Die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) erfährt aktuell eine besondere politische und mediale Beachtung. Bei dieser komplexen chronischen Erkrankung mit ihrer vielgestaltigen Symptomatik sind Diagnostik und Therapie schwierig, da Krankheitsmarker oder etablierte Behandlungen fehlen. Zum aktuellen Forschungsstand bei ME/CFS wurde jetzt eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vorgelegt.
Fachleute schätzen die Erkrankung bislang uneinheitlich ein: Während ME/CFS von einigen als dramatisch unterdiagnostiziert oder vernachlässigt angesehen wird, stellen andere es als primär somatisch bedingte Erkrankung in Frage. Das Thema ist für die Neurologie besonders relevant, da viele Betroffene hier Rat suchen, und erfährt bei der DGN eine wissenschaftlich geprägte hohe Beachtung. Aus neurologischer Sicht ist es problematisch, dass mit dem Begriff der „Enzephalomyelitis“ eine Entzündung des Gehirns und Rückenmarks postuliert wird, die in aller Regel bei „ME/CFS“ nicht nachweisbar ist. Da es neben der potenziellen Heilung und Linderung von Beschwerden auch um den Schutz der Erkrankten geht, sollte abwägend und evidenzbasiert vorgegangen werden, um nicht unwissenschaftliche Diagnostik und Therapien zu unterstützen, die Betroffene gefährden könnten.
Warnung vor „Wildwuchs“ nicht evidenzbasierte Behandlungsangebote
In den letzten fünf Jahrzehnten ist es nicht gelungen, ME/CFS mit Biomarkern wie Blut oder Liquortests oder in der Bildgebung des Gehirns (v. a. MRT) zu identifizieren.
Die DGN hat schon früh intensive Forschung gefordert. Aus den Reihen der deutschen Neurologie wurden wissenschaftliche Projekte gestartet, z. B. bei der Suche nach Biomarkern (valide objektive Diagnosekriterien), nach wirksamen Behandlungen oder dem Verständnis der Krankheitsmechanismen. In der Tat wurden der ME/CFS-Forschung vor allem im Zusammenhang mit dem „Post-COVID-19 Zustand“ mit starker politischer Unterstützung relevante finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, die weiterführende Forschung ermöglichen.
Neuroimmunologie: Keine konsistenten und validierten Zusammenhänge
Die Kommission ‚Neuroimmunologie‘ der DGN hat insbesondere immunologische Mechanismen im Blick, wie Autoantikörper, Immunzellen oder Entzündungsmechanismen. Bislang konnten in diesem Forschungsbereich auch nach intensiven Forschungsbemühungen keine konsistenten und validierten Zusammenhänge identifiziert werden, die zu neuen wirksamen Therapieansätzen bei ME/CFS geführt hätten. Angesichts der bisherigen Erkenntnisse ist derzeit nicht davon auszugehen, dass immunologische Faktoren eine entscheidende Rolle bei ME/CFS spielen. Inwieweit möglicherweise andere, nicht-entzündliche Faktoren relevant sein könnten, ist Gegenstand aktueller Forschung.
Zukünftige Forschungsansätze sollten dabei aber nicht vorwiegend auf immunologische Erklärungsansätze gerichtet sein: Es sollten auch diagnostische und therapeutische Verfahren aus anderen Bereichen der Medizin, einschließlich dem Bereich psychischer und psychosomatischer Erkrankungen und funktioneller Störungen miteinbezogen werden, um der Vielgestaltigkeit des Krankheitsbildes gerecht zu werden.
Wichtig für die Beratung: Keine zugelassenen Medikamente oder Therapien
Wichtig ist die Beratung von Betroffenen darüber, dass es bisher keine speziell für die Behandlung von ME/CFS zugelassenen Medikamente oder andere Therapieverfahren gibt. Durch den Mangel an evidenzbasierten wissenschaftlich gesicherten Daten können derzeit keine nichtzugelassenen medikamentösen Behandlungen empfohlen werden. Interdisziplinäre Versorgungsangebote für Menschen mit schwerem ME/CFS werden hingegen dringend benötigt. Nicht zuletzt zur Prävention der durch die oft sehr belastenden Symptome hervorgerufenen Suizidgedanken ist dabei eine psychiatrische Mitbetreuung geboten.
Pressemitteilung „Zum aktuellen Forschungsstand bei ME/CFS - Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Berlin, 22.7.2025 (https://www.dgn.org/artikel/zum-aktuellen-forschungsstand-bei-me-cfs).