- Anzeige -
Gynäkologie

Nach der Leitlinie ist vor der Leitlinie

Bakterielle Vaginose

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

20.10.2025

Die S2k-Leitlinie zur bakteriellen Vaginose gilt noch bis 2027 – trotzdem stehen einige der Neuerungen aus der aktuellen Version schon wieder auf dem Prüfstand. Wir sprachen mit Prof. Werner Mendling über die Wandlung diagnostischer und therapeutischer Standards sowie über neues Wissen zu Biofilmen.

Prof. Dr. med. Werner Mendling
Helios Universitätsklinikum Wuppertal Campus Barmen
42283 Wuppertal

prof@werner-mendling.de

Herr Prof. Mendling, welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse haben zur Aktualisierung der Leitlinie zur bakteriellen Vaginose geführt? Und inwiefern beeinflussen diese die klinische Praxis?

Die S2k-Leitlinie zur bakteriellen Vaginose erschien im Juni 2023, wir waren aber eigentlich schon früher fertig. Doch dann kamen neue wissenschaftliche Erkenntnisse von Dr. med. Alexander und Dr. med. Sonja Swidsinski aus Berlin. Die beiden haben Fluorproben Berliner Frauen mit bakterieller Vaginose mit Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung untersucht. Und es war völlig überraschend, dass innerhalb der Biofilme Gardnerella vaginalis nicht von Metronidazol angegriffen wird.

Das hat uns erschrocken. Denn die amerikanische Leitlinie hatte Metronidazol just in diesem Jahr als Mittel der Wahl beschrieben. Parallel wurde gezeigt, dass eine multiple Gabe von Metronidazol binnen eines Jahres die Resistenz von Gardnerella vaginalis gegen Metronidazol deutlich erhöht.

Daraufhin haben wir uns entschieden, Metronidazol nicht mehr als Erstlinientherapie zu setzen, sondern haben Clindamycin als Nummer eins empfohlen. Wir haben außerdem in der Leitlinie den Antiseptika einen größeren Raum gegeben. Ihnen sollte bei chronischen Rezidiven – Definition ist drei und mehr Episoden pro Jahr – aufgrund der Resistenzlage vielleicht der Vorzug gegeben werden.

Bei der Resistenz sind zwei Dinge zu beachten: Im Biofilm sind zahlreiche Bakterien beteiligt, das ist eine andere Situation als außerhalb des Biofilms, wo man vom planktonischen Vorkommen spricht. Antibiotika, die durchaus planktonisch wirksam waren, sind es im Biofilm oft nicht. Das waren die Beweggründe für die Entscheidungen in der ­Leitlinie.

Sprechen wir über die Diagnostik der bakteriellen Vaginose. Die erfolgt weiterhin häufig klinisch. Gibt es Bestrebungen, molekulardiagnostische Verfahren in die Routinediagnostik zu integrieren? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Ja, vielleicht ist das sogar die Zukunft – aber aktuell ist es noch ein schwieriges Kapitel. Bisher gibt es auf dem Weltmarkt eine Handvoll Tests, bei denen mit quantitativer Polymerase-Kettenreaktion, qPCR, verschiedene typische Vaginose-assoziierte Bakterien in ihrer Konstellation zueinander und zu Laktobazillen, die ja gut und weniger gut sein können, gewichtet werden. Dann kann man bei bestimmten Konstellationen, beispielsweise wenig Lactobacillus crispatus, viel Lactobacillus iners, viele Gardnerellen, sagen, das ist eine bakterielle Vaginose und das andere ist keine.

Ich glaube, dass es noch besser wäre, wenn diese quantitativen Tests zukünftig kombiniert würden mit Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung zur Biofilmbestimmung. Dann sieht man nicht nur welche Bakterien in welcher Menge dort beteiligt sind, sondern auch, wie sie am Ort des Geschehens zueinander liegen. Bisher machen das nur ganz wenige Speziallabors, aber es wäre sicher interessant, wenn man das im diagnostischen Portfolio unserer Labors etablieren würde.

