Allen Impfungen und Hygienemaßnahmen zum Trotz gehören akute Infektionen der oberen und unteren Atemwege zu den häufigsten Leiden, aufgrund derer Patienten einen Arzt aufsuchen. Zudem haben sie praktisch das ganze Jahr über Saison.
Obwohl allseits bekannt ist, dass Viren neun von zehn akuten Atemwegserkrankungen auslösen, werden Antibiotika aus Sicherheitsbedürfnis noch immer großzügig, aber oftmals unnötig, eingesetzt. Eine 2016 veröffentlichte US-amerikanische Studie, die die Dokumentation von 184.032 ambulanten Konsultationen beschrieb, fand bei 20- bis 64-jährigen Patienten mit dieser Indikation 70 % unnötige Antibiotikaverschreibungen.[1] Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Virusinfekte durch eine Störung der Schleimhautfunktion über abnorme Zilienfunktion und geänderte Viskosität der Schleimschicht zu einer Störung der mukoziliären Clearance, reduziertem Sekretabfluss und mangelhafter Belüftung des Epithels führen und damit das Risiko einer bakteriellen Besiedlung virusinfizierter Epithelzellen erhöhen. Um das zu verhindern, sind Phytotherapeutika bei Atemwegsinfekten Mittel der ersten Wahl. Sie vermögen das Sekret zu verflüssigen, die Schlagfrequenz der Zilien zu steigern, den Sekretabtransport und das Abhusten (mukoziliäre Clearance) zu erleichtern, Entzündungen durch Hemmung proinflammatorischer Zytokine zu verringern und zudem antivirale und antibakterielle Effekte zu erzeugen. Rechtzeitig eingesetzt können sie eine bakterielle Superinfektion vermeiden und den Heilungsverlauf beschleunigen.[2,3]
Leider wird beim Schnupfen allzu schnell zu abschwellenden Nasentropfen, also α-Sympathomimetika gegriffen, die die Nasenschleimhaut austrocknen und somit noch anfälliger für Infektionen machen. Pflanzliche Alternativen sind Zubereitungen mit ätherischen Ölen aus Eukalyptus, Fenchel, Pfefferminz- oder Salbeiblättern, die über eine Regulierung der Sekretproduktion, des mukoziliären Transports und des Schwellungszustandes zu einer verbesserten Nasenatmung führen. Besonders gut lassen sich diese Mittel zur Inhalation oder als Einreibung nutzen. Vorsicht ist lediglich bei Säuglingen und Kleinkindern geboten, bei denen wegen der Gefahr eines Glottiskrampfs und Bronchospasmus ätherische Öle nicht im Bereich des Gesichts angewendet werden dürfen.
Bei Mund- und Halsentzündungen haben sich ebenfalls Salbeiblätter bewährt. Diese werden klassischerweise als Tee getrunken oder gegurgelt. Als Fertigarzneimittel ist eine Lösung, die neben Salbeiöl noch ätherische Öle aus Pfefferminze, Bitterfenchel, Anis, Nelke, Eukalyptus, Zimt und Thymian enthält, erhältlich. Wer den Salbeigeschmack nicht mag, kann alternativ Tee aus Kamillenblüten oder Schachtelhalm bzw. Zinnkraut zum Trinken oder Gurgeln verwenden. Auch diese Pflanzen wirken antiphlogistisch sowie antimikrobiell und beschleunigen damit die Heilung. Bei starken Halsschmerzen zeichnet sich Arzneipaprika, besser bekannt als Spanischer Pfeffer, aus. Mittels seines Hauptinhaltsstoffs Capsaicin (der auch den Schoten ihre Schärfe verleiht) bewirkt er eine Speicherentleerung und längerfristige Synthesehemmung der Substanz P und damit eine Hemmung der Schmerz- und Entzündungsreaktion. Bei starken Schmerzen im Mund- und Rachenraum kann man gegebenenfalls stündlich fünf bis zehn Tropfen oder eine Tablette davon einnehmen.[2] Ein generell gegen Virusinfekte, vor allem im frühen Stadium, sehr gut wirksames Phytotherapeutikum ist der polyphenolreiche Extrakt aus der graubehaarten Zistrose (Cistus incanus L. Pandalis). Dieser ist in der Lage, auf physikalischem, also nicht pharmakologischem Wege, das Eindringen von Viren in Schleimhautzellen zu verhindern[4] und damit sowohl vor Erkältungs- als auch vor Grippeviren wirksam zu schützen und die Infektdauer gegenüber Placebo um ein bis zwei Tage zu verkürzen.[5] Um einen Infekt gar nicht erst ausbrechen zu lassen, sollte der Extrakt möglichst direkt bei beginnenden Halsschmerzen oder Schnupfen am einfachsten als Halspastillen eingenommen werden. Im späteren Stadium alle zwei bis drei Stunden. Ebenfalls antiviral und antibakteriell wirkt ein Spezialextrakt aus der Kapland-Pelargonie, der vor allem bei Sinusitis und Bronchitis eingesetzt wird, seine Effektivität aber auch bei Halsentzündungen unter Beweis stellen konnte.[6] Auch der häufig eingesetzte rote Sonnenhut (Echinacea purpurea oder Echinacea angustifolia) hat seine beste Wirkung in der Prophylaxe oder ganz zu Beginn einer Erkältungskrankheit. Ist die Infektion schon in vollem Gange, bringt er meist nicht mehr allzu viel. Hilfreiche Tees bei Erkältungskrankheiten zur Unterstützung des Immunsystems sind solche mit Hagebutte- (Vitamin-C-reich), Linden- und Holunderblüten (schweißtreibend).[2]
