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Gynäkologie

Interview

Der vielfältige Nutzen von Sport und Bewegung für Krebspatientinnen

Prof. Dr. med. Martin Halle und Prof. Dr. med. Joachim Wiskemann

20.10.2023

Sport und Bewegung können als Supportivtherapien beim Mammakarzinom hilfreich sein. Doch wie lassen sich Sport und Bewegungstherapie am besten in den Versorgungsalltag integrieren? Wir sprechen mit zwei ausgewiesenen Experten über dieses hochaktuelle Thema.

Interview
Prof. Dr. med. Martin Halle

Prof. Dr. med. Martin Halle
Ärztlicher Direktor des Lehrstuhls für
Präventive Sportmedizin und Sport­kardiologie
an der Medizinischen ­Universitätsklinik Klinikum
rechts der Isar an der Technischen Universität München.

Wenn es um den Nutzen von Sport und Bewegung für Patientinnen mit Mammakarzinom geht, sind v. a. die positiven Effekte hinsichtlich der Reduktion von therapiebedingten Nebenwirkungen zu erwähnen. Das umfasst Behandlungsphasen von der Prähabilitation über Therapie, Rehabilitation und Nachsorge bis hin zur palliativen Situation. Aber auch bezüglich der Prophylaxe von Langzeitkomplikationen, bedingt durch kardio-, neuro- und knochentoxische Medikation, gibt es positive Daten [1].

Daneben zeigt Bewegung auch eine positive Wirkung auf psychosozialer Ebene. Metaanalysen belegen bspw. einen positiven Effekt von körperlichem Training auf die Fatigue sowie psychische Komorbiditäten wie Depressivität und Ängstlichkeit. Daher empfiehlt die Leitlinie diese Form der Körpertherapie auch nachdrücklich für diese Symptome [2]. Darüber hinaus zeigen Beobachtungsstudien für Personen mit abgeschlossener Therapie eine um bis zu 50 % reduzierte Sterblichkeit durch körperliche Aktivität – auch bei Brustkrebspatientinnen [3,4].

Herr Prof. Halle, mit der Brustkrebsdiagnose sollte ein körperliches Training beginnen: Immunzellen werden mobilisiert, die Expression von Antioxidantien ist erhöht und es gibt einen positiven Einfluss auf das Myokard. Welche Mechanismen auf zellulärer Ebene führen dazu?

So ganz genau wissen wir das noch nicht. Es gibt Theorien, dass sich der Glucosestoffwechsel verbessert. Eventuell sind die Ergebnisse der Bewegungstherapie beim Kolonkarzinom übertragbar. Die Hormone aus der Muskulatur, die Myokine, werden induziert. SPARC (secreted protein acidic and rich in cysteine) hemmt dann in der Schleimhaut die Bildung von Polypen. Das ließ sich in Versuchen mit Mäusen zeigen. Kolon- und Mammakarzinom sind die beiden häufigsten Tumoren, und Lebensstil beeinflusst die Entstehung.

Beim Kolonkarzinom ist die allgemeine Vorstellung, dass die Ernährung entscheidend ist. Das ist aber weniger als die halbe Wahrheit. Es sind vor allem erbliche Belastung, Störungen des Immunsystems, Rauchen, Alkohol, Übergewicht und Inaktivität. Deren Einfluss auf zellulärer Ebene wird aber erst in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren zu entdecken sein. Wenn man diese Mechanismen versteht, dann können unter Umständen daraus neue Tumortherapien entwickelt werden. Grundlagenforschung in dem Bereich wird sicher die Aktivierung des Immun­systems ganz entscheidend in die Tumortherapien integrieren.

„How little is enough?“ Was ist das Minimum an Bewegung, das bereits wirksam ist?

