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Allgemeinmedizin

Fibromyalgie-Syndrom

Behandlungsmanagement individuell und multimodal ausrichten

Dr. med. Yuri Sankawa

9.6.2025

Das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) ist eine komplexe multisymptomatische Erkrankung, für die es aktuell keine zugelassene pharmakologische Therapieoption gibt. Wie aber lässt sich der Leidensdruck der Betroffenen individuell verringern?

Das FMS ist eine ätiologisch wie diagnostisch teils immer noch schwer fassbare chronische Störung, bei der muskuloskelettale Schmerzen eine vorherrschende Rolle spielen. Als ein funktionelles somatisches Syndrom und somit einem Komplex von Symp­tomen, bei dem sich die Beschwerden nicht durch andere körperliche Erkrankungen ausreichend erklären lassen [1], bleibt das Behandlungsmanagement beim FMS nach wie vor herausfordernd.

Gleichzeitig gehört das FMS mit einer Prävalenz von 1,4–6,6 % in der Gesamtbevölkerung zu den vergleichsweise häufigen, schmerzmedizinisch relevanten Erkrankungen, wobei die epidemiologischen Daten abhängig von den benutzten Diagnosekriterien variieren [2]. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (3 : 1), als typisches Manifestationsalter gilt das 30. bis 35. Lebensjahr, wobei eine Höchstprävalenz zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr angesiedelt ist [3].

Klinisch überwiegt ein sehr heterogenes Bild, wobei Schmerzsymptome im Vordergrund stehen (v. a. als chronischer Ganzkörperschmerz). Die meisten ­Patienten und Patientinnen leiden zudem unter Schlafstörungen, Fatigue, kognitiven Beeinträchtigungen und vegetativen/funktionellen Symptomen [1].

Die ACR-Kriterien ermöglichen es auch Nichtrheumatologen, die Diagnose zu stellen.

In einer aktuellen retrospektiven Querschnittsuntersuchung aus Deutschland gaben 78,5 % aller Teilnehmenden (n = 11 948) eine starke (> 50 mm auf der visuellen Analogskala, VAS) und 40,7 % (n = 6 185) eine schwerwiegende schmerzbedingte Beeinträchtigung (> 70 mm VAS) im Alltag an [2]. Zudem wurden bei 4 von 10 Betroffenen starke Depressivitätswerte und bei 5 von 10 Erkrankten mindestens starke Angstwerte dokumentiert. Unterschiedliche kognitive Beeinträchtigungen („fibro fog“) umfassten mnestische Störungen (13,8 %), Störungen des Erinnerungsvermögens (18,2 %) und Störungen der Denkabläufe (16,0 %) [2].

Nicht länger eine Ausschlussdiagnose

Die klinische Beurteilung ist bei der FMS-Diagnose nach wie vor der Goldstandard [4]. Mit den revidierten Kriterien der American College of Rheumatology (ACR 2016) lassen sich eine jahrelange Ursachensuche und Ausschlussdiagnosestellung weitestgehend vermeiden. Die Kriterien ermöglichen auch Nichtrheumatologen die Diagnosestellung (Kasten 1). Der Praxisleitfaden der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) fasst u. a. die Verfahrensweisen zur Evaluation von Ganzkörperschmerzen wie die Erhebung des Wide­spread Pain Index (WPI) oder des Symptomschweregrades (SSG) übersichtlich zusammen [5].

Gemäß S3-Leitlinie* sollte das FMS auch keinesfalls mit einer somatoformen Scherstörung oder chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren gleichgesetzt werden, da die Kriterien für Letztere nur von einem Teil der an FMS Erkrankten erfüllt werden und somit besser als ­Komorbiditäten des FMS aufzufassen sind [1]. Beim FMS sind als häufige, potenzielle Komorbiditäten depressive Störungen (40–80 %), Angststörungen (30–70 %) und das Reizdarmsyndrom (30–80 %) zu berücksichtigen [1]. Weiterhin besteht häufig eine Assoziation mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, aber auch zu psychischen Faktoren wie Stress (z. B. Konflikte am Arbeitsplatz), Missbrauchserfahrungen aus der Kindheit/sexuellen Gewalterfahrungen im Erwachsenenalter oder depressiven Störungen. Zudem gelten Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Übergewicht und mangelnde körperliche Aktivität als Risikofaktoren, die ebenfalls bei der Behandlung berücksichtigt werden sollten [1].

Auch wenn anhand der klinischen Charakteristika unterschiedlich schwere Verlaufsformen unterschieden werden, steht eine anerkannte Schweregradeinteilung bislang nicht zur Verfügung [1]. Neben der ausführlichen Anamnese (inklusive Medikamentenanamnese) unter Zuhilfenahme standardisierter Fragebögen, einer vollständigen körperlichen Untersuchung (v. a. neurologisch/orthopädisch/dermatologisch) und der gezielten Evaluation weiterer Kernsymptome wie Müdigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen wird initial auch ein Basislabor empfohlen (Kasten 2).

