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Fokus Naturmedizin

Fehlfunktionen peripherer Nerven

Ballaststoffe, Zimt & Co bei Polyneuropathie

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt

24.7.2023

Die Inzidenz peripherer Neuropathien beträgt bei Älteren ca. 8 %. Etwa die Hälfte leidet unter neuropathischen Schmerzen [1]. Die Ursachen sind vielfältig, die Therapieoptionen beschränkt. Daher ist das Interesse an ernährungs- und phytotherapeutischen sowie orthomolekularen Ansätzen für das Therapiemanagement hoch.

Die Polyneuropathie (PNP) als eine generalisierte Erkrankung des peripheren Nervensystems kann zahlreiche Ursachen haben (Abb.). Häufige Ursachen sind ein Diabetes mellitus oder übermäßiger Alkoholkonsum [2]. In einigen Fällen wird die PNP als idiopathisch klassifiziert.

Bedeutung von Ballaststoffen

Liegt der PNP ein Diabetes mellitus zugrunde, kann durch eine frühzeitige Kontrolle der Stoffwechseleinstellung und Ernährungsumstellung die Progression einer diabetischen Neuropathie verhindert oder hinausgezögert bzw. verlangsamt werden [4]. Bei einer diabetischen Polyneuropathie ist eine ballaststoffreiche Ernährung von Bedeutung. Der Energiebedarf sollte etwa zur Hälfte mit Kohlenhydraten wie Ballaststoffen gedeckt werden, die einen niedrigen glykämischen Index aufweisen. Daher sollte die Ernährung bei diabetischer PNP einen hohen Anteil an Vollkornprodukten, Nüssen, Obst und Gemüse enthalten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine tägliche Menge von mindestens 30 g Ballaststoffen. Um diese Ballaststoffmenge zu erreichen, müssten am Tag z. B. drei Scheiben Vollkornbrot, drei Kartoffeln, drei Portionen Gemüse (z. B. 200 g Blumenkohl, eine Karotte, 100 g Blattsalat) und zwei Portionen Obst (z. B. ein Apfel, 150 g Beeren) verzehrt werden. Bei einer diabetischen PNP sind 40 g täglich anzuraten [5].

Aus Beobachtungsstudien ist bekannt, dass un­lösliche Ballaststoffe das Risiko für Typ-2-Diabetes und entzündliche Erkrankungen senken können. Die Studie Optimal Fibre Trial for Diabetes Prevention (OptiFiT) untersuchte erstmals die Effekte ­unlöslicher Ballaststoffe zur Diabetesprävention. Insgesamt wurden 180 Probanden mit einem ­Prädiabetes ­eingeschlossen. Die Interventions­gruppe nahm zweimal täglich über zwei Jahre ein Ballaststoffpräparat ein. Es handelte sich um ein Trinkpulver, das v. a. auf Hafer beruht. Nach zwei Jahren konnten die positiven Auswirkungen auf den Langzeitblutzucker HbA1c mit statistischer Signifikanz im Vergleich zu Placebo festgestellt werden. Weitere präventive Effekte ­waren nicht signifikant. Dennoch zeigt die Studie positive Trends bei der Diabetesprävention auf und eine Post-hoc-Analyse wies die Dosisabhängigkeit der positiven Effekte nach [6,7].

Eine ballaststoffreiche Ernährung mit vielen Vollkornprodukten liefert zusätzlich Mineralstoffe, Vitamine und Proteine und fördert ein gesundes Darmmikrobiom. Darmbakterien verstoffwechseln langkettige Kohlenhydrate zu kurzkettigen Fettsäuren wie Butter- oder Propionsäure. Diese Fettsäuren weisen antiinflammatorische Eigenschaften auf.

Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass Propionsäure Nervenzellen schützt und deren Regeneration unterstützen kann. Im Modellversuch wurde eine Aktivierung des Free fatty acid Receptors 3 (FFAR3) auf der Oberfläche von Nerven- und Schwann-Zellen sowie eine Histonacetylierung durch Propionat beobachtet. Dies führt zu einer erhöhten Resistenz gegenüber oxidativem Stress und einer erhöhten Neuroregeneration. Aufgrund der antioxidativen und neuroregenerativen Eigenschaften könnte Propionat ein Ansatz für die Behandlung immunvermittelter Neuropathien darstellen [8].

Wirkung von Zimt

Pflanzen wie Zimt und Pflanzeninhaltsstoffe wie ­Curcumin zeigen vorteilhafte Effekte bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie (CIPN). Dazu zählen der Schutz vor Degeneration der Axone, Verbesserung der endogenen antioxidativen Abwehr und Regulation der Apoptose von Nervenzellen. Allerdings ist die klinische Evidenz zur Phytotherapie bei CIPN begrenzt [9].