Es ist gar nicht so wichtig, dass es viel an sportlicher Aktivität ist. Entscheidend sind z. B. 10 Minuten pro Tag. Diese müssen dafür eine gewisse höhere Intensität haben. Erst das führt dazu, dass direkt die Entzündungsreaktion und das Immunsystem anspringen. Ein bisschen Spazierengehen, also moderate Intensität, die berühmten 10 000 Schritte am Tag, sind gut, reichen aber nicht aus. Das Konzept ist, dass der Organismus in eine gewisse Stresssituation kommen muss. Für Menschen unter Chemotherapie kann intensive Belastung durchaus zu viel sein, auch die Regeneration ist verlangsamt. Da sind Konzepte von sehr kurzen höher intensiven Phasen sinnvoll, z. B. 30 Sekunden Sprint zwischendurch, eventuell auch nur 10–20 Meter.

Was konkret empfehlen Sie?

Das Konzept ist die Kombination aus Ausdauertraining mit Kraft- und Koordinationstraining. So kann eine kurze Joggingeinheit oder 1–2 Minuten auf der Stelle trippeln, mehrfach am Tag, ein Basistraining sein. Dazu muss gar keine Sportkleidung getragen werden. Für das Krafttraining ist z. B. eine „Plank“, ein Unterarmstütz, auf dem Boden oder an der Wand morgens und abends, jeweils 30 Sekunden gut, weil die ganze Muskulatur angesprochen wird. Die Kombination aus diesem isometrischen Krafttraining mit Ausdauerbelastung ist optimal. Ergänzt wird dieses durch Gleichgewichtstraining. Bei diesem in Kombination mit körpereigenem Krafttraining gibt es eher kein Zuviel, allerdings sollten Patientinnen sich am nächsten Tag nicht müde, sondern frisch fühlen. Wer Tumortherapie bekommt – und auch noch ein Jahr danach –, braucht eine längere Regenerationszeit. Diese Patienten sollten immer einen Tag Pause machen. Nur der Plank ist ausgenommen, das kann man jeden Tag machen, der macht nicht müde. Müde macht das forcierte Spazierengehen, Fitnessstudio oder Zumba. Zumba ist super – Ausdauer, Kraft, Koordination. Das Maß ist das Außer-Atem-Kommen, das sollte erreicht werden.

Haben Sie Tipps zur Motivation der Patientinnen?

Ärzte sollten ihre Patienten ermuntern, Sport zu treiben. Vor allem aufzeigen, wie die ersten Hürden genommen werden können. So kann empfohlen werden, mit 5 Minuten am Tag zu beginnen und dann 1 Minute pro Woche zu steigern. Oder den Spaziergang sukzessive immer zügiger machen, optimal im Intervall mit kurzen zügigen Intervallen von z. B. 1 Minute. Je älter die Patientin ist, umso eher kommt auch das Krafttraining in den Fokus, wie auch der Plank an der Wand oder die bekannten Kniebeugen. Auch hier kann langsam gesteigert werden, indem die tägliche Anzahl um eine Wiederholung mehr pro Woche gesteigert wird. Ergänzt durch ein auf der Bettkante Fahrradfahren jeden Morgen und Abend.

Diese kleinen Einheiten sind in den ersten 3 Wochen entscheidend zum Reinkommen, nachfolgend für weitere 3 Wochen dann zumindest auf dem Niveau halten. Dann sind viele Patienten so weit, dass sie merken, dass es Spaß macht, und sie melden sich vielleicht im Fitnessstudio oder in einer ­Rehagruppe an. Wichtig ist die konkrete Anleitung durch den Arzt, den Trainingsplan auf einen Zettel zu notieren, wie ein Rezept.

Interwiev
Prof. Dr. med. Joachim Wiskemann

Prof. Dr. med. Joachim Wiskemann
Nationales Centrum für Tumor­erkrankungen (NCT)
am Universitäts-klinikum Heidelberg,
Abteilung Medizinische Onkologie,
Leiter der Arbeitsgruppe „Onkologische Sport-
und Bewegungstherapie“

Herr Prof. Wiskemann, die Evidenz für die positiven Effekte von Bewegung bei onkologischen Erkrankungen ist überwältigend. Prognose und Rezidivrate sind verbessert, es gibt weniger Neben­wirkungen und ein besseres Nebenwirkungsmanagement. Gibt es einen Grund, der gegen Bewegung beim Mammakarzinom spricht?

Es gibt keine onkologisch spezifische Evidenz gegen Bewegung. Bewegung ist in jeglicher Situation indiziert. Selbst bei starker Osteoporose. Die Knochen leben davon, dass sie von einem starken muskulären Korsett umschlossen und stabilisiert sind. Es braucht sogar die Reize an den Knochenstrukturen, sie schaffen Wachstumsreize für die Osteoblasten, sodass Knochensubstanz aufgebaut wird. Man darf nur keine unkontrollierten Bewegungen machen. Die Reize sollten biomechanisch nicht über bestimmte Belastungen hinausgehen, sprich, ein entsprechendes Training muss professionell angeleitet und individuell angepasst werden.

Gibt es den idealen Sporta für Mammakarzinom-Patientinnen?

Nein, den gibt es nicht. Wie schon gesagt, muss das Training individuell an die jeweilige Therapiesituation angepasst sein. Die antihormonellen Therapien, beispielweise, wirken auf den Knochenstoffwechsel sowie auf den Energiestoffwechsel. Wir sehen häufig eine Veränderung hin zu weniger Muskelmasse und mehr Fettmasse. In einer solchen Situation muss dann der Schwerpunkt auf Muskulatur und Impact auf die Knochen liegen. Fahrradfahren würde da nicht reichen. Aber wenn kardiotoxische Medikamente eingesetzt werden, die den Herzmuskel angreifen, dann wäre beispielweise Fahrradfahren indiziert, weil es als Ausdauersport den Herzmuskel stärkt. Bei neurotoxischen Medikamenten, die Taubheitsgefühle in Händen und Füßen verursachen, sind Gleichgewichtsübungen und Übungen auf Vibrationsplatten sinnvoll, aber durchaus auch eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining.

Wann ist denn der richtige Zeitpunkt mit dem Trainingsbeginn?

Mit der Diagnose. Nach der Diagnose findet häufig erstmal ein Rückzug in die körperliche Inaktivität statt. Der erste Schritt ist daher ein Muskelaufbautraining bevor wir das Ausdauertraining beginnen. Was immer wir aber den Patienten anbieten, das Credo muss lauten: Es muss dem Patienten auch Spaß machen, damit er dabeibleibt. Nicht jede Sportart ist da geeignet. Wer aber zum Beispiel unbedingt golfen will, der soll das tun. Er ist dann zumindest in der Natur und bewegt sich. Der Trainingseffekt ist allerdings begrenzt, wenn er nicht zwischen den einzelnen Abschlagstellen joggt. Und zu beachten ist: Drehbewegungen verursachen Spitzenbelastungen auf die Wirbelsäule. Ungünstig bei Osteoporose und Knochenmetastasen!

Gibt es auch einen Zusammenhang von Bewegung und Entstehung des Mammakarzinoms?

Bewegung kann die Entstehung von Mammakarzinomen verhindern. Vor allem hat sie einen Einfluss auf die hormonabhängigen Formen. Wir sehen in Studien, dass das Mammakarzinom bei körperlich aktiven Frauen etwa 20 % seltener auftritt. Bei den nicht hormonsensitiven sind es 8–10 %. Auch da ist ein Zusammenhang. Das gilt für alle Krebserkrankungen, zu denen wir Daten haben, außer bei Hautkrebs. Hautkrebs kommt häufiger vor bei Menschen, die sich viel bewegen, wahrscheinlich weil sie dies vor allem draußen und eventuell mit unzureichendem Sonnenschutz tun. Also eincremen!

Gibt es Anlaufstellen für niederge­lassene Frauenärztinnen und Frauenärzte? Wo findet man die passenden Kurse?