Abgestuftes Therapiemanagement

Die Therapie des Fibromyalgie-Syndroms richtet sich nach der Schwere der Erkrankung und folgt einem abgestuften Behandlungskonzept: angefangen mit der Ermutigung zu körperlicher und psychosozialer Aktivierung bei einer leichtgradigen Erkrankung bis hin zu multimodalen Therapien aus körperlich aktivierenden bzw. psychotherapeutischen Verfahren und/oder medikamentöser Therapie. In der S3-Leitlinie wurde aufgrund fehlender Zulassungen (alle Medikamente sind off-label) oder Nachweise für über das Therapieende hinausreichende nachhaltige Therapieeffekte sowie wegen potenzieller Risiken keine der bislang verfügbaren pharmakologischen Therapien mit einer starken Empfehlung versehen. Eine starke Empfehlung erhielten dagegen aerobes Training und multimodale Therapien [1,7]. Eine Entscheidungsfindung im Hinblick auf (nicht) medikamentöse Therapie­optionen sollte gemeinsam mit der Patientin bzw. dem Patienten erreicht werden (Tab.). In der Versorgungsstudie aus Deutschland betrug die berichtete Anzahl an Therapien aus verschiedenen Behandlungsansätzen im Mittel 13,3 ± 3,6. Etwa die Hälfte (48 %) der Patienten und Patientinnen wurden mit 14 oder mehr verschiedenen Therapieansätzen­­ ­behandelt. Am häufigsten wurden medikamentöse Dauertherapien (100 %) und Rescue-Therapien (91,5 %) genannt, gefolgt von Physiotherapie (86,2 %), Massage (73,2 %), Infektionstherapien (58,8 %), Akupunktur (57,3 %), Ernährungsintervention (54,7 %), Psychotherapie (52,2 %) und transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) (51,3 %). Die Teilnahme an einer multimodalen Behandlung gaben 37,7 % der Patientinnen und Patienten an [2].

Wichtigster Bestandteil eines Therapiesettings sollte eine individuell angepasste Bewegungstherapie sein.

Die in der S3-Leitlinie empfohlenen nicht medikamentösen Therapieansätze umfassen die Aufklärung der Patienten und Patientinnen über die Natur der Erkrankung, über eine Verhaltenstherapie sowie sportliche Aktivierung und die Ermunterung zum Engagement in Selbsthilfe-Gruppen. Als wichtigster Bestandteil des multimodalen Therapiesettings wird die individuell angepasste Übungs- und Sporttherapie hervorgehoben, d. h. eine aktivierende körperbezogene Eigentherapie unter kompetenter Anleitung. Die Betroffenen sollten Spaß an den Maßnahmen haben und die Übungen auch als sinnvoll empfinden.

Grundsatz: Alles, was Leidensdruck mildert

Grundsätzlich kann jegliche Therapiemaßnahme, die mit dem Ziel einer Verbesserung bzw. des Erhalts von Lebensqualität eingeleitet wird, Erfolg versprechend sein [1,7]. So wurden bei Anwendung von TENS reduzierte Schmerzen berichtet, wenn die Anwendung in hohen/gemischten Frequenzen erfolgte, bei einer hohen Intensität sowie langfristig mit ≥ 10 Sitzungen [8]. Wärmeanwendungen wie die Ganzkörperthermie können ebenfalls zu einer Reduktion von Schmerzen beitragen, aber auch regelmäßige selbstständig durchführbare Anwendungen (z. B. Saunagänge, Vollbäder) werden häufig als lindernd empfunden.

* Eine neue Version der S3-Leitlinie befindet sich aktuell in der Konsertierungsphase (Erstversion von 2008, Aktualisierungen in 2012 und 2017).

  1. S3-Leitlinie Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms; Stand: 17.03.2017 (aktuell in Überarbeitung)
  2. Ueberall MA, Schmerzmedizin 2022; 38: 37–40
  3. Jurado-Priego LN et al., Biomedicines 2024; 12: 1543
  4. Di Carlo M et al., Clin Exp Rheumatol 2024; 42: 1141–9
  5. www.dgschmerzmedizin.de/fileadmin/dgs/Dokumente/PDF_oeffentlich/DGS-PLF-Fibromyalgie-Teil-1-Diagnostik-V1.1.pdf
  6. Wolfe F et al., Semin Arthritis Rheum 2016; 46: 310–29
  7. Häuser W, Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2022; 65: 7–11
  8. Amer-Cuenca JJ et al., Pain 2023; 164: 1645–57

Bildnachweis: AnnaRassadnikova (gettyimages); FM2 (Adobe Stock)

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