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Allgemeinmedizin

Kälteagglutininkrankheit

Der Autoantikörper, der aus der Kälte kam

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

28.7.2023

Bei der Kälteagglutininkrankheit binden Autoantikörper bei niedrigen Temperaturen an rote Blutkörperchen und verklumpen sie. Die chronische Hämolyse wird durch die Aktivierung des klassischen Komplementwegs vermittelt. Das bietet jetzt auch neue Therapieansätze.

Die Kälteagglutininkrankheit gehört zu den autoimmunhämatolytischen Anämien (AIHA). Von allen Patienten mit AIHA haben 20 % Kälteagglutinine, komplementaktivierende, bei niedrigen Temperaturen stark agglutinierende Autoantikörper. Diese Agglutination führt zum Abbau der roten Blutkörperchen und in der Folge zu einer Anämie sowie anderen Komplikationen. Kälteantikörperbeladene Erythrozyten agglutinieren im Körper am ehesten an den Extremitäten, an denen im Vergleich zum Körperkern eine niedrigere Temperatur vorherrscht.

Von dem passageren Kälteagglutinin-Syndrom (häufig nach einem Infekt durch Mykoplasmen, Röteln, EBV u. a.), das oft spontan innerhalb von 3–4 Wochen wieder ausheilt, ist die Kälteagglutininerkrankung (CAD = cold agglutinin disease) abzugrenzen. Sie kann in zwei Hauptformen unterteilt werden: die idiopathische Form, die sehr selten ist und vor allem ältere Menschen betrifft, und die sekundäre Kälteagglutininkrankheit. Diese Form ist auf lymphoproliferative Erkrankungen wie Non-Hodgkin-Lymphom oder chronische lymphatische Leukämie zurückzuführen, auch Autoimmunerkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes kommen infrage.

Ende 2022 wurde mit Sutimlimab der erste Wirkstoff gegen CAD in der EU zugelassen.

Die Symptome können in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung variieren. Leitsymptom ist eine Akrozyanose bei Kälteexposition – reversibel nach Erwärmung – sowie eine Anämie und nach Kälteexposition zusätzlich schubweise akute Hämolysen (Hämoglobinurie). Die häufigsten Symptome wie Blässe, Müdigkeit, Schwäche, Kurzatmigkeit u. a. sind Folgen der Anämie.

Die Diagnose basiert auf einer Kombination aus klinischen Symptomen, Laboruntersuchungen und dem Ausschluss anderer Ursachen für die Hämolyse [1]. Die Laboruntersuchungen umfassen das Differenzialblutbild zur Beurteilung des Hämoglobins und der Anzahl der Erythrozyten und Retikulozyten, Haptoglobin und einen Antiglobulintest (Coombs-Test). Der direkte Coombs-Test ist positiv, der monospezifische direkte Coombs-Test zeigt typischerweise eine Komplementbeladung (C3d, C3c).

Allgemeine Therapiekonzepte

Zur Behandlung der Kälteagglutininkrankheit gehört die Kältevermeidung: Patienten sollten Kälteexposition vermeiden, indem sie sich warm halten, vor allem an Händen und Füßen. Diese Maßnahme kann helfen, Symptome zu reduzieren und die Aktivität der Antikörper gegen die roten Blutkörperchen zu verringern.

Bei sekundärer Kälteagglutininkrankheit ist es entscheidend, die Grunderkrankung zu behandeln, um die Symptome zu lindern. Das kann die Behandlung von Infektionen umfassen sowie die Anpassung von medikamentösen/onkologischen Therapien. Kortikosteroide wie Prednison können bei einigen Patienten die Aktivität des Immunsystems dämpfen und die Hämolyse verringern. Sie sollen aufgrund ihrer Nebenwirkungen nur in schweren Fällen und zeitlich limitiert eingesetzt werden. Das Gleiche gilt für Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Cyclophosphamid. Bei chronischen Fällen mit wiederholten Hämolysen werden daher individuell Biologika und Zytostatika eingesetzt, etwa Rituximab ggf. in Kombination mit Bendamustin.

Abbildung wirkmechanismen Komlementgesteuerter herapien

Komplementgesteuerte Therapien

Die Komplementmodulation zur Behandlung der CAD wurde erstmals 2009 beschrieben und befindet sich in rasanter Entwicklung (Abb.) [2]. Der monoklonale Anti-C5-Antikörper Eculizumab hat sich als fähig erwiesen, die intravaskuläre Hämolyse zu hemmen, die Laktatdehydrogenasespiegel zu senken und Transfusionsbedarf in einer kleinen prospektiven Studie zu senken [3].

Sutimlimab ist der erste humanisierte monoklonale Antikörper zur Therapie der CAD. Der Antikörper antagonisiert selektiv eine Serinprotease des Komplementfaktors C1 und verhindert dadurch die Aktivierung des Komplementsystems. Durch die selektive Hemmung des klassischen Komplementwegs an C1s lässt Sutimlimab die Immunfunktionen des Lektins und der alternativen Komplementwege intakt.

In der Phase-III-Studie CARDINAL zeigte Sutimlimab über 26 Wochen eine rasche und anhaltende therapeutische Wirkung bei Patienten mit CAD mit kürzlich erfolgter Bluttransfusion [4,5]. Basierend auf diesen Daten wurde Sutimlimab von der FDA der Status einer bahnbrechenden Therapie für die Behandlung dieser Erkrankung zuerkannt. Eine weitere Studie bestätigt die positiven Ergebnisse [6].

1 Herold G, Innere Medizin 2022; ISBN 978-3982116617
2 Berentsen S et al., J Blood Med 2019; 10: 93–103
3 Röth A et al., Blood Adv 2018; 2: 2543–9
4 Röth A et al., Ann Hematol 2022; 101: 2169–77
5 Jäger U et al., Blood 2019; 133: 893–901
6 Röth A et al., Blood 2022; 140: 980–91

Weitere Artikel aus dieser Serie finden Sie hier

Bildnachweis: Scaffidi P et al., PLoS Biology 2005; 3: e395

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