Cassia-Zimt (Chinesischer Zimt, Cinnamomum ­cassia) wird traditionell bei neurologischen Erkrankungen eingesetzt. Vor allem im ätherischen Öl ist Zimtaldehyd enthalten. Dieser reguliert iNOS, COX-2 und NF-KB bei neuroinflammatorischen Prozessen. Wässrige Extrakte von Zimtrinde und -zweigen zeigen analgetische Effekte. Die orale Gabe von Zimtrindenextrakten an Ratten mit CIPN reduzierte spinale Tumornekrosefaktor(TNF)-Spiegel und deaktivierte dosisabhängig spinale Astrozyten und Mikroglia – die Aktivierung der Sphingosin-1-phosphat-Rezeptor [S1PR1]-Signalisierung in den Astrozyten ist an der Entwicklung von neuropathischen Schmerzen beteiligt; Mikroglia werden bei Neuropathie übermäßig aktiviert. Coumarin aus C. cassia-Extrakten weist analgetische Effekte auf und kann Chemotherapie-induzierte Kälteallodynie lindern [9].

Echter Zimt (Ceylon-Zimt, Cinnamomum verum) wird aufgrund seiner antidiabetischen Eigenschaften in der traditionellen Phytotherapie begleitend zum Diabetesmanagement eingesetzt. Der Hauptbestandteil von Extrakten aus Rindenöl ist Zimtaldehyd, der Plasma-Glucosewerte zu senken scheint. Die Food and Drug Administration (FDA) führt Zimt als „substance generally recognized as safe (GRAS)“ auf. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) legte die täglich tolerierbare Menge bei einem Teelöffel Zimt pro Tag bzw. 0,1 mg/kg Körpergewicht fest. Zum Diabetesmanagement kann begleitend ein Teelöffel Zimtpulver empfohlen werden, es liegen aber keine ausreichenden Studien zu definierten Zimtformulierungen und Dosierungen vor [10].

Neben der oralen Anwendung kann Zimt äußerlich bei PNP angewendet werden. Erfahrungen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) zeigen, dass warme Fußbäder bei PNP Linderung verschaffen können. Der wärmende Effekt auf das Gewebe kann durch Zusätze von Zimtöl verstärkt werden. Auch Einreibungen mit Ölen, denen ätherische Zimtessenzen zugesetzt sind, können eingesetzt werden.

Alpha-Liponsäure und B-Vitamine

Es gibt Hinweise zur Verbesserung der Symptome von diabetischer Neuropathie durch Antioxidantien wieα-Liponsäure. Insgesamt ist die Evidenz zurα- Liponsäure jedoch begrenzt [11]. Gemäß den Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft können Patienten mit Schmerzen bei diabetischer sensomotorischer Polyneuropathieα-Liponsäure verordnet bekommen [4].

Außerdem scheint auch Vitamin B12 diabetische Neuropathie lindern zu können. Die Symptomlinderung durch Vitamin B1 ist ebenfalls signifikant. Vor Beginn einer Behandlung mit B-Vitaminen sollte jedoch eine Spiegelbestimmung erfolgen [12].

Generell werden Defizite an B-Vitaminen mit Neuropathien assoziiert, denn die neurotropen Vitamine Thiamin (B1), Pyridoxin (B6) und Cobalamin (B12) schützen Nerven vor schädigenden Umwelteinflüssen und unterstützen die Funktionsfähigkeit von Neuronen auf unterschiedliche Weise.

Vitamin B1 z. B. wirkt als ortsgerichtetes Antioxidans, Vitamin B6 gleicht den Metabolismus der Nerven aus und Vitamin B12 erhält die Myelinhülle [13].

Neurotrope Vitamine wie Thiamin, Cobalamin und Pyridoxin schützen die Nerven

Neurotrope Nährstoffkombinationen

Auch Folsäure (Vitamin B9) hat eine bedeutende Rolle bei elementaren zellulären Prozessen, inklusive der Nukleinsäurebiosynthese und dem Aminosäurestoffwechsel. Gleichzeitig vorliegende Defizite an Folsäure und Vitamin B12 stehen häufig mit Neuropathien im Zusammenhang [14].

Für Nukleotide wie Uridinmonophosphat (UMP) konnte in experimentellen und klinischen Modellen gezeigt werden, dass sie sich auf die Ursache von Läsionen der Myelinhüllen auswirken. In einer explorativen, Open-Label, multizentrischen Studie wurde die Gabe von UMP, Folsäure und Vitamin B12 bei 212 Patienten mit peripherer Neuropathie über zwei Monate untersucht. Die Intensität der neuropathischen Schmerzen, der Gesamtschmerz-Score sowie die Anzahl betroffener Schmerzbereiche sanken ­signifikant. Zudem konnte durch die Kombination die Dosis an nicht steroidalen Antiphlogistika reduziert bzw. weggelassen werden. Die neurotrope Nährstoffkombination kann somit den erhöhten Bedarf von UMP und den beiden B-Vitaminen peripherer Nerven decken und den Regenerationsprozess geschädigter Nerven unterstützen [1].

