Cholecalciferol in einer Dosierung von 100 000 IE alle zwei Wochen zeigte beim klinisch isolierten Syndrom, der Erstmanifestation einer Multiplen Sklerose (MS), einen Effekt, der mit dem einer krankheitsmodifizierenden Immuntherapie vergleichbar ist, berichtet jetzt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Die gerade in JAMA publizierte Studie unterstreicht die Empfehlung, einen Vitamin-D-Mangel bei Menschen mit MS auszugleichen.
Die aktuelle randomisierte, Placebo-kontrollierte, multizentrische Studie aus Frankreich überraschte mit einem positiven Ergebnis. Sie untersuchte die Wirkung von oralem Vitamin D3 (Cholecalciferol) in einer Dosierung von 100 000 IE alle zwei Wochen auf die Krankheitsaktivität bei Patientinnen und Patienten mit einem „klinisch isolierten Syndrom“ – dem mutmaßlich ersten Symptom einer Multiplen Sklerose. Personen, deren Vitamin-D-Spiegel über 100 nmol/l lag, wurden aus Sicherheitsgründen nicht in die Studie aufgenommen.
Insgesamt 316 Personen mit klinisch isoliertem Syndrom (mittleres Alter, 34 [28-42] Jahre; 70 % weiblich) wurden randomisiert, 288 schlossen die Studie ab. Wie sich zeigte, führte die Vitamin-D-Gabe über zwei Jahre zu einer geringeren Krankheitsaktivität, definiert durch das Auftreten von MS-Schüben und/oder neuen oder Kontrastmittel-aufnehmenden Läsionen im MRT. Krankheitsaktivität wurde bei 94 Betroffenen (60,3 %) in der Vitamin-D-Gruppe und bei 109 (74,1 %) in der Placebogruppe beobachtet (HR: 0,66 [95%CI, 0,50-0,87]; p = 0,004). Die mediane Dauer bis zum Auftreten von Krankheitsaktivität war in der Vitamin-D-Gruppe signifikant länger (432 vs. 224 Tage; p = 0,003). Ebenso wiesen die Ergebnisse der Bildgebung auf einen positiven Effekt der Vitamin-D-Gabe hin: Bei nur 89 der behandelten Patientinnen und Patienten [57,1 %] gegenüber 96 der nicht-behandelten [65,3 %] zeigte sich MRT-Aktivität, neue Läsionen traten bei 72 vs. 87 Patientinnen und Patienten auf, Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen bei 29 vs. 50.
In einer Subgruppenanalyse wurden aus der Studienpopulation gesondert 247 Personen ausgewertet, welche die McDonald-Diagnosekriterien für eine schubförmig remittierende Multiple Sklerose erfüllten, aber noch keine krankheitsmodifizierende Immuntherapien erhalten hatten. Bei ihnen konnten vergleichbare positive Effekte der Vitamin-D-Gabe beobachtet werden.
Hohe Bedeutung einer Vitamin D-Bestimmung zum Krankheitsbeginn
„Dieser Befund könnte bedeuten, dass Vitamin D die Krankheitsprogression nicht nur beim klinisch isolierten Syndrom, sondern auch in der Frühphase der MS signifikant verlangsamen kann“, erklärt der DGN-Generalsekretär Prof. Dr. med. Peter Berlit. „Immerhin wurde in dieser Studie durch die Vitamingabe eine Schubratenreduktion erzielt wie unter einem Immuntherapeutikum. Daher muss dieser Therapieansatz weiter untersucht werden, möglicherweise auch in Kombination mit den etablierten krankheitsmodifizierenden Immuntherapien.“
Im Spannungsfeld der erst kürzlich publizierten S3-Leitlinie zur Diagnose und Therapie der MS (AWMF-Reg.nr. 030-050), die Vitamin-D-Supplementierung nur bei einem Mangel empfiehlt, und einem aktuellen Studienergebnis aus Australien, bei dem sich kein Effekt einer Supplementierung auf das klinisch isolierte Syndrom zeigte (DOI 10.1093/brain/awad409) stellt der Leitlinienautor Prof. Dr. med. Achim Berthele von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der TU München fest: „Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich niemandem, der auf eine krankheitsmodifizierende Immuntherapie eingestellt ist, dazu raten, diese wirksame Therapie abzubrechen und auf Vitamin D umzustellen. Eine Vitamin D-Substitution darf auch nicht den Beginn einer Immuntherapie mit dafür zugelassenen Medikamenten verzögern. Die Studie unterstreicht aber klar die Bedeutung einer Vitamin D-Bestimmung zum Krankheitsbeginn, denn Personen mit erniedrigten Vitamin D-Spiegeln profitierten am deutlichsten. Ein Vitamin D-Mangel sollte also ganz unabhängig von anderen therapeutischen Entscheidungen immer ausgeglichen werden.“
Pressemitteilung „ Verlangsamt Vitamin D die Krankheitsaktivität der Multiplen Sklerose im Frühstadium?“. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Berlin, 17.3.2025 (https://dgn.org/artikel/verlangsamt-vitamin-d-die-krankheitsaktivitat-der-multiplen-sklerose-im-fruhstadium).
* Thouvenot E et al.: High-Dose Vitamin D in Clinically Isolated Syndrome Typical of Multiple Sclerosis: The D-Lay MS Randomized Clinical Trial. JAMA. 2025 Mar 10:e251604 (DOI 10.1001/jama.2025.1604).