüter
Arzt für Allgemeinmedizin
Arzt für Naturheilverfahren
76684 Tiefenbach
schlueter@vital-arzt-praxis.de
www.vital-arzt-praxis.de

Dr. Dr. Peter Schlüter ist promo­vierter Naturwissenschaftler und ­Mediziner. Seit 1982 ist er als Arzt für Allgemein­medizin mit betriebs­­wirtschaftlich ­opti­mierter Praxis nieder­gelassen. Als Berater zu allen ­Fragen der Praxisorganisation, Praxis­manage­­ment und ­Abrechnung ist er seit 1987 tätig.

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Bildnachweis: privat

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