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Gynäkologie

Hohes Alter und hohes Gewicht

Schwangerschaft mit Risiken: Problemzone 35+

Prof. Dr. med. Thomas Römer und Dr. rer. nat. Reinhard Merz

9.3.2022

Die wichtigsten Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Geburtshilfe: Die Schwangeren werden im Schnitt immer älter und immer dicker. Und sowohl ein hohes mütterliches Alter als auch ein hoher BMI bringen zusätzliche Probleme für Mutter und Kind mit sich. Dieser Beitrag gibt eine aktuelle Übersicht.

Die fertile Phase einer Frau umspannt weniger als die Hälfte ihrer Lebenszeit. Sie beginnt mit der Pubertät und endet mit der Menopause. Der Follikelpool ist schon bei Beginn der fertilen Phase deutlich reduziert. Gibt es in der Fetalphase noch 5–7 Mio. ruhende Eianlagen, sind es schon in der Pubertät nur noch 500 000 [1] – trotzdem mehr als genug für die etwa 400–500 Zyklen im Leben einer Frau.

Doch nicht in allen Zyklen und Altersphasen ist die Konzeptionswahrscheinlichkeit gleich hoch. Das zeigt sich in der altersabhängig stark abnehmenden Lebendgeburtswahrscheinlichkeit pro Eizelle [2]. Ab 35 Jahren sinkt die Lebendgeburtswahrscheinlichkeit pro Eizelle um 10 % pro Jahr, ab 47 Jahren liegt sie nahe null (Abb. 1) [3].

Abbildung 1: Lebendgeburtswahrscheinlichkeit pro Eizelle

Oozytäre Alterung

Die physiologischen Zusammenhänge sind komplex: Von der Embryonalentwicklung bis zur Pubertät ruhen die Primordialfollikel im Stadium der Prophase 1. Durch die mit luteinisierendem Hormon (LH) induzierte Ovulation wird die erste Reifeteilung der Meiose reinitiiert und mit dem Ausschleusen des ersten Polkörpers abgeschlossen. Ein wichtiges Binde­glied zwischen dem menstruellen Monatszyklus und dem ovariellen Zyklus ist das Anti-Müller-Hormon (AMH), das wesentlich die Follikelrekrutierung kontrolliert [4]. Die Meiose der Oozyten kann somit bis zu 50 Jahren andauern und während dieser Zeit können sich schädigende Einflüsse summieren (oozytäre Alterung). Man geht von 20 % aneuploider Oozyten bei 20-jährigen Frauen und bis zu 60–80 % aneuploider Oozyten bei Frauen über 40 Jahre aus. Die Gründe sind vielfältig, dazu gehören [3]:

• die altersabhängige fehlerhafte Aktivität des Enzyms Separase 
• Reduktion und Funktionsverlust der Mito­chondrien sowie strukturelle Anomalien des Spindelapparats 
• die abnehmende Stabilität der oozytären mRNA 
• epigenetische Altersveränderungen

Dieser Verlauf hat sich offensichtlich in den vergangenen drei bis vier Jahrhunderten nicht verändert. Die Auswertung alter Kirchenbücher und Familienregister zeigte im Vergleich mit den Geburtenraten von Anwenderinnen der natürlichen Familien­planung in Deutschland heute, dass sich die sogenannte „time to pregnancy“ in dieser Zeit kaum verändert hat [3].

Auch bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) sinkt die Erfolgsquote mit dem Alter der Frau. Die Statistik des Deutschen IVF-Registers (DIR) zeigt, dass bereits ab 35 Jahren das Risiko steigt, dass nach dem Einsetzen des Embryos erst gar keine Schwangerschaft zustande kommt, oder dass die Schwangerschaft durch eine Fehlgeburt endet (Abb. 2). Mit 40 Jahren liegt pro Behandlungsrunde die Chance auf eine Schwangerschaft nur noch bei gut 20 % und die Chance auf eine Geburt nur noch bei 15 % [5].