Aber das ist relativ aufwendig, oder?

Man braucht dazu ein Fluoreszenz-Mikroskop und die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung. Dann wird Abstrichmaterial – das kann eine Gewebeprobe, Urin oder eine Fluorprobe sein – fixiert, entwässert und mit den verschiedenen Markersubstanzen hybridisiert. Die individuellen Färbungen kann man im Mikroskop sehen. Die Anforderungen an das technische Equipment sind überschaubar, so schrecklich teuer ist das nicht. Aber man braucht einen Menschen, der sich hinsetzt und das anschaut, das ist aktuell der Flaschenhals. Vielleicht hilft hier ja über kurz oder lang die KI, das ist bereits in der Entwicklung. In Israel wurde ein Verfahren für Nativpräparate entwickelt, bei dem der Abstrich in ein Gerät geschoben und dann über einen Cloud-Service beurteilt wird. Damit kann man die wichtigsten Zustandsbilder mit viel höherer Genauigkeit diagnostizieren als in der Praxis mit dem Mikroskop.

Ich nehme mal an, diese eher aufwendigen Methoden sind vor allem auch interessant für das Therapiemanagement bei rezidivierenden Formen?

Ja, diese quantitativen PCR-Untersuchungen bekommen sicher eine wachsende Bedeutung bei Rezidiven. Dazu gehört dann auch die Vaginom­bestimmung, bei der zahlreiche Bakterien in ihrer Konstellation gewichtet werden. In der Praxis ist das aber noch nicht unbedingt verwertbar. Das ist eine aufwendige Methode. Sie kostet 150 bis 200 Euro und wird in aller Regel von den Kassen nicht bezahlt. Am Ende haben Arzt und Patientin ein Ergebnis, in dem steht dann zum Beispiel: Shannon-Index 1, Shannon-Index 0,5, Community-State-Type 3 oder Ähnliches. Und dann wissen sie nicht, was sie machen sollen. Diese Art der Diagnostik wird nach meinem Empfinden eher wichtig für die Beurteilung der Infertilität einer Patientin.

Fertilität ist ein gutes Stichwort für die nächste Frage: Welche neuen Erkenntnisse gibt es zum Zusammenhang zwischen vaginalem Mikrobiom, bakterieller Vaginose und dem Risiko für geburtshilfliche Komplikationen wie Frühgeburt?

Es ist klar, dass eine bakterielle Vaginose und/oder das Fehlen schützender Laktobazillen das Risiko für eine Frühgeburt etwa verdoppelt. Aus Studien zur Frühgeburtlichkeit wissen wir, dass Clindamycin eine Zytokin hemmende, antiimmunologische Wirkung hat. Und proinflammatorische Zytokine fördern die Wehentätigkeit. Auch aus großen Metaanalysen gibt es Hinweise – nicht Beweise, aber Hinweise –, dass Clindamycin vielleicht hilft, Frühgeburten zu reduzieren. Deshalb haben wir empfohlen, in der Schwangerschaft Clindamycin den Vorzug zu geben.

Kontrovers diskutiert wird die Partnerbehandlung. Was sagt die aktuelle Leitlinie dazu? Und wie schätzen Sie persönlich den klinischen Nutzen von der Partnertherapie ein?

Das Thema hat tatsächlich aktuell wieder Fahrt aufgenommen. In der Leitlinie gibt es zur Partnerbehandlung nur das knappe Statement: Die Partnerbehandlung gewinnt an Bedeutung, aber wird noch nicht empfohlen. Hintergrund dieser Aussage ist, dass man schon in den 1980er- und 1990er-Jahren eine ganze Reihe von Partnertherapien getestet hatte und die Patientinnen hatten nie einen Benefit davon.

