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Praxismanagement

Spontanes Engagement und Empathie

„Heilsame Kommunikation“ mit Krebspatientinnen

Theresia Wölker

20.10.2023

Offen und bereit sich anderen zuzuwenden, ist das Kernstück ärztlicher Tätigkeit. Dabei ist die heilsame Kraft des Wortes ein unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Tuns – gerade im Umgang mit Krebspatientinnen. Dieser Beitrag gibt Impulse und Anregungen für eine „heilsame Kommunikation“.

Der Begriff „der sprechenden Medizin“ wird als Sammelbegriff für alle ärztlichen Interventionen verwendet, welche die Kommunikation zwischen Arzt und Patient als Wirkfaktor nutzen – im Gegensatz zur reinen Apparatemedizin. Das Wort „heilsam“ umfasst in der deutschen Sprache dabei alles, was beim „Heilwerden“ hilfreich ist. Zugleich sollte heilsame Sprache – auch wenn keine Heilung mehr möglich ist – für den Menschen förderlich, unterstützend, entlastend und vor allem menschlich zugewandt sein.

Sprache als Handwerk

Die Geschmeidigkeit im kommunikativen Umgang mit den Patientinnen wächst mit der beruflichen Erfahrung und dem jahrelangen Training. Und doch kann das komplexe dynamische Beziehungssystem zwischen den Kundinnen der Praxis und dem Praxisteam sich rasch dramatisch verändern, wenn die Diagnose „Krebs“ im Raum steht. Plötzlich spürt man, dass die sonst mühelose Konversation im Sinne des unverfänglichen Small Talks nicht mehr so einfach gelingt. Es kommt vor, dass einem buchstäblich das Wort im Halse stecken bleibt.

Auf existenzielle Bedrohungen wie Tumorerkrankungen, Schmerz und Leid sind wir alle nur bedingt oder gar nicht vorbereitet. Die Konfrontation mit einer Krebserkrankung macht im schlimmsten Fall beide Seiten sprachlos, was stilles Leiden nach sich zieht. Bei aller Wirtschaftlichkeit und bürokratischer Organisation im medizinischen Betrieb muss für eine menschliche Kommunikation Zeit sein, zumindest die Bereitschaft, Gefühle zuzulassen, die richtigen Worte und die heilsamen Verhaltensweisen zu finden.

All das erfordert Mut, vor allem für das Praxisteam und die Offenheit, über Krankheit, Leid und Tod sprechen zu können. Dazu gehören:
∙ die ständige Übung, einfühlendes Zuhören, empathisches Verhalten und gute, stärkende Kommunikation zu trainieren,
∙ die Ehrlichkeit, das eigene Betroffen sein zuzugeben,
∙ eine große Lernbereitschaft, auch, sich den eigenen Ängsten zu stellen,
∙ trotz allem, immer gut für sich selbst zu sorgen und
∙ die eigene psychische Widerstandskraft (Resilienz) zu stärken, um emotional nicht auszubrennen.

Wenn eine Patientin mit der Verdachtsdiagnose „Krebs“ konfrontiert wird, hat sie in der Regel bereits eine umfangreiche Diagnostik, die häufig mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden ist, hinter sich. Eine Zeit des Hoffens und des Bangens, mit allen Hochs und Tiefs, eine emotionale Achterbahn, leider auch mit „sprachlosem Leid“, weil oft eben die medizinisch-apparative Diagnostik mehr in den Vordergrund tritt als die seelische Verfassung der Patientin.