Nachweislich heilungsbeschleunigend bei Erkrankungen der Nasennebenhöhlen wirkt ein Extrakt aus Primel- und Holunderblüten, Enzianwurzel, Eisen- und Ampferkraut.[7] Diese Heilpflanzenkombination hemmt einerseits die Prostaglandinfreisetzung und fördert andererseits die transepitheliale Chloridsekretion sowie die mukoziliäre Clearance. Dadurch hat sie sowohl antientzündliche als auch sekretolytische Effekte. Eisenkraut und Primel wirken zudem antiviral und Gartenampfer antiphlogistisch und immunmodulierend. Ebenfalls sehr bewährt und nachweislich wirksam bei Sinusitis wie auch bei Bronchitis sind die ätherischen Öle aus Eukalyptus, Süßorange, Myrte und Zitrone mit den Hauptwirkstoffen Myrtol, Cineol und α-Pinen.[8] Diese wirken antimikrobiell, entzündungshemmend sowie schleimverflüssigend und fördern den Sekretabtransport.[9]
Besonders quälend und gleichzeitig recht schwer zu behandeln, ist schmerzhafter trockener Husten, gegebenenfalls zusammen mit oder als Folge von Hals- und Kehlkopfentzündungen. Hier hat die Phytotherapie Schleimdrogen (Mucilaginosa) zu bieten. Das sind Heilpflanzen, die Mucopolysaccharide enthalten, die sich über die Schleimhäute von Pharynx, Larynx und Trachea legen, diese vor Irritationen schützen und damit den Husten lindern. Positiv monografiert sind z. B. Eibischwurzel, Isländisches Moos, Malvenblüten, Spitzwegerichkraut und Wollblumenblüten, die als Tee oder in Form von Hustensäften und/oder Lutschpastillen verordnungsfähig sind.
Bei der produktiven Bronchitis werden Expektoranzien eingesetzt, die sich in Sekretolytika (stimulieren die Bronchialsekretion), Sekretomotorika (stimulieren die Zilienmotilität) und Mukolytika (verringern die Viskosität des Bronchialsekrets) unterteilen lassen. Während chemisch definierte Wirkstoffe vorwiegend eine dieser Eigenschaften besitzen (z. B. Ambroxol = Sekretolytikum, Acetylcystein = Mukolytikum), wirken pflanzliche Mittel sekretolytisch und sekretomotorisch und darüber hinaus teilweise noch bronchospasmolytisch (z. B. Efeu, Campher und Eukalyptusöl) oder antimikrobiell (z. B. Thymian und Pfefferminzöl).[10]
Als geeignet erwies sich die gut untersuchte Extraktkombination der ätherischen Öle aus Eukalyptus, Süßorange, Myrte und Zitrone mit den Hauptwirkstoffen Myrtol, Cineol und α-Pinen. Diese Mischung wirkt mukolytisch, sekretolytisch sowie sekretomotorisch und steigert damit die mukoziliäre Clearance um 46 %.[8] Darüber hinaus wirkt sie antiinflammatorisch, antimikrobiell und bronchospasmolytisch.[11] Sie ist in Form von Kapseln erhältlich und für Personen ab sechs Jahren zugelassen. Cineol alleine, der Hauptwirkstoff des Eukalyptusöls, steht ebenfalls als Fertigarzneimittel in Form von Kapseln zur Verfügung und ist für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Für dieses Phytopharmakon konnte nachgewiesen werden, dass es aufgrund seiner mukolytischen, bronchodilatorischen und antiinflammatorischen Eigenschaften, als Begleitmedikation sowohl die Exazerbationsrate von COPD-Patienten senken als auch die Krankheitssymptome und Lebensqualität von Asthmapatienten signifikant verbessern kann.[12] Bei Bedarf kann täglich drei- bis viermal eine Kapsel dieser Medikamente, am besten etwa 30 Minuten vor einer Mahlzeit mit reichlich Flüssigkeit, eingenommen werden. Thymian, der außer einer stark sekretolytischen auch eine stark antiphlogistische, antibakterielle und antivirale Wirkung hat, zählt ebenfalls zu den Ätherischöl-Drogen. Er ist sowohl als Monotherapeutikum als auch in verschiedenen Kombinationen erhältlich. Klinisch belegt ist seine Wirksamkeit vor allem in Kombination mit Efeu (Abb. 1) und Primel. Die erstgenannte Mischung kombiniert die bronchospasmolytischen und expektorierenden Eigenschaften des Efeus mit den antimikrobiellen Eigenschaften des Thymians und kann daher – je nach vorherrschender Symptomatik – auch alternativ zu einem Monotherapeutikum eingesetzt werden. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass sie Husten- und Bronchitissymptome signifikant schneller lindert als Placebo, und dies bereits nach dem zweiten Behandlungstag.[13] Auch Efeu enthält ätherische Öle, vor allem jedoch Saponine, Flavonoide und Phenolsäuren. Für einen Spezialextrakt aus getrockneten Blättern des Efeus konnte gezeigt werden, dass er neben antiinflammatorischen und mukolytischen Eigenschaften auch bronchospasmolytische aufweist.[14] Zudem konnte Schaefer nachweisen, dass er auch antitussiv wirkt: Bereits nach 48 Stunden senkte er die Hustenintensität signifikant stärker als Placebo. Nach siebentägiger Anwendung zeigte sich eine Reduktion um 69 %. Und das ohne unerwünschte Ereignisse oder Wechselwirkungen.[15] Da der Saft speziell von Kindern meist als wohlschmeckend beurteilt wird, ist er bei spastischer Bronchitis in der Praxis oft erste Wahl.
