Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) markieren einen Paradigmenwechsel in der Krebsmedizin: Diese Wirkstoffklasse kombiniert die Zielgenauigkeit monoklonaler Antikörper mit der extremen Zytotoxizität natürlicher Substanzen. Letztere – darunter Auristatine wie Monomethylauristatin E (MMAE), das aus dem marinen Seehasen Dolabella auricularia stammt, Maytansinoide oder Deruxtecan – wären in freier Form systemisch zu toxisch. Durch Kopplung an tumorspezifische Antikörper werden sie jedoch zu „präzisen zellulären Waffen“.
Wie Prof. Dr. rer. nat. Mark Brönstrup (Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig) in einem Vortrag bei der Paul-Martini-Stiftung darlegte, griffen Naturstoffe oft fundamentale Prozesse wie Zellteilung oder Proteinbiosynthese an – Mechanismen, die in Mensch und Mikroben ähnlich abliefen. In Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADCs) werden diese Substanzen gezielt in Tumorzellen eingeschleust und dort freigesetzt, etwa durch enzymatische Spaltung im Lysosom (z. B. via Cathepsin B) oder durch proteolytischen Abbau des Antikörpers bei nicht-spaltbaren Linkern.
Von der Klinik zur präklinischen Innovation
Ein klinisches Leuchtturmbeispiel ist Brentuximab Vedotin, ein Anti-CD30-Antikörper, der im Lysosom das Tubulin-bindende MMAE freisetzt und bei Hodgkin-Lymphomen überzeugende Ansprechraten zeigt. Die Optimierung der Verbindungselemente – etwas despektierlich manchmal als „Linkerology“ bezeichnet – bleibt ein empirischer Prozess: Während spaltbare Linker wie Val-Cit-Sequenzen enzymatisch aktiviert werden, nutzen nicht-spaltbare Varianten den lysosomalen Abbau des Antikörpers. Im präklinischen Bereich stellte Brönstrup Ratjadon A vor, einen Myxobakterien-Wirkstoff mit subnanomolarer Potenz (IC50-Werte im pM-Bereich), der kovalent an Cysteinreste des Exportproteins CRM1 bindet und über Folsäurerezeptoren selektiv Tumorzellen adressiert. Ebenfalls thematisiert wurden antibiotische ADCs wie Genentechs DSTA4637S, ein Rifamycin-Analogon, das intrazelluläre Staphylococcus aureus-Infektionen bekämpft, indem es Antibiotika gezielt in Wirtszellen freisetzt.
Trotz des kommerziellen Hypes – 15 zugelassene ADCs, Marktvolumen >10 Mrd. USD – bestehen Herausforderungen. Traditionelle ADCs sind komplexe Gemische mit variabler Drug-to-Antibody Ratio (DAR). Neue Strategien wie Cystein-Engineering (Genentech), bioorthogonale Chemie (Ambrx/J&J) oder enzymvermittelte Kopplung zielen auf definierte Moleküle, um Pharmakokinetik und Verträglichkeit zu verbessern. Historische Rückschläge wie der Rückzug von Mylotarg (2001/2010) wegen Toxizität unterstreichen die Notwendigkeit langfristiger Forschung. Brönstrup skizzierte eine Zukunft, in der ADCs nicht nur hämatologische Tumore, sondern auch solide Karzinome und Infektionen behandeln. Die Integration neuartiger Effektoren wie Topoisomerase-Inhibitoren (z. B. Deruxtecan) könnte zudem „undruggable Targets“ zugänglich machen.
Workshop „Schatzsuche in der Natur: Neue biogene Wirkstoffe für die antiinfektive und die Anti-Tumor-Therapie“. Veranstalter: Paul-Martini-Stiftung, Berlin, 10. April 2025 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.