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Fokus Naturmedizin

Endokrine Disruptoren

Bedrohung für Vater, Mutter, Kind?

Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard, Dr. Reinhard Merz

20.10.2020

Endokrine Disruptoren sind hormonell aktive Substanzen. Durch ihre hormonähnliche Struktur wirken sie ähnlich wie Sexualhormone – jedoch ungewollt und ungesteuert. Wir werfen einen Blick auf eines der wichtigsten Themen der Umweltmedizin.

 Experten gehen davon aus, dass von den etwa 85.000 synthetischen Chemikalien etwa 1.000 endokrin disruptive Chemikalien (EDC) sein könnten. Da diese vor ihrer Zulassung nicht umfassend auf ihre Unbedenklichkeit getestet wurden, besteht über den genauen Anteil große Unsicherheit.1 Zu den bekanntesten endokrinen Disruptoren zählen

• Pestizide

• Herbizide

• Fungizide

• Insektizide: DDT, Lindan, Pyrethroide u. a. Nematizide

• Kosmetika, z. B. bestimmte UV-Schutzfilter (4-MBC), Moschusverbindungen

• Industriechemikalien und Nebenprodukte

• Schwermetalle

• Organochemikalien: PCB, PBB, PCP,Bisphenol A, Phthalate, Alkylphenole

• Bromierte Flammschutzmittel

• Perfluorierte organische Verbindungen

• Verbrennungsprodukte: Dioxine, Furane

Viele dieser Substanzen sind bioakkumulativ, d. h. sie reichern sich in der Nahrungskette an. Und leider sind sie in vielen Dingen des täglichen Lebens nach wie vor weit verbreitet, z. B. in Kosmetika (Abb).

Endokrinologische Fachgesellschaften sehen es als erwiesen an, dass endokrine Disruptoren unter anderem an der Entstehung von Brust- und Prostatakrebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen sowie neurologischen, neurodegenerativen und psychischen Erkrankungen beim Menschen beteiligt sind.[1,2] Dass hohe Konzentrationen von endokrinen Disruptoren gesundheitsgefährdend sind, ist dabei unstrittig. Dagegen wird kontrovers diskutiert, ob eine niedrige Belastung negative Auswirkungen haben kann. Manche Studien haben in Laborversuchen Auswirkungen bei niedrigen Dosen beobachtet, andere konnten diese Ergebnisse nicht bestätigen. Man muss jedoch davon ausgehen, dass Wechselwirkungen mit dem endokrinen System selbst bei einer niedrigen natürlichen Grundbelastung auftreten.

Folgende Wirkungen der EDCs auf das menschliche Endokrinium wurden beschrieben:

• Rückgang der männlichen Fruchtbarkeit

• Missbildungen der männlichen Genitalien

• Krankheiten des weiblichen ­Fortpflanzungs­systems

• Frühpubertät

• Rückgang der Anzahl männlicher Nachkommen

Wie wirken endokrine Disruptoren?

Endokrine Disruptoren sind molekular ähnlich strukturiert wie Steroidhormone.[3] Die hormonelle Wirksamkeit entsteht durch Bindung an Steroidhormon-Rezeptoren wie Estrogen-Rezeptoren (ER), Androgen-Rezeptoren (AR) sowie an Peroxisom-Proliferator-aktivierte Rezeptoren (PPAR). ER, AR und PPAR regulieren als Transkriptionsfaktoren die Expression einer Vielzahl von Genen und EDC können dadurch für eine potenzielle Veränderung der Genexpression verantwortlich sein. Pestizide weisen beispielsweise eine estrogene[4], androgene und antiandrogene[5] sowie Aromataseaktivität[6] im Rahmen von In-vitro-Versuchen auf (Tab.).[7,8]

Die Exposition kann durch Plazentapermeation, Muttermilchsekretion, Einatmen, Verschlucken und transdermale Absorption erfolgen und ist daher bereits im Mutterleib bedenklich. Zu den beschriebenen Veränderungen des Steroidhormonstoffwechsels gehören Veränderungen der Synthese und/oder des Abbaus von Testosteron, Follikelstimulationshormon (FSH), Luteinisierungshormon (LH) oder anderer Hormone, die an der Physiologie der Gameten, der Fruchtbarkeit, der Implantation, der Morphogenese des Fötus, dem Schwangerschaftsverlauf und Erkrankungen nach der Geburt beteiligt sind.[9] Die biologische Halbwertszeit von EDC ist oft besonders hoch, sodass die Substanzen im Körper akkumulieren.

Es gibt auch Auswirkungen auf die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse sowie mögliche Interaktionen mit hormonbindenden Proteinen im Blut. Epigenetisch können sie auf die DNA-Methylierung, die Histon-Acetylierung sowie auf Micro-RNAs wirken. In allen Fällen sind Dosis-Wirkungs-Kurven und Expositionszeit von entscheidender Bedeutung.

Was tun gegen endokrine Disruptoren?

