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Gynäkologie

Universeller Steuerungsmechanismus

Epigenetik in der Gynäkologie und Reproduktionsmedizin

Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk

15.4.2024

Die Epigenetik ist ein aufstrebendes Forschungsfeld, das sich mit Veränderungen der Genexpression befasst, die nicht durch eine Veränderung in der DNA-Sequenz selbst verursacht werden. In der Gynäkologie betrifft das die fetale Programmierung, reproduktive Gesundheit und IVF sowie die gynäkologische Onkologie.

Die Epigenetik beschäftigt sich mit Mechanismen, die die Aktivierung bzw. Unterdrückung von Genen beeinflussen. Dafür sind im Wesentlichen 3 biochemische Prozesse verantwortlich:

  • die DNA-Methylierung
  • die Modifikation von Histonen
  • die Expression nicht kodierender RNA

Im Bereich der Anti-Aging-Medizin spielt die Epigenetik inzwischen eine Schlüsselrolle. Sie gilt als eines der 12 wichtigsten „Hallmarks of Aging“ (s. Seiten 12–14). Der zunehmende Verlust der epigenetischen Steuerung (das „epigenetische Rauschen“) gilt als eine der wichtigsten Alterungsfaktoren. Der Harvard-Genetiker David Sinclair hält diesen Alterungsprozess für den wichtigsten überhaupt.

Diagnostisch lässt sich dieser Verlust der epigenetischen Steuerung durch die „epigenetische Uhr“ (Horvarth´s clock) nachweisen [1]. Diese erlaubt inzwischen eine präzise Bestimmung des biologischen Lebensalters. Zumindest in Tierversuchen werden auch erste „epigenetische Reprogrammierungen“ durchgeführt, die den Schritt von einer präventiven zu einer regenerativen Medizin einleiten [2].

Ein Mangel an Mikronährstoffen kann epigenetische Auswirkungen haben.

Fetale Programmierung durch epigenetische Faktoren

Die Epigenetik hat aber auch entscheidende Einflüsse auf die Gynäkologie bzw. auf die Reproduktionsmedizin. Wir wissen inzwischen, dass die Schwangerschaft eine der wichtigsten „Windows of Opportunity“ für die epigenetische Prägung ist. Umweltfaktoren wie Ernährung, Stress, Exposition gegenüber Chemikalien bei der Mutter haben Auswirkungen auf die Entwicklung des Feten, die sich nicht nur auf die Schwangerschaft und den Geburtsverlauf auswirken, sondern auch auf das gesamte weitere Leben und die Gesundheit des Kindes. Die Wirkungen sind sogar transgenerationell, wirken sich also auf die weiteren Generationen aus. Ein viel zitiertes Beispiel in diesem Zusammenhang sind die sogenannten „Small for Date“-Babys, die während des holländischen Hungerwinters 1943/1944 auf die Welt kamen. Hier zeigten insbesondere die Untersuchungen von Barker, dass diese Kinder, die deutlich unterernährt auf die Welt kamen, intrauterin offensichtlich darauf geprägt wurden, Kalorien besonders effektiv zu verwerten. Im späteren Erwachsenenalter führte dann diese epigenetische Prägung dazu, dass die ehemaligen „Small for Date“-Babys dazu neigten, Übergewicht zu entwickeln, einschließlich aller damit verbundenen metabolischen Folgeerkrankungen [3]. Auch ein Mangel an Mikronährstoffen wirkt sich epigenetisch aus. Einer der wichtigsten epigenetischen Steuerungsmechanismen ist – wie beschrieben – die DNA-Methylierung. Hier ist der wichtigste körpereigene Methylgruppendonator die Folsäure. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer ausreichenden Folsäureversorgung während der Schwangerschaft, beziehungsweise bereits schon präkonzeptionell.

Reproduktive Gesundheit

Epigenetische Faktoren wirken sich jedoch nicht nur während der Schwangerschaft aus, sondern haben bereits schon davor einen entscheidenden Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Dies betrifft im Übrigen nicht nur die Mütter. Auch bei Männern beeinflusst die epigenetische Prägung zum Beispiel die Spermatogenese sowie die Qualität des produzierten Spermas [4]. Veränderungen in der DNA-Methylierung respektive der Histon-Acetylierung wirken sich auf Spermienzahl, -beweglichkeit und -morphologie aus, was zur männlichen Unfruchtbarkeit führen kann. Generell kann man bei Männern mit Unfruchtbarkeit eine Anfälligkeit für epigenetische Veränderungen in den Genen beobachten, die für die Regulation der Spermatogenese und der Spermienfunktion wichtig sind [5].

