- Anzeige -
Allgemeinmedizin

Krankhafter Body-Mass-Index

Adipositas belastet nicht nur den Bewegungsapparat

Nicole Hein

14.6.2022

Weltweit hat sich die Anzahl adipöser Erwachsener innerhalb von vierzig Jahren beinahe verdreifacht. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten sind enorm, da neben der Adipositas auch die Begleiterkrankungen behandelt werden müssen. Für langfristige Erfolge ist eine multimodale Gewichtsreduktionstherapie notwendig.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Adipositasrate in Deutschland aus? Studien mit belastbaren Daten liegen noch nicht vor. Allerdings zeigen erste Forschungsergebnisse, dass sich das Problem vermutlich verschärfen wird. Einer Studie des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin (EKFZ) an der TU München ergab eine Gewichtszunahme während der Pandemie besonders bei Personen mit einem Body-Mass-Index (BMI) > 30.

Zuvor hatte in Deutschland die Anzahl der adipösen Erwachsenen auf einem vergleichsweise hohen Niveau stagniert. Laut des vom Statistischen Bundesamt und den Statistischen Landesämtern durchgeführten Mikrozensus waren 2017 18,1 % der Männer betroffen, vier Jahre zuvor 17,1 %. Bei den Frauen stieg im gleichen Zeitraum die Adipositasrate von 14,3 % auf 14,6 %. Die Zahl der Übergewichtigen (BMI > 25) belief sich 2017 bei den Männern auf 62,1 % und bei den Frauen auf 43,1 %. Ein Blick auf die weltweite Prävalenz einer Adipositas zeigt die globalen Ausmaße: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt an, dass sich die Anzahl fettleibiger Erwachsener zwischen 1975 und 2016 beinahe verdreifacht hat.

Belastet auch das Gesundheitssystem

Ebenfalls steigend sind die Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem. Diese setzen sich aus direkten (Adipositastherapie und Behandlung assoziierter Komorbiditäten) und indirekten Kosten zusammen. Unter Letzteren werden Kosten summiert, die z. B. durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder vorzeitige Berentung entstehen. Berechnungen der Universität Hamburg zufolge betragen die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Adipositas in Deutschland etwa 63 Mrd. Euro pro Jahr. Die direkten Kosten belaufen sich auf etwa 29 Mrd. Euro und die indirekten auf etwa 34 Mrd. Euro. Ein Teil der direkten Kosten entfällt auf Erkrankungen des Bewegungsapparats. Immerhin ist das Risiko für eine Gonarthrose (Kniegelenksarthrose) bei Adipositas um das Zwei- bis Dreifache erhöht und das Risiko für eine Koxarthrose (Hüftgelenksarthrose) und Rückenschmerzen immerhin noch um bis zum Zweifachen.

Erhöhtes Risiko für Arthrose

Die starken Auswirkungen einer Adipositas auf das muskuloskelettale System lassen sich vor allem an der hohen Prävalenz von Schmerzen an den unteren Extremitäten festmachen. Besonders häufig sind Hüfte, Knie und Füße betroffen. Immerhin lastet ein nicht unerhebliches mehr an Gewicht bei jeder Bewegung auf Knochen und Gelenken. Dadurch wird die für Pufferung und Gleiten zuständige Knorpelschicht, die sich über den einzelnen knöchernen Gelenkpartnern befindet, geschädigt. Wenn sie sich durch den erhöhten Druck beständig abreibt, kommt es letztlich zu einer Arthrose. Durch Fehlstellungen, z. B. X- oder O-Beine, wird das Arthroserisiko weiter erhöht. Abnormalitäten des Gangs wie eine größere Schrittbreite oder eine Belastungsverschiebung beim Aufsetzen des Fußes begünstigen nicht nur eine ­Arthrose, sondern können zu weiteren Beschwerden im Bewegungsapparat führen. Darüber hinaus geht ein starkes Übergewicht oft mit Schmerzen in anderen Gelenken einher, auf denen nicht das Körpergewicht lastet – wie den Fingern. Bei einer Reduktion des Übergewichts konnte vielfach ein Rückgang der Entzündungsmarker beobachtet werden. Ein weiterer Faktor bei Adipositas ist eine schlechtere subchondrale Gefäßversorgung. Diese kann zu einer Mangelernährung des Knorpels oder zu direkten ischämischen Effekten auf den Knochen führen.

Auch wenn sich durch die genannten Prozesse eine Arthrose in allen Gelenken bilden kann, ist das Risiko in den Knien besonders hoch. Bei ausgeprägten Verschleißerscheinungen und einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und Mobilität kann die Indikation zur operativen Therapie gestellt werden. Vor der Implantierung eines künstlichen Gelenks ist es ratsam, dass die Patienten ihr Gewicht reduzieren. Denn bei stark Übergewichtigen besteht ein erhöhtes Gesamtkomplikationsrisiko: Es kann beispielsweise schneller zu einer Infektion, einer aseptischen Lockerung, einer Thrombose oder einer Ausrenkung der Endoprothese kommen.

Behandlung einer Adipositas

Kriterien für eine Therapie einer Adipositas sind BMI sowie Taillenumfang und Adipositas-assoziierte Erkrankungen. Ziel der Gewichtsreduktion ist das langfristige Senken des Körpergewichts, verbunden mit einer Reduzierung Adipositas-assoziierter Risikofaktoren und Krankheiten sowie einem verminderten Risiko für vorzeitige Sterblichkeit, Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Berentung. Die Therapieziele sollten realistisch sein und an individuelle Bedingungen angepasst werden. Im Fokus sollte stehen, dass die Adipositas als eine chronische Erkrankung mit hoher Rezidivneigung anzusehen ist, weswegen sie in den meisten Fällen lebenslange Aufmerksamkeit und Veränderungen des Lebensstils benötigt. Um das Gewicht zu reduzieren und später zu halten, ist eine Kombination aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie grundlegend. Ob Medikamente unterstützend sinnvoll sind, entscheidet sich nach einer umfassenden Diagnostik. Beispielhaft für ein Arzneimittel zur Gewichtsabnahme seien die GLP-1-­Rezeptorantagonisten Liraglutid 3,0 mg und Sema­glutid 2,4 mg genannt. Sie gleichen dem natürlich vorkommenden Hormon GLP-1, das nach einer Mahlzeit aus dem Darm freigesetzt wird. Chirurgische Maßnahmen werden erst erwogen, wenn eine extreme Adipositas besteht und die konservative Therapie keine langfristigen Erfolge gebracht hat.

FAZIT: Die starken Auswirkungen einer Adipositas auf das muskuloskelettale System zeigen sich vor allem an Hüfte, Knien und Füßen. Oft ist eine Arthrose die Folge. Die Behandlung einer Adipositas berücksichtigt Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapien. Medikamente, z. B. GLP-1-Rezeptorantagonisten, können die Gewichtsreduktion unterstützen.

Literatur bei der Autorin

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt