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Allgemeinmedizin

Morbus Koch

Viel neues zur Tuberkulose

Dr. phil. nat. Claudia Schierloh

30.1.2024

Das Thema Tuberkulose bleibt ein heißes Eisen. Das liegt an weltweit zunehmenden Zahlen an Erkrankten, aber auch daran, dass die Tuberkuloseforschung viele Neuerungen hervorbrachte, u. a. Therapieerfolge, die Experten als sensationell bezeichnen. Und inwieweit betrifft das Deutschland?

Dem Global Tuberculosis Report 2023 der WHO  zufolge traten in 2021 etwa 10,6 Millionen neue Tuberkulose(TB)-Fälle auf. „Noch nie waren innerhalb eines Jahres so viele Menschen gleichzeitig von dieser Erkrankung betroffen“, meinte Prof. Dr. med. Christoph Lange (Borstel). Die Inzidenz liegt bei 133 : 100 000; etwa 10 % der Erkrankten (1,3 Millionen) versterben. Die Anzahl der Betroffenen mit multiresistenter Tuberkulose ging etwas zurück auf knapp 390 000  (3,9 % MDR-/RR-TB).

In Europa waren die Erkrankungszahlen rückläufig auf weniger als 10 : 100 000. Würde sich der Trend so fortsetzen, wäre die Tuberkulose 2030 in Europa ausgerottet. Dies hält Lange jedoch nicht für wahrscheinlich, insbesondere mit Blick auf die Menschen aus Hochinzidenz-Ländern, die nach Westeuropa kommen und Schutz suchen. Dadurch gebe es Veränderungen bei der Inzidenz, und so fallen derweil 71,4 % der Erkrankungen in Deutschland auf Menschen, die nicht hier geboren sind. Die Inzidenz beträgt hierzulande aber weniger als 5 : 100 000 – demnach eine sehr seltene Erkrankung.

Die TB-Inzidenz wird in Deutschland weiter abnehmen und sich auf 2 : 100 000 einpendeln. Weil TB so selten ist, werden Betroffene erst spät identifiziert werden.

Prävention

Als einzige weltweit zugelassene Impfung steht die mit dem Bacille-Calmette-Guérin (BCG) seit mehr als 100 Jahren für Erwachsene und Kinder zur Verfügung. Cave: Dieser bietet effektiven Schutz für Kinder bis zu 5 Jahren, für Ältere hingegen nicht. Werden Neugeborene damit geimpft, erhalten sie einen Mortalitätsbenefit von 15 Jahren. Über epigenetische Prozesse können Mütter diesen auch an ihre Kinder weitergeben.

Eine weitere präventive, aber fragwürdige Maßnahme wäre das Screnning von Personen, die aus Hochinzidenz-Ländern (≥ 100 : 100 000) stammen. Bei zugewanderten Rumänen traten 269 TB-Fälle in 2021 (6,9 %) auf. Sie liegen damit an erster Stelle, stammen aber nicht aus einem TB-Hochinzidenz-Land  (45 : 100 000). Sollten wir die rund 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die 2022 nach Deutschland kamen und von denen 262 an TB erkrankten, screenen? In der Ukraine herrschte eine Inzidenz von etwa 73 : 100 000, unter den in Deutschland zugereisten Ukrainerinnen und Ukrainern liegt sie unter 20 : 100 000. Von ihnen droht also keine Gefahr.

Vereinfachungen in der Diagnostik

Tongue swabs als Alternative zum Sputum gehören zu den diagnostischen Neuerungen. Der hintere Teil der Zunge erweist sich als sehr klebriges Milieu, in dem sich auch Bakterien sammeln. Eine Studie, die PCR-Testungen von Zungenabstrichen vornahm, ergab, dass Tongue swabs bei laut Sputum-Testung TB-positiven Personen dies auch bei 72 % anzeigten. Falsch-positive Befunde gab es nicht.

