Das Multiple Myelom war in den vergangenen Jahren eines der dynamischsten Felder – nicht nur in der Hämatologie, sondern in der gesamten Onkologie. Wir fassen den aktuellen Stand in Klinik und Praxis zusammen und geben einen Ausblick auf aktuelle Entwicklungen.
Das Multiple Myelom (MM) ist charakterisiert durch eine monoklonale Vermehrung von Plasmazellen im Knochenmark. Die infolge der Erkrankung vermehrt produzierten monoklonalen Immunglobuline (Paraprotein, M-Protein) und / oder Immunglobulin-Leichtketten sind im Serum und / oder Urin nachweisbar. Die Symptome werden vor allem durch die Verdrängung der normalen Hämatopoese, die Zerstörung der Knochen, eine Einschränkung der Nierenfunktion, die hohen Immunglobulinkonzentrationen und den sekundären Immundefekt verursacht.[1] Am MM erkranken in der Mehrzahl Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter, was auch den derzeitigen Anstieg der Erkrankungsinzidenz erklärt. Die 5-Jahres-Überlebensrate wird mit rund 40 % angegeben, die um die Normalsterblichkeit korrigierte relative 5-Jahres-Überlebensrate etwas höher.Die relative 10-Jahres-Überlebensrate liegt bei rund 30 %.[2] Die Zahlen für Österreich und die Schweiz sind sehr ähnlich.[3,4] Die Auslöser des MM sind nach wie vor weitestgehend unbekannt. Das MM ist genetisch heterogen und von subklonaler Architektur, was sich auch in den individuell sehr unterschiedlichen Erkrankungsverläufen zeigt.[5] Eine leichte Häufung, sowohl in Familien als auch in Ethnien, lässt Rückschlüsse auf eine gewisse genetische Komponente zu. Wie stark dieser Einfluss tatsächlich ist, wissen wir aber nicht. Translokationen mit Beteiligung des Immunglobulin-Schwerkettengen-Lokus (IgH) auf Chromosom 14q32 wurden bei manchen Varianten des MM beobachtet. Weitere Punktmutationen, Deletionen und Translokationen können im Verlauf der Erkrankung hinzukommen und den Verlauf beeinflussen.[6] (Tab. 1). Zu den bereits bei der Erstdiagnose wichtigen zytogenetischen Hochrisikokonstellationen, die mit einer Prognoseverschlechterung assoziiert sind, gehören del17p, t(4;14), t(14;16), gain1q (> 3 Kopien).
Die individuell sehr unterschiedliche Beschwerdesymptomatik spiegelt die Heterogenität der Krankheit. Oft steht Fatigue im Vordergrund, die als Auswirkung der Anämie zu interpretieren ist. Typisch sind auch Knochenschmerzen, die durch den osteolytischen Umbau im Skelett hervorgerufen werden. Die Neigung zu Infekten, eine Folge des sekundären Immunglobulinmangels, wird nur bei einer Minderheit der Patienten beobachtet. Bei ca. einem Viertel der Patienten sind bereits bei Erstdiagnose Einschränkungen der Nierenfunktion, teils bis hin zur Dialysepflichtigkeit, nachweisbar. Klar ist, dass jedem Multiplen Myelom eine Präkanzerose vorausgeht, die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS).1 Die Ratio der freien Leichtketten und die Höhe des M-Proteins werden u. a. als Risikomarker für eine Progression herangezogen.[7] Gesichert wird die Diagnose nach den Kriterien der International Myeloma Working Group (IMWG) durch Anamnese / körperliche Untersuchung, Laboranalyse und bildgebende Diagnostik. Dazu gehören der Nachweis eines monoklonalen Proteins im Urin oder Serum (per Immunfixation) sowie der Nachweis von mindestens 10 % monoklonaler Plasmazellen im Knochenmark.[8] Notwendig ist dazu eine Punktion, welche üblicherweise am Beckenkamm in lokaler Anästhesie durchgeführt wird. Als Analysen sind hier erforderlich die zytomorphologische Quantifizierung des Plasmazellgehalts, Zytogenetik inkl. FISH, die Durchflusszytometrie zum Nachweis der Monoklonalität der Plasmazellen sowie immunhistochemische Untersuchungen zur Plasmazellfrequenz am Trepanat.