Altersbedingte Komplikationen

Die Müttersterblichkeit in Deutschland ist niedrig, 2015 lag sie nach Schätzungen der WHO bei 6/100 000 Lebendgeburten [6]. Allerdings geht man erfassungsbedingt davon aus, dass die Rate de facto vermutlich höher ist [7]. Statistiken aus Großbritannien zeigten eine maternale Sterblichkeitsrate von 9,8/100 000. Während diese bei Frauen zwischen 20 und 24 Jahren  bei 7/100 000 lag, war sie bei Frauen ab 40 Jahren bei 22/100 000 [8]. Besonders hoch ist das Risiko für Frauen mit chronischen Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas – dazu später mehr.

Das Präeklampsierisiko von allgemein 4–5 % steigt exponentiell mit dem mütterlichen Alter und ist bei über 40-Jährigen 1,5-fach höher. Auch das Risiko eines chronischen Hypertonus ist bei Frauen ab 35 Jahren 2- bis 4-fach höher als bei den 30- bis 34-jährigen, und das für einen Gestationsdiabetes mehr als doppelt so hoch. Bei Schwangeren ab 40 Jahren sollte daher bereits in der Frühschwangerschaft der Nüchternblutzucker bestimmt werden, um eine Glucosetoleranz frühzeitig zu erkennen. Ziel ist die Verbesserung des mütterlichen und fetalen Outcomes durch eine frühe Intervention [7].

Auch das Risiko einer Frühgeburt steigt mit dem mütterlichen Alter. Dazu können verschiedene Faktoren beitragen, etwa vaskuläre (uteroplazentare Insuffizienz) und hormonelle Störungen (Progesteronmangel). Bei Frauen ab 40 Jahren steigt das Frühgeburtsrisiko unabhängig vom Paritätsstatus besonders in der Gruppe der Frühgeburten unter 32 Schwangerschaftswochen auf mehr als das Doppelte [9]. Das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes schnellt insbesondere nach dem berechneten Entbindungstermin nach oben (Abb. 3), sodass eine Einleitung ab 38 Schwangerschaftswochen angeboten werden sollte. Eine Terminüberschreitung sollte nach Möglichkeit vermieden werden.

Abbildung 3: Risiko für Intrauterinen Fruchttod

Adipositas und Kinderwunsch

Neben dem Alter ist Adipositas einer der wesentlichen Risikofaktoren für nicht erfüllten Kinderwunsch. Übergewicht und Adipositas sind in allen Altersgruppen weitverbreitet. Immer weniger Erwachsene sind normalgewichtig. Auch Schwangere sind zunehmend übergewichtig oder adipös und weisen immer häufiger Schwangerschaftsdiabetes auf (Abb. 4) [10].

Abbildung 4: Übergewicht und Adipostitas bei Schwangeren

Der Zusammenhang zwischen maternaler Adipositas und schweren fetomaternalen Schwangerschaftskomplikationen ist schon lange bekannt [11] und das individuelle Risiko steigt dabei mit der jeweiligen Zunahme des maternalen Body-Mass-­Index (BMI) an (Abb. 5) [12]. Eine frühzeitige Erfassung dieser Komorbiditäten und entsprechende Adaptierung des geburtshilflichen Managements ist daher obligat.

Abbildung 5: Sterblichkeit in der Schwangerschaft

Adipositas ist vor allem einer der wesentlichen Risikofaktoren für die Entstehung des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS). Frauen mit einer Glucosetoleranzstörung und Insulinresistenz, die bei Adipositas gehäuft auftritt, haben häufiger ein PCOS. Anders herum haben Frauen mit PCOS häufiger eine Insulinresistenz bzw. eine gestörte Glucosetoleranz. Die verstärkte Stimulation ovarieller IGF-1-Rezeptoren durch die Hyperinsulinämie bei Insulinresistenz ist für die Entstehung der Follikelreifungsstörung bei PCOS mit verantwortlich. Die daraus resultierende Hyperandrogenämie führt zu einer Störung der gonadalen Achse, dadurch wird die Follikelreifungsstörung verstärkt. Patientinnen mit einem PCOS haben daher häufig eine eingeschränkte Fertilität [13].