Das Wort verwundet leichter, als es heilt. Johann Wolfgang von Goethe

Beim Aufklärungsgespräch stellt sich die Situation für die Beteiligten grundsätzlich anders dar; man nennt diese Konstellation auch „deformierte Kommunikation“. Denn der Arzt ist „bei der Arbeit“, und die Patientin befindet sich in einer Extremsituation, sie ist die „Betroffene“. Für den Arzt bedeutet das Aufklärungsgespräch ein strukturiertes (Routine-)Gespräch und umfasst in der Regel:
∙ Ziel der Behandlung (Befund und Wirkung der Behandlung)
∙ Ablauf der Behandlung (Therapieplanung, Zeitplan)
∙ zu erwartende Nebenwirkungen
∙ mögliche langfristige Spätfolgen
∙ Nachsorgeuntersuchungen
∙ Verhaltensregeln

Keine Frage, diese Informationen sind wichtig. Aber, während der Arzt diese Punkte quasi „abarbeiten“ muss, beschäftigen die Patientin zur gleichen Zeit möglicherweise ganz andere, elementare Themen, beispielsweise:
∙ Wie konnte das geschehen?
∙ Muss ich nun sterben?
∙ Bin ich bisher falsch behandelt worden?
∙ Was wird aus meiner Familie und unseren Kindern?
∙ Werde ich meine Arbeit behalten, wenn ich länger ausfalle?
∙ Wie wird es weitergehen?
∙ Was hat das für Folgen?

Neben dem hohen Bedarf an Information ist der Wunsch nach einer positiven menschlichen Beziehung zum Arzt – angesichts der Wucht der ­Diagnose – groß. Angst, Panik und Hoffnungslosigkeit brechen über Menschen herein, wenn im Gespräch nicht das Angebot des „Mit-Tragens“ als Arzt und Praxis des Vertrauens und das Wecken von Hoffnung einhergeht. „Wir sind für Sie da“ als spürbare Haltung schafft Vertrauen und fördert günstige Bedingungen. Das entlastet und stärkt die Patientin.

Wie findet man nun die richtigen Worte? Gute, heilsame Kommunikation dauert nicht länger als schlechte, und hat viel mit dem bewussten Umgang mit Sprache, Achtsamkeit und Empathie zu tun. Im Kasten auf der linken Seite haben wir ein paar Beispiele für Sie zusammengestellt. Ansonsten gelten folgende Regeln für den sprachlichen Umgang mit Krebspatientinnen:
∙ Eine gute Balance zwischen Nähe und Distanz, unbedingte Diskretion und das Schützen und ­Respektieren der Privatsphäre muss Ehrensache sein.
∙ Alle Gespräche auf Augenhöhe; bei liegenden ­Patientinnen dazusetzen – nur wenn gewünscht.
∙ Ungeteilte Aufmerksamkeit während der Kommunikation (keinerlei Störungen!): besser achtsame 3 Minuten als „zerhackte“ längere Zeiteinheiten mit dauernden Unterbrechungen.
∙ Tränen und starke emotionale Reaktionen gemeinsam aushalten können: Gesprächspausen zulassen! Einfach da und still sein!
∙ Anteilnahme einfühlsam formulieren:
– „Ja, das muss gerade schlimm für Sie sein.“
– „Ja, das berichten viele unserer Patientinnen genauso.“
∙ Zeit für Zuwendung und Trost: Trösten ist eine Kunst des Herzens. Sie besteht oft nur darin, liebevoll zu schweigen und schweigend mitzufühlen.
∙ Verletzende Worte vermeiden.

Beispiele Patientengerechter Sprache

Beispiel 1

In der Alltagssprache taucht immer noch die Verbindung von Krebs und Kampf auf. „Du musst jetzt kämpfen“, heißt es, oder „Du schaffst das schon“ oder „Wir werden den Krebs besiegen“. Statt unsinniger Kriegsstrategie ist das „Da Sein“ der wichtigste Beistand, den die Praxis leisten kann. Neben der Diagnosevermittlung sind es hoffnungsvolle Worte, die stützen können, wenn alles wegbricht. „Wir sind für Sie da“, „Wir begleiten Sie“, „Sie sind nicht allein“. Hoffnung ist niemals vergeblich, denn sie gilt dem jeweiligen Augenblick, dem gegenwärtigen Moment. Hoffnung ist heilsam, auch für diejenigen, die sich auf das Sterben vorbereiten müssen. Und jede Lebenskrise, auch die letzte, eröffnet die Chance, das herauszufinden, was wirklich zählt, vor allem, dass die Betroffenen in der Lage sind, ihnen wichtige Dinge noch zu regeln und ihren inneren Frieden zu finden. Dabei kann die Fachpraxis als kompetente und verlässliche Begleitung unverzichtbar sein.