Vor Therapiebeginn ist natürlich auch eine Einschätzung möglicher Resistenzen wichtig. Hier existiert mittlerweile ein Konsensuspapier für Mutationen im Genom von TB-Bakterien, die mit Antibiotikaresistenzen assoziiert sind. Anhand des enthaltenen Katalogs lassen sich für alle Medikamente Vorhersagen für Antibiotikaresistenzen treffen. Da passt es, dass die Sequenzierung von Bakteriengenomen mit 40 bis 50 Euro sehr preisgünstig geworden sei, argumentierte Lange. Auch die Gesundheitsämter würden profitieren und bekämen so Informationen über Infektionsketten und eine Vorhersage über Antibiotikaresistenzen. Dies klappe mit manchen Antibiotika besser als mit anderen, funktioniere insgesamt aber sehr gut, weil die TB-Bakterien so konservativ sind. Auf die 4,6 Millionen Basenpaare unterscheiden sich die Stämme zum Teil in weniger als 500 Basenpaaren. Wenn eine Rifampicin-Resistenz vorliegt, ist sie zu 85 % auf eine Punktmutation an rpoB 450 zurückzuführen, so Lange. Entsprechend ist eine Isoniazid-Resistenz in Westeuropa bedingt durch eine Mutation in dem Gen CAT G.

Therapiedauer verkürzen

Therapeutisch setzt man neben der Entwicklung neuer Antituberkulotika auf die Verkürzung der Therapien. Die Standardbehandlung setzt sich bei Erwachsenen zusammen aus einer initialen Phase von 2 Monaten mit der Gabe von Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol und anschließend eine 2-fach-Therapie mit Isoniazid und Rifampicin über 4 Monate.

Paton N et al. verglichen die Wirksamkeit von Hochdosis-Rifampicin (35 mg/kg KG) und Bedaquilin miteinander. Beide Regimes hatten Isoniazid, Pyrazinamid, Ethambutol und Linezolid als Backbone, liefen aber nur über 2 Monate. Die Studie zeigte, dass der Bedaquilin-Arm dem Standard-Regime über 6 Monate nicht unterlegen war (Therapieversagen 5,8 % vs. 3,9 %). Der Hochdosis-Rifampicin-Arm war mit einem Therapieversagen von 11,4 % unterlegen – das weise darauf hin, dass Bedaquilin momentan das beste Tuberkulose-Mittel sei. Allerdings wolle man es vor einer Resistenzentwicklung schützen, deshalb werde dieses Regime weder von der WHO noch in deutschen Leitlinien empfohlen, so Lange.

Ein Gamechanger war die 2020 publizierte Studie von Conradie F et al. zur Therapie der multiresistenten TB, die in einer Zeit entstand, als die Behandlung über 18 Monate mit 4 Medikamenten ging. Das Team verkürzte das Regime auf 6 Monate und 3 Medikamente: Bedaquilin 400 mg/Tag über 2 Wochen, > 200 mg/Mo-Mi-Fr über 24 Wochen; Pretomanid 200 mg/Tag über 26 Wochen; Linezolid 1 200 mg/Tag über 26 Wochen. Ein sensationelles Outcome mit 90 % Behandlungserfolg, befand Lange. Allerdings einhergehend mit schweren Nebenwirkungen wie Polyneuropathie (81 %) und Myelosuppression (48 %) – bedingt durch die Toxizität von (Hochdosis-)Linezolid über die lange Zeit.

Es lag nahe, auf die Dosierung von Linezolid zu schauen. So wurden in der ZeNix-TB-Studie Bedaquilin und Pretomanid in der Standarddosierung plus Linezolid (BPaL) entweder in der Dosierung 1 200 mg/Tag über 6 Monate oder 1 200 mg/Tag über 2 Monate oder 600 mg/Tag über 6 Monate oder 600 mg/Tag über 2 Monate untersucht. Therapieerfolge: 93 %, 89 %, 91 % und 84 %, jeweils bei etwa 20 % Nebenwirkungen.

Eine Studie von „Ärzte ohne Grenzen” testete Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid plus Moxifloxacin (BPaLM) über 6 Monate mit 600 mg Linezolid. Bei 89 % der Betroffenen schlug die Therapie an, die Nebenwirkungsrate lag auch hier bei 20 %. Die Organisation verglich ihr Regime zudem direkt mit dem Standard of Care, der auf einen Therapieerfolg von 52 % kam. Die WHO änderte entsprechend (BPaL oder BPaLM) ihre Empfehlungen zur Therapie der multiresistenten TB im Dezember 2022.

Vortrag von Prof. Dr. med. Christoph Lange „Tuberkulose”, PNEUMO Update 2023, Mainz und hybrid, November 2023

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