Eine akute COVID-19-Erkrankung kann deutliche Spuren hinterlassen: Long-COVID. Eine objektive Diagnostik und gezielte Therapien sind zwingend notwendig. Auf Basis unterschiedlicher Studien ergeben sich erste Therapieempfehlungen. Wirksame Medikamente könnten zudem aus der Glaukomforschung kommen.
Long-COVID wird aktuell als Ausschlussdiagnose geführt. Die Patienten durchlaufen entsprechend ihrer Symptome verschiedene Fachdisziplinen bis sie über das Ausschlussverfahren zu der Diagnose gelangen. Dieser Weg ist nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte alles andere als wünschenswert. Besser wäre es, ein objektives Kriterium an der Hand zu haben, mit dem eine eindeutige Diagnose gestellt werden kann. Das wäre zudem eine der Grundlagen, die benötigt wird, um auch gezielte, kausale Therapien den Patienten anzubieten. Die beste Therapie wird dem Patienten nicht weiterhelfen, wenn sie nicht den Pathomechanismus anspricht. Damit stellen sich aktuell mehrere Herausforderungen: Benötigt wird etwas, das den Patienten im hier und jetzt als Hilfestellung an die Hand gegeben werden kann. Außerdem sind objektive Diagnostika und gezielte Therapien notwendig.
Studien unterteilen in drei Long-COVID-Subgruppen
Am Universitätsklinikum Erlangen zielen zwei Studien auf die Thematik der Diagnostik und Therapie ab: disCOVer und reCOVer. Beide durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (disCOVer: Etablierung und Evaluierung eines klinischen Algorithmus zur objektiven Long-COVID-Subtypisierung als essenzielle Basis einer effektiven Versorgung, 2490-PC-2021-V14) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (reCOVer: Forschungsvorhaben zu Spätsymptomen von Covid-19 [Long-Covid], 01EP2108A) finanzierte Studien sind eng miteinander verknüpft. In der Studie disCOVer werden die Patienten mit Long-COVID entsprechend eines ablaufenden diagnostischen Algorithmus in drei Long-COVID-Subgruppen unterteilt. Anhand dieser erfolgt anschließend eine Therapieempfehlung. Aktuell wird davon ausgegangen, dass sich die Patienten mit Long-COVID in (I) eine Gruppe mit einer anhaltenden Viruspersistenz, (II) einer viral-induzierten Autoimmunreaktion sowie (III) einer Subgruppe mit Organschäden nach Akutinfektion unterteilen lassen. Entsprechend dieser Subklassifikation wird für Subgruppe (I) eine Booster-Impfung, Subgruppe (II) eine Therapie zur Neutralisierung dieses Autoimmunphänomens sowie für Subgruppe (III) eine spezifische Rehabilitation angeraten. An diesem Punkt ergänzen sich die Forschungsprojekte disCOVer und reCOVer.
GPCR-AAb kann bei Glaukom und Long-COVID eine Rolle spielen
Während Therapien für Subgruppe (I) und (III) als Regelversorgung den Patienten angeboten werden können, gibt es aktuell für die Subgruppe (II) kein zugelassenes Medikament, das diesen Mechanismus bedient. In der Medikamenten-Pipeline befindet sich erfreulicherweise eine Substanz, die in der Lage ist, dieses Autoimmunphänomen anzusprechen – BC007, ein Aptamer, das Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR-AAb) zu neutralisieren vermag.
Aktuell befindet es sich in der Phase II einer Studie für die Indikation einer dilatativen Kardiomyopathie. Nun drängt sich die Frage auf: Wie kommt man auf die Idee, dieses Drug Product für Long-COVID einzusetzen? Diese Frage ist absolut berechtigt. Um sie zu beantworten, muss man „Long-COVID ins Auge blicken”. Aus vorangegangenen Studien aus der Glaukomforschung ist bekannt, dass GPCR-AAb auch bei dem Krankheitsbild Glaukom eine Rolle spielen können. Über die Jahre hinweg zeigte sich, dass GPCR-AAb sowohl mit dem intraokularen Druck als auch mit der retinalen Durchblutung assoziiert zu sein scheinen.
Klinische Symptomatik bei Patienten mit Long-COVID lindern
Als sich dann durch weitere Studien am Universitätsklinikum Erlangen zeigte, dass auch Patienten nach einer COVID-19-Erkrankung eine eingeschränkte retinale Mikrozirkulation und eine Seropositivität für diese GPCR-AAb aufweisen können, wurde das Wissen aus der Glaukomforschung auf das Krankheitsbild Long-COVID übertragen: Die Idee ist, dass die GPCR-AAb in einer ischämischen Umgebung, die bereits bei einer Akutinfektion vorliegt, funktionell aktiv werden. Es wird vermutet, dass es über ein Zusammenspiel von endothelialen und rheologischen Folgereaktionen zu einer Mikrozirkulationseinschränkung bei den Betroffenen kommen kann. An diesem Punkt setzt nun BC007 an. Es soll die GPCR-AAb neutralisieren, hierdurch die Mikrozirkulation verbessern und auf diesem Weg die klinische Symptomatik bei Patienten mit Long-COVID lindern. Dieser Ansatz wird in einer placebokontrollierten Studie weiterverfolgt werden. Interessanterweise hat dieses viral-induzierte Autoimmunphänomen viele Überschneidungen mit der myalgischen Enzephalomyelitis/dem chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Weitere für die Patienten wichtige Informationen und Forschungsansätze lassen sich zudem sicherlich in den Studiendaten zu ME/CFS aus den vergangenen Jahrzehnten gewinnen.
Mehrere aktuelle Studien zu Long-COVID beschäftigen sich unter anderem mit einer viral-induzierten Autoimmunreaktion. Allerdings gibt es derzeit kein zugelassenes Medikament, um dieses Autoimmunphänomen zu neutralisieren. Die Hoffnung liegt auf einer Substanz aus der Herz- und Glaukomforschung: BCOO7, ein Aptamer, das Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR-AAb) neutralisiert.
Die Autorin
PD Dr. med. Dr. rer. biol. hum. Bettina Hohberger
Fachärztin für Ophthalmologie
Molekularmedizinerin
Augenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
Literatur bei der Autorin
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