Jetzt haben australische Forscherinnen im Frühjahr 2025 eine Arbeit auf Basis von langjährigen Studien vorgestellt. Sie haben nicht nur Männer und Frauen untersucht und behandelt, sondern auch gleichgeschlechtliche Paare, also Frauen, die Sex mit Frauen haben. Diese haben ein größeres Risiko für eine bakterielle Vaginose durch Austausch von Spielzeugen, Fingern und so weiter.

Auf Basis dieser Studie ist die Aussage jetzt so, dass Frauen mit rezidivierender bakterieller Vaginose den Partner oder die Partnerin mitbehandeln sollten. Dadurch wurde die Rezidivrate, die statistisch um die 60 % liegt, innerhalb von einem halben Jahr auf die Hälfte reduziert, auf etwa 30 %. Das kann sich sehen lassen.

Dabei sollen beide Partner eine Woche lang Metronidazol einnehmen, 500 mg zweimal am Tag. Männer behandeln zusätzlich ein Woche lang den Penis zweimal pro Tag mit Clindamycin-Creme. Diese ist als Vaginalcreme im Handel erhältlich.

Ich empfehle meinen Patientinnen, dass sie die Creme zusätzlich auch vaginal anwenden. Das wurde nicht explizit untersucht, kann aber nur vernünftig sein. Diese Empfehlung gibt es jetzt, und das wird in der nächsten Leitlinienversion sicher aufgenommen.

Welche Probleme macht die zunehmende Antibiotika­resistenz in der Praxis und wie geht die Leitlinie damit um?

Als Gardner die BV zum ersten Mal beschrieben hat, war es 1954. Das ist jetzt 70 Jahre her und die Therapie hat sich in diesen ganzen Jahren nicht verändert. Wir gehen medizinisch gesehen am Krückstock. Das Problem ist, dass es zurzeit kein Antibiotikum gibt, das die Resistenzfragen adressiert und in den Biofilm eindringt. Aber weltweit wird an verschiedenen Methoden geforscht, den Biofilm zu knacken. Eine Variante aus Wien arbeitet mit Bakteriophagen. Ein Gardnerella-spezifischer Stamm bildet ein Lysin, das in eine Vaginaltablette gebracht wurde. Die Ergebnisse der Studie sind noch nicht publiziert, sollen aber vielversprechend sein. Kickt man Gardnerella aus dem Biofilm raus, bricht das Kartenhaus zusammen.

Eine Impfung ist noch nicht bekannt. Viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen reden zwar gerne von „ich impfe sie gegen die BV“, aber das ist ja keine Impfung. Das ist eine unspezifische Immunstimulation. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass man einen Stoff findet, durch den Biofilme aufgelöst werden. Dann kann man gezielt mit Antibiotika dagegen vorgehen.

Letzte Frage: Welche Differenzialdiagnosen sollten denn vor allem bei Rezidiven stärker berücksichtigt werden? Es gibt das Problem der Unterbehandlung und es gibt das Problem der Überbehandlung und irgendwie ist es alles ein Ritt auf der Rasierklinge. Wie sehen Sie das?

Ich persönlich bedaure vor allem, dass oft keine klare Diagnose gestellt wird. Dabei ist die eigentlich ganz einfach. Hintergrund ist immer noch die Unsicherheit im Umgang mit dem Mikroskop. Aber das Mikroskop gilt weiterhin als der sicherste Weg, die Diagnose richtig zu stellen. Man muss nur mit drei Spielkarten umgehen können: ordentliche Anamnese, Blick ins Mikroskop und klinische Symptomatik zuordnen.

Aber da fehlt es an der Grundausbildung. Leider ist die Klinikmedizin völlig anders als die Praxismedizin, das sind zwei komplett verschiedene Welten. Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Weiterbildung dafür sorgt, dass angehende Fachärztinnen und Fachärzte ein Jahr in die Praxis gehen und dort ihre Weiterbildung zu Ende bringen. Dort lernen sie auch das.

Herr Prof. Mendling,
vielen Dank für dieses Gespräch.

Bildnachweis: privat

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt