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Dermatologie

Malignes Melanom

Sentinel-Lymphknoten-Biopsie – Brauchen wir sie noch?

Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf, PD Dr. med. Philipp Jansen

3.11.2023

Die Zulassung adjuvanter Systemtherapien für Melanompatienten in den AJCC-Stadien IIB/C ohne histologischen Nachweis von Tumorzellen im Schildwächterlymphknoten unterstreicht die Notwendigkeit, Hoch-Risiko-Patienten in niedrigen Stadien mittels Biomarker zu identifizieren, die von einer Systemtherapie profitieren.

Die operative Entfernung des Schildwächterlymphknotens (SLNE) ist ein anerkanntes diagnostisches Verfahren zur Evaluation einer lymphogenen Metastasierung [1-3]. Das histologische Ergebnis („SLN-Status“) fungiert als prognostischer Faktor bei Melanompatienten in den Stadien I/II gemäß der 8. Klassifikation der American Joint Committee on Cancer (AJCC) [4]. Bei histologischem Nachweis einer Metastasierung im SLN erfolgt die Zuordnung der Patienten zum Stadium III, in dem adjuvante Systemtherapien mit zielgerichteter Therapie oder Immuncheckpoint-Inhibition (ICI) zugelassen sind [3].

Stadium IIB/C: adjuvante Therapie unabhängig vom SLN-Status?

Trotz des fehlenden Nachweises einer Metastasier­ung im SLN von Patienten in den Stadien IIB/C ist ihre Prognose vergleichbar mit der von Patienten im Stadium IIIA [1,5,6]. Hieraus wurde die Notwendigkeit einer adjuvanten Systemtherapie auch für die Stadien IIB/C abgeleitet und in Studien geprüft. In der Keynote-716-Studie wurde gezeigt, dass Patienten in den Stadien IIB/C (ohne Nachweis einer Metastasierung im SLN), die adjuvant Pembrolizumab 200 mg Q3W erhielten, ein signifikant verlängertes fernmetastasen- und rezidivfreies Überleben verglichen mit denen unter Placebo aufwiesen [7,8]. Vergleichbare Ergebnisse ergab die CheckMate-76K-Studie, in der in identischer Weise Nivolumab geprüft wurde. Im Jahr 2022 erfolgte durch die EMA die Zulassungserweiterung für Pembrolizumab und im August 2023 die für Nivolumab zur adjuvanten Therapie in den Stadien IIB/C. Diese Beobachtungen und die Zulassungserweiterungen führten zur kontroversen Diskussion, ob die SLNE in diesen Stadien vor Therapie-Initiierung überhaupt durchgeführt werden soll.

Das Dilemma von „Nutzen oder Schaden“

Werden die Studien Keynote-716 (Stadien IIB–C) und Keynote-054 (Stadien IIIA–C, AJCC 7) im Hinblick auf die Anzahl (number needed to treat, NNT) der mit adjuvanter Pembrolizumab-Therapie zu behandelnden Melanompatienten zur Verbesserung des rezidivfreien Überlebens im 1-Jahres-Zeitraum untersucht, so zeigt sich, dass knapp 7 Patienten in den Stadien IIIA–C, aber 14,3 Patienten in den Stadien IIB–C behandelt werden müssen [7,9]. Aufgrund der potenziellen, auch irreversiblen, Nebenwirkungen der ICI und der durch die Therapie entstehenden Kosten ergibt sich daher die hohe Notwendigkeit, Hoch-Risiko-Patienten zu identi­fizieren, die von einer adjuvanten Systemtherapie profitieren – insbesondere falls zukünftig auch ­Patienten der Stadien I/IIA behandelt werden sollen. Hierzu werden aktuell unterschiedliche klinische Studien durchgeführt.

Prognose-Biomarker noch nicht etabliert

In der in Deutschland bereits vollständig rekrutierten NivoMela-Studie (NCT04309409) soll mithilfe eines aus 11 Genen bestehenden Genexpressionsprofils (GEP) evaluiert werden, welche Patienten eine Empfehlung zur adjuvanten PD-1-Blockade im ­Stadium II erhalten sollen [10]. Ein 31-Gen-GEP zielt darauf ab, Patienten mit geringem Risiko in den ­Stadien I/II zu identifizieren, denen keine SLNE mehr empfohlen wird [11]. Ein klinisch-pathologisches ­GEP nimmt anhand von 8 Genen und unter Berücksichtigung von Alter und Melanomdicke (nach ­Breslow) die Differenzierung in „Hoch-“ und „Niedrig“-Risiko-Patient vor [12]: Zum einen soll der Nachweis von Metastasen im SLN vorhergesagt werden können [13], zum anderen wurde der Test für die Identifizierung von Patienten mit hohem Rezidivrisiko trotz eines negativen SLN validiert [14,15].