Das Expertenstatement
Dr. med. Meike Maehle

Dr. med. Meike Maehle
Neuropraxis Grünwald
82031 Grünwald | München
Privatpraxis für Neurologie | Neuroorthopädie | Psychosomatik

www.neuropraxis-gruenwald.de

Ganzheitliche Behandlung der Polyneuropathie

Zur Förderung der Nervengeneration von Patienten mit PNP setze ich B-Vitamine, insbesondere B1 und B12, aber auch Omega-3-Fettsäuren und bei entzündlicher Ursache hochdosiert Vitamin C und Zink ein. Zur Schmerzlinderung kommenα-Lipon­säure, CBD-Öl und medizinischer Cannabis zum Einsatz. Dieα-Liponsäure ist das einzige Nahrungsergänzungsmittel, das in den neurologischen Leitlinien zur Behandlung der PNP aufgelistet ist, und somit in der Regel von den Krankenkassen erstattet wird. Der Naturstoff ist sehr gut wirksam bei diabetischer PNP in Kombination mit entsprechender Diät und Sport. Bei anderen Formen der PNP ist die Wirkung derα- Liponsäure meistens geringer. Zu Beginn der Behandlung bestimme ich den B-Vitaminspiegel im Blut und behandele bei niedrigem oder normalem Spiegel, um hier einen Spiegel am oberen Bereich oder leicht darüber zu erreichen. Denn die Normwerte für B-Vitamine sind Richtlinien für gesunde Patienten. Ich substituiere B-Vitamine nicht durchgängig, sondern 1 x im Quartal über einen Monat ­(1 x täglich 1 Tbl.). Zudem rate ich zu einer gezielten Diät, die sich nach der Ursache der PNP richtet.

Grundsätzlich gilt: alkoholische Getränke so wenig wie möglich oder gar nicht. Bei einem zugrunde liegenden Diabetes sollten die Patienten auf zucker- und fetthaltige Speisen (tierische Fette) verzichten. Weiterhin sind Fischgerichte (Omega-3-­Fettsäuren), Brokkoli, Beeren und Hülsenfrüchte zu empfehlen. Ich rate jedem Patienten mit PNP sich möglichst viel zu bewegen, Sport zu treiben, sofern das die Erkrankung zulässt, und dabei auch das Gleichgewicht zu trainieren.

Fazit

Die Therapie der PNP ist komplex und die Evidenz zu ernährungs- und phytotherapeutischen sowie orthomolekularen Ansätzen bleibt begrenzt. Eine ausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen sowie pflanzlicher Nahrung und Nahrungsergänzungsmitteln mit Zimt zeigen vorteilhafte Effekte über die Linderung von PNP-Symp­tomen hinaus. Es empfiehlt sich im Zuge der Neuropathie-Diagnostik, Mikronährstoffspiegel zu bestimmen, um Defizite aufzudecken und adäquat ausgleichen zu können.

1 Negrão L et al., Pain Manag 2014; 4: 191–6
2 Heuß D et al., Diagnostik bei Polyneuropathien, S1-Leitlinie, 2019, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien (Stand: 18.04.2023)
3 S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. AWMF-Registernummer: 032/054OL; Stand Februar 2020; www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Supportivtherapie/LL_Supportiv_Langversion_1.3.pdf (Stand: 18.04.2023)
4 Ziegler D et al., Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S243–S57
5 Kress M, Deutsche Schmerzhilfe. Polyneuropathie. 20. November 2019. www.schmerzhilfe.de/polyneuropathie/ (Stand: 12.04.2023)
6 Honsek C et al., Diabetologia 2018; 61: 1295–1305
7 Kabisch S et al., Acta Diabetol 2021; 58: 1649–58
8 Grüter T et al., PNAS 2023; 120: e2216941120
9 Oveissi V et al., Daru 2019; 27: 389–406
10 Sharma S et al., J Pak Med Assoc 2020; 70: 2065–9
11 Abubaker SA et al., Cureus 2022; 14: e25750
12 Stein J et al., Eur J Neurol 2021; 28: 2054–64
13 Baltrusch S, Biomed Res Int 2021; 2021: 9968228
14 Sobczyńska-Malefora A et al., J Clin Pathol 2018; 71: 949–56

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