Bei allen Arten von akuten Atemwegsinfektion wirksam ist der Extrakt der Kapland-Pelargonie (Pelargonium sidoides). Seine antivirale Wirkung resultiert einerseits aus der Steigerung der Interferonproduktion, andererseits aus der gesteigerten Freisetzung antimikrobieller Peptide (Defensine). Dadurch schützt er Zellen vor Viruszerstörung und aktiviert natürliche Killerzellen. Seine antibakterielle Wirkung ist Folge der Verhinderung der Adhäsion von Bakterien an Schleimhautzellen, der Verhinderung der Internalisierung von Bakterien in Schleimhautzellen sowie der Steigerung der Phagozytose und des intrazellulären Killings der Bakterien. Darüber hinaus fanden Tahan und Yaman Hinweise dafür, dass er das Risiko für die Entwicklung eines Asthmas bei Kindern mit akuten Atemwegsinfekten verringern kann. Dieser Extrakt ist als Fertigarzneimittel in Form von Tropfen, Tabletten und Saft für Personen ab einem Jahr erhältlich. Vor allem antibakteriell, aber auch antiviral, und deshalb auch gut bei Atemwegsinfektionen einsetzbar, wirken Kapuzinerkresse und Meerrettich, die kombiniert als Fertigarzneimittel erhältlich sind. Hauptwirkstoffe sind die darin enthaltenen Senföle, deren antimikrobielle Wirkung gut belegt ist. Je nach Schwere der Infektion können davon zwei- bis viermal täglich fünf Filmtabletten eingenommen werden. In einer größeren randomisierten kontrollierten klinischen Studie konnte Fintelmann zeigen, dass diese Kombination nicht nur therapeutisch wirksam ist, sondern auch prophylaktisch die Häufigkeit von Atemwegsinfektionen um 50 % reduziert.[16]
Der Autor
Prof. Dr. med. Peter W. Gündling
Studiendekan Naturheilkunde und komplementäre Medizin
Carl Remigius Medical School
Hochschule Fresenius Idstein
Praxis in 65520 Bad Camberg
[1] Fleming-Dutra et al., JAMA 2016; 315: 1864–1873
[2] Gündling PW, Die Naturheilkunde 2015; 92(6): 18–21
[3] Paparoupa M, Gillisen A, Phcog Rev 2016; 10: 143–146
[4] Ludwig S, Zeitschrift für Phytotherapie 2012; 33: 14–18
[5] Kalus U et al., Antiviral Res 2009; 84: 267–271
[6] Berezhnoi VV et al., Journal of Comprehensive Pediatrics 2016; 7(4): e42158
[7] Jund R et al., Acta Oto-Laryngologica 2015; 135: 42–50
[8] Lai Y et al., Am J Rhinol Allergy 2014; 28(3): 244–248
[9] Gottschlich S et al., Advances in therapy 2018; 35(7): 1023–1034
[10] Gündling PW, Erfahrungsheilkunde 2018; 67(5): 273–278
[11] Beeh KM et al., Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2016; 11: 2877–2884
[12] Worth H, Dethelfsen U, Journal of Asthma 2005; 49(8): 849–853
[13] Schenk A, Zeitschrift für Phytotherapie 2017; 38: 117–120
[14] Lang C et al., Planta Med 2015; 81(12–13): 968–974
[15] Schaefer A et al., Pharmazie 2016; 71(9): 505–510
[16] Fintelmann V et al., Curr Med Res Opin 2012; 28(11): 1799–1807
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