Zuletzt hat auch der Stellenwert von „liquid biopsies“ zugenommen. Lee et al. und Tan et al. konnten zeigen, dass der Nachweis von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) nach Melanomresektion mit einem höheren Risiko für Rezidiv und Melanom-bezogenen Tod assoziiert war [16,17]. In einer prospektiven Studie (NCT04901988) mit aktuell noch ausstehenden Ergebnissen erhalten Patienten in den Stadien IIB/C mit BRAF-, NRAS- oder TERT-Promoter-Mutationen adjuvant Nivolumab (480 mg Q4W), sobald ctDNA in der Nachsorge detektiert wird. Kürzlich wurde zusätzlich die Detektion von zirkulierender RNA ­unabhängig vom Mutationsstatus als Werkzeug des Therapiemonitorings beschrieben [18].

Bei aktuell fehlenden, in der klinischen Routine zu­­gelassenen Biomarkern kann der SLN-Status unterstützen, den Beginn einer adjuvanten Systemtherapie bei hoher NNT in den niedrigeren AJCC-Stadien abzu­wägen. Bei Patienten in den Stadien IIB/C scheint es wahrscheinlich, dass sie auf eine nuklearmedizinische Untersuchung und die mit der SLNE verbundenen ­Risiken verzichten, wenn sie sich für eine adjuvante Therapie entscheiden. Bis weitere Marker wie GEP und Flüssigbiopsien mit ctDNA oder cfRNA validiert und etabliert sind, werden noch Jahre vergehen.

Fazit

Die SLNE spielt beim Melanom aktuell noch eine wichtige Rolle, insbesondere beim Staging und der Prognoseabschätzung. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Verfügbarkeit therapeutischer Optionen unabhängig vom SLN-Status sowie das Etablieren validierter Biomarker zur Risikoevaluation den Bedarf für die SLNE im kommenden Jahrzehnt so weit reduzieren wird, dass die SLNE zunehmend an Bedeutung verlieren dürfte.

Der Autor

Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf
Direktor der Klinik für Dermatologie und Direktor des Westdeutschen
Tumorzentrums (WTZ)
Universitätsklinikum Essen

dirk.schadendorf@uk-essen.de

Der Autor

PD Dr. med. Philipp Jansen
Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie
Universitätsklinikum Bonn

philipp.jansen@ukbonn.de

1 Gershenwald JE et al., CA Cancer J Clin 2017; 67: 472–92
2 Garbe C et al., Eur J Cancer 2020; 126: 159–77
3 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF), S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms“, AWMF-Reg.-Nr.: 032/024OL, 2020
4 Morton DL et al., N Engl J Med 2006; 355: 1307–17
5 Kanaki T et al., Eur J Cancer 2019; 119: 18–29
6 Garbe C et al., J Clin Oncol 2020; 38: 2543–51
7 Luke JJ et al., Lancet 2022; 399: 1718–29
8 Long GV et al., Lancet Oncol 2022; 23: 1378–88
9 Eggermont AMM et al., Lancet Oncol 2021; 22: 643–54
10 Amaral TMS et al., Eur J Cancer 2020; 125: 38–45
11 Zager JS et al., BMC Cancer 2018; 18: 130
12 Mulder EEAP et al., Cancers (Basel) 2022; 14: 2854
13 Bellomo D et al., JCO Precis Oncol 2020; 4: 319–34
14 Eggermont AMM et al., Eur J Cancer 2020; 140: 11–8
15 Amaral T et al., Eur J Cancer 2023; 182: 155–62
16 Lee JH et al., Ann Oncol 2019; 30: 815–22
17 Tan L et al., Ann Oncol 2019; 30: 804–14
18 Albrecht LJ et al., Clin Transl Med 2022; 12: e1090

Bildnachweis: privat

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