Die lange verwendete Salmon-Durie-Klassifikation gilt mittlerweile als historisch und ohne prognostischen Nutzen. Einfach zu bestimmen und auch mit neuen Substanzen validiert ist hingegen das (revidierte) Internationale Staging System ISS9,[10] mit seinen Möglichkeiten der Risikostratifizierung[11] (Tab. 2). Auch der Einsatz eines Komorbiditätsscores ist sinnvoll.[12]
Zur Erfassung der individuellen Prognose werden zytogenetische und serologische Marker herangezogen. Zu diesen zählt beispielsweise ein erhöhter Laktatdehydrogenasespiegel. Als prognostisch ungünstig ist die extramedulläre Erkrankung anzusehen sowie myelombedingte oder unabhängige therapielimitierende Organfunktionseinschränkungen.[13] Die Analyse von Genexpressionsprofilen ist in großen Studien validiert,[14] wird wegen mangelnder Standardisierung außerhalb von Studien aber nicht empfohlen. Durch den Einsatz neuer Substanzen gelingt zwar häufig die Eradikation der sichtbaren Erkrankung, unterhalb der Sensitivität der Standarddiagnostik verbleibt jedoch eine minimale residuelle Resterkrankung (MRD), die sich via Durchflusszytometrie (Euro Flow) und Next Generation Sequencing (NGS) bereits heute in bis zu 50 % der Patienten nachweisen lässt, die nach Standardbedingungen als komplett remittiert gelten.15 Die Bestimmung einer MRD im MM ist technisch möglich, prognostisch validiert und wird vermutlich mittelfristig auch außerhalb von Studien als Standarddiagnostik im MM etabliert sein. Eine Sensitivität von 10–6 wird in aktuellen Untersuchungen als diagnostisches Ziel angestrebt.[13] Nach den aktualisierten Kriterien der IMWG erfordert eine serologische Komplettremission[16]:
• Anhaltende MRD-Negativität im Knochenmark und in der Bildgebung > 1 Jahr.
• Durchflusszytometrische MRD-Negativität (minimale Sensitivität 1:105).
• MRD-Negativität mittels Next Generation Sequencing (minimale Sensitivität 1:105).
• Bildgebung: Zusätzlich zur MRD-Negativität fehlender Nachweis im FDG-PET/CT.
Liegen Endorganschädigungen (CRAB-Kriterien –> C = Hyperkalzämie, R = renale Insuffizienz, A = Anämie, B = Knochenveränderungen) bei Diagnosestellung vor, so wird die rasche Therapieeinleitung empfohlen (Tab. 3).17 Mit den zusätzlichen SLIM-Kriterien der „myeloma defining events“ lassen sich Patienten identifizieren, die womöglich noch keine sichtbare Endorganschädigung aufweisen, deren Risiko für eine Erkrankungsprogression jedoch als so hoch angesehen wird, dass eine Therapieeinleitung gerechtfertigt erscheint. Ziel der frühen Behandlung ist die Verhinderung oder die Minimierung einer myelombedingten Organtoxizität. Zu den Markern zählt neben einer > 60 % Knochenmarks-Infiltration durch monoklonale Plasmazellen auch ein freier Leichtkettenquotient im Serum > 100 (betroffene / nicht betroffene Leichtkette) sowie der Nachweis von mindestens zwei fokalen Läsionen in der MRT-Bildgebung.[8] Ziel der Behandlung eines symptomatischen Myelompatienten ist die rasche Symptomkontrolle sowie eine bestmögliche Remission. Die Auswahl der Erstlinientherapie orientiert sich am biologischen Alter sowie möglichen Komorbiditäten des Patienten. Für körperlich fitte Patienten steht dabei die Hochdosistherapie mit Melphalan (HD Mel) im Vordergrund, gefolgt von einer autologen Stammzelltransplantation (Abb. 1). Internationaler Konsens herrscht darüber, dass dieses Therapieverfahren entsprechend geeigneten Patienten bei fehlender Komorbidität bis zu einem Alter von 70–75 Jahren angeboten werden sollte.[1]
In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass die Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation im Vergleich zu konventioneller Therapie zu einer längeren progressionsfreien Überlebenszeit führt.18 Insbesondere Patienten mit Hochrisikozytogenetik, mit ISS-III-Stadium oder mit fehlender CR nach erster Transplantation profitieren von einer Doppel-(Tandem-)Transplantation mit einer Verlängerung der progressionsfreien und der Gesamtüberlebenszeit.[19,20] Vor der Hochdosistherapie erfolgt die Reduktion der Tumormasse typischerweise durch eine Proteasomen-Inhibitor (Bortezomib)-basierte Kombinationstherapie. In klinischen Studien werden hier auch monoklonale Antikörper (z. B. Elotuzumab und Daratumumab) evaluiert. Nach Hochdosistherapie ist eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid zugelassen und sollte allen Patienten angeboten werden. Bei nicht transplantablen Patienten wird das Behandlungsregime v. a. am Komorbiditätsprofil des Patienten ausgerichtet. Hierbei steht zum einen wiederum eine Proteasomen-Inhibitor-basierte Erstlinientherapie, seit Kurzem auch inkl. dem monoklonalen Antikörper Daratumumab (D-VMP Regime) zur Verfügung, alternativ kann Lenalidomid-basiert bis zum Progress der Erkrankung behandelt werden.
Direkt vergleichende Daten liegen nur für einzelne Kombinationstherapien vor.[21] In der Zweitlinientherapie ist das Patientenkollektiv noch inhomogener. Bei guter Wirksamkeit und Verträglichkeit der Erstlinientherapie kann bei der Zweitlinientherapie zwischen Arzneimitteln aus derselben oder einer anderen Substanzklasse gewählt werden (Abb. 2).[1] Bei geringer Wirksamkeit und/oder schlechter Verträglichkeit ist ein Wechsel der Substanzklasse indiziert. Hierbei sind zahlreiche Faktoren für eine optimale, Patienten-individuelle Therapieauswahl zu bedenken.[22] Im Falle eines Frührezidivs und guten Ansprechens auf die Salvage-Therapie mit verfügbarem Stammzellspender ist die Evaluation einer allogenen Stammzelltransplantation insbesondere bei jüngeren MM-Patienten sinnvoll.
Die Bestimmung der MRD wird mittelfristig auch in der klinischen Routine wichtig für das therapeutische Konzept sein. Insbesondere die Kombinationstherapien mit neuen Antikörpern führen zu einer erhöhten Rate an MRD-Negativität. Auch die genetische Diagnostik wird in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen, da erste Medikamente für genetisch determinierte Subgruppen von MM-Patienten vor der Zulassung stehen – etwa der Bel-2-Inhibitor Venetoclax, von dem insbesondere Patienten mit einer Translokation t(11;14) profitieren – , auch nach Versagen von Standardtherapien.[23] Auf dem ASH 2018 wurden viele Daten zum MM präsentiert. Etwa die Fortführung der STORM-Studie mit Selinexor, einem oralen XPO1-Inhibitor.[24] Die Patienten hatten im Schnitt sieben Vortherapien, man darf also von einer hohen Selektion refraktärer Klone ausgehen. Mit einem PFS von 3,7 Monaten und einem OS von 8,0 Monaten war Selinexor effektiv bei diesen schwer vorbehandelten Patienten, allerdings bei durchaus erheblicher Toxizität. Wenn Patienten ansprachen, führte das zu einem signifikant längeren OS (medianes Überleben nicht erreicht vs. 1,9 Monate, p =
Daratumumab (DARA) ist ein humaner, ein auf CD38 gerichteter monoklonaler Antikörper, weist bei stark vorbehandelten MM-Patienten eine Einzelwirkstoffaktivität auf. Die Phase-III-Studie MAIA untersuchte D-Rd (DARA plus Bortezomib und Dexamethason) im Vergleich zu Rd ohne DARA an Patienten, die wegen Alter ≥ 65 Jahre oder Begleiterkrankungen nicht für eine hochdosierte Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation infrage kamen. Auf Basis der präsentierten Zwischenergebnisse wurde das Risiko einer Progression oder eines Todesfalls dabei um 45 % reduziert.[27] Die TOURMALINE-MM3-Studie verglich die wöchentliche Erhaltungstherapie mit Ixazomib, einem oralen Proteasom-Inhibitor, gegen Placebo. Diese präsentierten Ergebnisse zeigten eine Verringerung des Risikos für Progression / Tod um 28 % sowie eine Verbesserung des PFS um 39 % unter Ixazomib-Erhaltungstherapie. Zudem wurde eine höhere Konversionsrate von MRD-positiv nach MRD-negativ berichtet. Die Autoren sehen Ixazomib auf Basis der Ergebnisse als eine wertvolle Option für die Erhaltungstherapie bei ansprechenden Patienten.[28] Last but not least wurden auf dem ASH 2018 auch sehr spannende Daten zu CAR-T-Zelltherapien beim Multiplen Myelom vorgestellt.[29] Das B-Cell Maturation Antigen (BCMA) wird auf Myelomzellen exprimiert und ist ein attraktives Therapieziel; JCARH125 ein gegen BCMA gerichtetes CAR-T-Produkt. In einer kleinen Studie (13 pentarefraktäre Patienten) wurden die CAR-T-spezifischen Nebenwirkungen beobachtet (Zytokinsturm, neurologische AE), aber bis zum letzten Daten-Cut war kein einziger Patient progredient.
Fazit
In den vergangenen Jahren konnten wir einen Paradigmenwechsel beobachten: Das Multiple Myelom ist zu einer deutlich besser behandelbaren, zunehmend oft über viele Jahre chronischen Erkrankung geworden. Das gilt aber nur für rund zwei Drittel der Patienten. Für die MM-Patienten, die v. a. durch eine genetisch determinierte Hochrisikosituation nur unzureichend auf die Therapie ansprechen und eine frühzeitige Medikamentenresistenz zeigen, ist die Krankheit nach wie vor eine frühzeitig letale Bedrohung. Das hohe Tempo, in dem neue, oft immunbasierte Therapieformen entwickelt und getestet werden, lässt auch für diese Patienten die Hoffnung auf eine höhere Lebenserwartung und bessere Lebensqualität steigen.
Der Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Theobald
Direktor der III. Medizinischen Klinik
Universitätsmedizin der
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
55131 Mainz
[1] Onkopedia-Leitlinie Multiples Myelom, www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/multiples-myelom
[2] www.gekid.de/Atlas/CurrentVersion/atlas.html
[3] www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/krebserkrankungen/brust/index.html
[4] www.nicer.org/en/statistics-atlas/cancer-incidence/
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