Die Untersuchung der epigenetischen Prägung im Bezug auf die reproduktive Gesundheit wird in Zukunft sehr viel weitergehende klinische Implikationen haben. Dazu zählt die Entwicklung prädiktiver Marker für die Fruchtbarkeit sowie für die Identifizierung von Personen mit einem erhöhten Risiko für reproduktive Störungen. Aus diesen diagnostischen Techniken könnten sich dann epigenetische Therapien entwickeln, die zur Behandlung von Fruchtbarkeitsproblemen eingesetzt werden, indem sie die epigenetische Signatur in den Keimzellen korrigieren und modellieren. Insgesamt verdeutlicht diese Forschung die komplexe Interaktion zwischen Epigenetik und reproduktiver Gesundheit.

Epigenetische Therapien können zur Behandlung von Fruchtbarkeits­problemen beitragen.

Epigenetik und IVF

Immer mehr Studien zeigen, dass IVF offensichtlich mit Veränderungen in der DNA-Methylierung und der Expression von Genen in Verbindung gebracht werden kann. Dies hat möglicherweise Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nachkommen. Insbesondere bei der Manipulation von Spermien während des ICSI-Verfahrens kann es offensichtlich zu epigenetischen Veränderungen kommen [6]. Das Verständnis der epigenetischen Auswirkungen reproduktiver Technologien ist von entscheidender Bedeutung, um potenzielle Risiken für die Nachkommenschaft zu identifizieren und Strategien zur Minimierung dieser Risiken zu entwickeln. Dies könnte die Implementierung von Screening- und Überwachungsprotokollen zur Bewertung der epigenetischen Gesundheit von Nachkommen, die aus assistierter Reproduktionstechnik resultieren, einschließen.

Auch bei der Technik des Klonens von Tieren sind die bisher wenig überzeugenden Ergebnisse offensichtlich durch Veränderungen der Epigenetik bedingt. Beim Klonen wird die DNA in eine entkernte Eizelle eingeführt, was zu einer epigenetischen Umprogrammierung führt, die notwendig ist, um die Zelldifferenzierung zu erreichen. Viele Regulationen in diesen epigenetischen Mustern können zu Abnormalitäten und Entwicklungsstörungen bei geklonten Tieren führen [7].

Epigenetik und gynäkologische Krebserkrankungen

Eine besondere Rolle spielt die Epigenetik auch bei der Entstehung gynäkologischer Krebserkrankungen. Diese Erkrankungen werden nicht nur durch genetische Mutationen, sondern auch durch epigenetische Modifikationen beeinflusst, die dann die Regulation von Genexpression und zellulären Prozessen steuern. Bezüglich des Gebärmutterhalskrebses wissen wir, dass dieser hauptsächlich durch persistierende Infektionen von humanen Papillomaviren (HPV) entsteht, welche zu epigenetischen Modifikationen im Wirtsgenom führen [8].

Die DNA-Methylierung spielt eine Rolle bei der Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen, die für die Regulierung des Zellzyklus entscheidend sind. Epigenetische Veränderungen können dazu führen, dass Zellen entarten und sich zu Krebszellen entwickeln (Abb.). Sehr gut untersucht ist das inzwischen für das Ovarialkarzinom. Hier führen DNA-Methylierungsveränderungen und ­Histonmodifikationen zur Expression von Genen, die an der Zellproliferation, Invasion, Metastasierung und Chemoresistenz beteiligt sind [9]. Gleiches gilt auch für den Brustkrebs, wo epigenetische Modifikationen ebenfalls die Zellproliferation, Invasion, Metastasierung und Hormonrezeptoraktivität regulieren [10]. Die Identifizierung von epigenetischen Biomarkern hat somit das Potenzial, Früherkennungs- und Prognosewerkzeuge für gynäkologische Krebserkrankungen zu entwickeln. Darüber hinaus können epigenetische Therapien, die auf die Umkehr oder Modulation epigenetischer Veränderungen abzielen, neue Behandlungsstrategien für diese Krebsarten eröffnen.

Der Autor

Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk
Metropol Medical Center Nürnberg
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (GSAAM)

kleine-gunk@mmc-nuernberg.de

  1. Horvath S, Genome Biol 2013; 14: R115
  2. Lu Y et al., Nature 2020; 588, 124–9
  3. Kwon EJ et al., Obstet Gynecol Sci 2017; 60: 506–19
  4. Liu Y et al., Epigenetics Chromatin, 2022; 15: 3
  5. Krzastek SC et al., Transl Androl Urol 2020; 9: S195–S205
  6. Sciorio R, Esteves SC, J Clin Med 2022; 11: 2135
  7. Smith LC, Murphy BD, Cloning Stem Cells 2004; 6: 126–32
  8. Ramos Da Silva ML et al., Biomed Rep 2021; 15: 60
  9. Natanzon Y et al., Semin Cancer Biol 2018; 51: 160–9
  10. Garcia-Martinez L et al., Nature Communication 2021; 12: 1786

Bildnachweis: Alexey Yarkin (gettyimages), privat

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