Beispiel 2

Dass Strahlen-, Chemo- und zielgerichtete Therapien eine schwere Belastung sein können, gehört zum medizinischen Allgemeinwissen. Die Therapie der Patientin gegenüber als Gift oder mit einem anderen negativen Begriff zu bezeichnen, ist nicht hoffnungsfördernd. Heilsamer sind Formulierungen wie „Sie erhalten jetzt hoch wirksame Medikamente“. So hat die Patientin die Chance, sich eine Therapie zum Verbündeten zu machen und nicht zum Feind, gegen den es zu kämpfen gilt. Dieser psychologische Unterschied kann die Aussicht auf einen Erfolg der Therapie deutlich verbessern.

Beispiel 3

„Ich habe solche Angst vor der (Strahlen-/Chemo-) Therapie“, sagt fast jede Patientin mindestens einmal während längerer Therapiezyklen. Befürchtungen und Ängste verbalisieren zu dürfen und sie zu beschreiben, kann schon eine heilsame Rolle beim Regulieren der emotionalen Aspekte der Furcht spielen. Auch wenn die Angst nicht explizit ausgesprochen wird, kann der aufmerksame Dialog, der Blickkontakt, das sich mit allen Sinnen auf das Gegenüber einstellen, erkennen lassen, was die Patientin jetzt gerade braucht. Präventiv gefragt „Was genau ängstigt Sie am meisten“, kann sehr entlastend wirken. Oder auch die Hinweise an Begleitpersonen/Familienangehörige: „Sie machen sich gerade große Sorgen um Ihre Frau/Ihre Mutter?“, „Ihre Frau/Ihre Mutter ist bei uns in besten Händen, wir kümmern uns gut um sie“, „Sie können mich immer anrufen“. Spontanes Engagement und Empathie kennen ­keine Routine. Sie müssen bei jedem Gespräch, bei jeder Begegnung sozusagen neu justiert werden. Gerade dieser feine Unterschied zur Kälte vieler Klinikbetriebe kann und sollte in der menschlichen, ganzheitlichen und würdevollen Betreuung der Facharztpraxis immer erkennbar und erfahrbar sein.

Fazit

Worte haben einen starken Einfluss auf den Menschen. Im negativen Fall können sie ihn kränken, verletzen, traumatisieren. Im positiven Fall können ­Worte heilen, die Hoffnung fördern und Ressourcen stärken. Dies gilt besonders für Krebspatientinnen. Sie erwarten vom Arzt ihres Vertrauens nicht nur sachbezogene Informationen, sondern auch eine zwischenmenschliche Beziehung, die die emotionalen Grundbedürfnisse erfüllt. Die Begleitung schwerstkranker Menschen dringt tief in deren persönliche Sphäre ein. Deshalb ist heil­same Kommunikation nur möglich, wenn Arzt und Team in der Art und Weise des Patientinnen-Umganges, in der Sprache, in jedem gesprochenen Wort ein tiefes inneres Mitfühlen erkennen lassen – geht es doch tatsächlich um das „Herzstück menschlicher Zuwendung zu Kranken“.

Letztlich sollte die Thematik in den regelmäßigen Mitarbeiterbesprechungen reflektiert und diskutiert werden. Eigene Unsicherheiten und Ängste sollten stressfrei vorgetragen werden dürfen, gegebenenfalls auch in personellen Einzelgesprächen. Wo Kommunikation – auch im Team – nicht ist, ist Angst – und durch eigene Hilflosigkeit ein verstärktes Gefühl von Ohnmacht. Gute Teamkommunikation entlastet und ist somit auch heilsam.

Die Autorin

Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, ­Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)

www.theresia-woelker.de

Bildnachweis: privat

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