In der klinischen Praxis zeigt sich bei älteren Menschen nach einem schweren Sturz eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Verunfallten und den Diagnosen, die in den Unterlagen ihrer Hausarztpraxen vermerkt sind. Diese Unterschiede erschweren eine gezielte Nachsorge und Sturzprävention erheblich. Eine aktuelle Auswertung der SeFallED-Studie aus Oldenburg verdeutlicht, dass die alleinige Befragung der Betroffenen im hektischen Umfeld einer Notaufnahme kein verlässliches Bild der Vorerkrankungen liefert.
Besonders bei Menschen mit ausgeprägter Sturzangst – erfasst mit der Falls Efficacy Scale-International (FES-I) – war ie Übereinstimmung mit den Hausarztdaten deutlich geringer. Dies deutet darauf hin, dass der emotionale Stress nach einem Sturz die Erinnerungsfähigkeit an bestehende Diagnosen beeinträchtigen kann. Ein hoher FES-I-Wert könnte in der Praxis daher als Hinweis auf eine potenziell unzuverlässige Selbstauskunft dienen.
Die Genauigkeit der Angaben hing stark von der Art der Erkrankung ab. Gut erinnert wurden Krankheiten mit klar spürbaren Symptomen und regelmäßiger ärztlicher Betreuung – etwa Diabetes mellitus, Parkinson oder Krebserkrankungen. Dagegen nannten viele Patientinnen und Patienten keine oder unvollständige Angaben zu still verlaufenden, aber sturzrelevanten Diagnosen wie periphere arterielle Verschlusskrankheit, Nierenerkrankungen, Osteoporose oder Gebrechlichkeit. Gerade diese Erkrankungen sind für die multifaktorielle Risikobewertung jedoch entscheidend.
Für die Versorgungspraxis ergibt sich daraus ein deutlicher Handlungsbedarf: Bei der Nachsorge nach Stürzen sollten Hausarztinformationen systematisch einbezogen werden, statt sich allein auf die Patientenauskunft zu verlassen. Ein strukturierter, standardisierter Informationsaustausch mit den Hausärzten und Hausärztinnen wäre wünschenswert, etwa in Form kurzer Diagnoseabfragen, die gezielt relevante Erkrankungen erfassen und den Informationsfluss verbessern.
Auch Alter, Geschlecht und Körpergewicht beeinflussten die Zuverlässigkeit der Angaben: Mit zunehmendem Alter nahmen die Abweichungen zu, Frauen unterschätzten häufiger das Vorliegen einer Osteoporose, und ein hoher BMI war mit Ungenauigkeiten bei orthopädischen und gastrointestinalen Diagnosen verbunden. Überraschend: Die kognitive Leistungsfähigkeit, gemessen mit dem MoCA-Test, war kein signifikanter Faktor – selbst geistig unauffällige Patientinnen und Patienten gaben ihre Krankengeschichte teils unvollständig wieder.
Wichtig bei der Notaufnahme
Fellhölter G et al.: Emergency department visits due to severe falls: comparing patient self- reports and general practitioner records: A cross-sectional study. BMC Geriatr. 2025 Oct 6;25(1):757 (DOI 10.1186/s12877-025-06411-9).