Es gibt das Netzwerk OnkoAktiv, um geeigneten ­Angebote zu finden, vor Ort und auch als Online-Training. Dieses Netzwerk ist zunächst in Heidelberg gewachsen, da hier bereits ein breites Angebot für onkologische Patienten existierte. Wir arbeiten zusammen mit Physiotherapeuten, gesundheitsorientierten Fitnessstudios, Rehabilitationseinrichtungen und Sportvereinen. Diese haben wir mit onkologischem Wissen gefüttert. Inzwischen schulen wir deutschlandweit andere Kliniken im Aufbau von solchen Netzwerken. Diese regionalen onkologischen Zentren und ihre derzeit etwa 180 Partner deutschlandweit sowie zahlreiche weitere Infos lassen sich unter netzwerk-onkoaktiv.de finden.

Wie motiviert man denn eine onkologische Patientin am besten zur Bewegung?

Die Motivation ist sehr individuell. Wir empfehlen, Wissen zu transferieren und die Bewegung wie ein Medikament zu verschreiben. Der Patientin deutlich zu machen, dass zum Beispiel bei Fatigue Bewegung das einzige Medikament ist, das hilft. Und  dann die Patientin an Experten anbinden (siehe OnkoAktiv). Feste Termine in den Terminkalender schreiben, mit anderen zusammen trainieren, Bewegung in den Alltag integrieren. Ein Drittel weiß, dass Bewegung gut ist, ein Drittel sind Couch Potatoes, die kaum zu motivieren sind, und für ein Drittel ist die onkologische Erkrankung ein Wendepunkt – die wollen etwas ändern. Dieses Drittel benötigt besonders die Unterstützung des onkologischen Teams.

Sie fordern Bewegung auf Rezept. Was wären die nächsten Schritte?

Leider ist das alles von den Krankenkassen noch nicht anerkannt. Man kann leider Bewegungstherapie nicht auf einen Rezeptblock schreiben. Man muss beispielsweise orthopädische/funktionale Einschränkungen diagnostizieren, um etwas rezeptieren zu können. Bei einer diagnostizierten Osteoporose geht das. Die Privatkassen sind da schon offener, es gibt ein Konzept der onkologischen Trainingstherapie (OTT), ein gerätegestütztes Training, das übernommen wird. Allerdings nur auf individuellen Antrag. Die AOK macht ein Pilotprojekt in Hamburg.

Grundsätzlich ist die Zurückhaltung bei der Kostenübernahme nicht zu verstehen. Das American College of Sport Medicine (ACSM) hat schon 2010 (mit einem Update 2018) Leitlinien für Bewegungsempfehlungen bei onkologischen Patienten, zum Beispiel bei Fatigue, herausgegeben. Dort finden sich genaue Angaben dazu, zu welchen onkologischen Symptomen/Nebenwirkungen welche Übungen mit welcher Intensität empfohlen werden. Wir hier in Deutschland arbeiten jetzt auch an einer entsprechenden S3-Leitlinie, um die Bedeutung des Themas herauszustellen. Aber anders als bei Medikamenten, bei denen es meist eine zulassungsrelevante Studie gibt, müssen wir Hunderte von Studien und Quellen dafür bearbeiten. Mittelfristig wollen wir Bewegungslotsen etablieren: Ärzte, MTAs, Ernährungsberater, MFAs, die zum Thema Bewegung beraten können und die Kontakte zu den Anbietern entsprechender Bewegungsangebote herstellen.

Die Interviews führte Barbara Hauter

1 Christensen JF et al., Comprehens Physiol 2011; 9: 165–205
2 S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen, Version 1.1, 2021; AWMF-Reg.-Nr.: 032/055OL
3 McTiernan A et al., Med Sci Sports Exercise 2019; 51: 1252–61
4 Cormie P et al., Epidemiol Rev 2017; 39: 71–92

Bildnachweis: privat

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