Endokrinologische Fachgesellschaften weltweit, unter ihnen auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, fordern, die bereits als endokrine Disruptoren bekannten Substanzen konsequent aus dem Verkehr zu ziehen. Zudem müssten neue chemische Substanzen auf ihre Unbedenklichkeit überprüft werden, bevor sie in großem Maßstab pro­duziert und in Umlauf gebracht werden, so die Forderung. Insbesondere sei es nicht sinnvoll, bekannte endokrine Disruptoren durch verwandte, aber noch wenig untersuchte Verbindungen zu ersetzen. Auch individuell lässt sich einiges tun. So kann man Plastikgefäße durch Glas ersetzen, einen eigenen Wasserfilter verwenden, Räume „giftfrei“ halten und umweltfreundliche Produkte ohne EDC benutzen (Bio-Kosmetik).

Entsäuern, entgiften und ausleiten

Wer präventiv tätig sein will, fängt mit der Ernährung an. Empfehlenswert sind biologisch angebaute Lebensmittel, pflanzenbasiert und nur wenig Milchprodukte, Fleisch und Fisch, da hier eine ständige Belastung mit Hormonen, Wachstumsfaktoren und Antibiotika droht. Dazu ausreichend hochwertige pflanzliche Öle und Algenöle sowie Bitterstoffe aus Pflanzen zur Leberstärkung. Durch sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe in Gemüse, Obst, Samen, Vollkorn, Kräutern wird die Ausscheidung von Umweltgiften über den Darm forciert. Außerdem wird der Hormonstoffwechsel so balanciert, dass Hormonmetaboliten ausgeschieden und nicht wieder in den enterohepatischen Kreislauf recycelt werden. Die in Studien nachgewiesene Wirkung von 30 g geschrotetem Leinsamen pro Tag (3 EL) reduziert die Estrogendominanz und hilft, das Risiko von Brustkrebs zu reduzieren.

Vor dem eigentlichen Entgiften müssen die Ausscheidungsorgane „renoviert“ werden, erst danach kann man Gifte aus den (Fett)Depots mobilisieren. Dazu sollte zunächst der Säure-Basen-Haushalt stabilisiert werden, z. B. durch Kanne Brottrunk, Basentrunk und reichlich Magnesium. Die Haut unterstützt man durch Schwitzen, Bäder, Ölmassagen (Ayurveda) und einen gelegentlichen Besuch in der Infrarotkabine, die Lunge durch viel Bewegung in der freien Natur (viel Sauerstoff) und den Darm durch Prä- und Probiotika, Heilerde und Zeolithe. Zur Aktivierung von Galle und Leber bieten sich Leberwickel, Pflanzenheilmittel (Mariendistel, Löwenzahn etc.) sowie homöopathische Einzel- und Komplexmittel an. Die gibt es auch zur Unterstützung von Niere und Blase; zusätzlich können hier das Trinken von viel gefiltertem Wasser (Vorsicht bei Umkehrosmose!) sowie Pflanzenheilmittel (Solidago) helfen.

Bewährte Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung des Entsäuerungsprozesses sind bspw. Selen, Ubiquinol, S-Acetylglutathion und B-Komplex. Auch Heilpilze können hier eine Rolle spielen, etwa die Kombination der Pilzarten Reishi (Leber), Cordyceps (Niere), Polyporus (Lymphe), Hericium (Darm) und Auricularia (Blut). Die DMPS-Therapie wird als die wirksamste Schwermetall-Entgiftungsbehandlung angesehen. DMPS (Natriumsalz der 2,3-Dimercaptopropan-1-sulfonsäure) wird überwiegend in­travenös injiziert, kann aber (bei verminderter Wirkung) auch oral eingenommen werden. Sie sollte nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden, da ein Risiko für unerwünschte Wirkungen und Rückvergiftung besteht. Fastenkur, Infusionstherapie und Einläufe können die Therapie unterstützen. Mögliche Phytotherapeutika für die Entgiftung sind Chlorella, Bärlauch und Koriander.

Die Autorin

Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard
Albert-Überle-Straße 11
69120 Heidelberg

www.netzwerk-frauengesundheit.com

[1] Gore AC et al., Endocrine Rev 2015; 36, E1–E150, doi:10.1210/er.2015–1010
[2] WHO/UNEP: State of the science of endocrine disrupting chemicals – 2012. 2013, ISBN 978-92-4150503-1
[3] Menezo Y, Mol Reprod Dev. 2019 Jan 17. doi: 10.1002/mrd.23116
[4] Soto AM et al., Environ Health Perspect 1994; 102: 380–383
[5] Fang H et al., Chem Res Toxicol 2003; 16: 1338–1358
[6] Vinggaard AM et al., Food Addit Contam 1999; 16: 533–542
[7] Petrakis D et al., Int J Environ Res Public Health 2017; 14: doi: 10.3390/ijerph14101282
[8] Andersen HR et al., Toxicol Appl Pharmacol 2002; 179: 1–12
[9] Sifakis S et al., Environ Toxicol Pharmacol 2017; 51: 56–70

Bildnachweis: solarseven (iStockphoto); privat

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