Risikoschwangerschaft mit Adipositas

In Abhängigkeit vom Schweregrad erhöht die Adipositas das Risiko für Schwangerschafts-assoziierte Erkrankungen. Eine 10%ige Differenz des prägraviden BMI ist mit einer mindestens ebenfalls 10%igen relativen Risikoveränderung für Präeklampsie bzw. Gestationsdiabetes verbunden [14].

Die Abortrate nach spontaner Konzeption war in einer gepoolten Analyse von sechs Studien bei adipösen gegenüber normalgewichtigen Frauen um den Faktor 1,3 erhöht [15]. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass bei Adipositas häufiger als bei Normalgewicht euploide Fehlgeburten berichtet werden [16]. Eine Metaanalyse gibt folgende Adipositas-assoziierte Risikoerhöhungen an [17]:

• Spina bifida (Odds Ratio [OR] 2,24)
• kardiale Septumdefekte (OR 1,20)
• anorektale Atresien (OR 1,48)
• Hydrocephalus (OR 1,68)

Demgegenüber stehen die deutlich eingeschränkten Möglichkeiten der sonografischen Diagnostik bei ­manifester Adipositas, die aufgrund der ungünstigen physikalischen Schallbedingungen zu berücksichtigen sind [18]. Die nachhaltige Beeinträchtigung der Bildqualität bei erhöhtem maternalen BMI zeigt sich insbesondere im Zuge des Ersttrimester-Screenings. Es konnte gezeigt werden, dass sowohl die midsagittale Schnittführung zur Nackentransparenz-Messung als auch die korrekte Einstellung des fetalen Nasenbeins mit zunehmendem BMI signifikant erschwert ist. Die Reduktion der cfDNA im maternalen Blut führt zu einem Anstieg der nicht auswertbaren Testergebnisse bei einem nicht invasiven Pränataltest [19].

Das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes (IUFT) ist gegenüber normalgewichtigen Frauen erhöht. In einer Metaanalyse wurde bei einem Anstieg des BMI um 5 kg/m2 ein adjustiertes relatives Risiko von 1,24 berechnet. Auch das postnatale Mortalitätsrisiko im ersten Lebensjahr ist bei maternaler Adipositas in Abhängigkeit vom BMI erhöht. Der Effekt war bei Reifgeborenen stärker ausgeprägt als bei Frühgeburten und betraf sowohl die frühe (< 28 Tage nach der Geburt) als auch späte Mortalität (> 28 Tage nach der Geburt) [20].

Auch die bei Adipositas erhöhte Frühgeburtenrate, sowohl spontan als auch infolge Schwangerschafts-assoziierter Erkrankungen, trägt zum ungünstigen neonatalen Outcome bei. Das Risiko für medizinisch indizierte frühe Frühgeburten erhöht sich im Wesentlichen aufgrund der Häufung hypertensiver und diabetischer Schwangerschaftskomplikationen und steigt zusätzlich bei einer intragraviden Gewichtszunahme von > 9 kg ab einem BMI > 30 (OR 1,54) [20].

Die Neonaten adipöser Mütter weisen einen erhöhten Fettgewebeanteil auf und der Anteil makrosomer ­Kinder steigt mit zunehmendem BMI der Mutter [21]. Adipositas scheint unabhängig von einer diabetischen Stoffwechsellage ein Risikofaktor für eine fetale Makrosomie zu sein und ist auch mit einer späteren Adipositas im Kindes- und Jugendalter assoziiert [22].

Intra- und postpartale Risiken betreffen Mutter und Kind gleichermaßen. Die Chance auf eine vaginale Entbindung nimmt mit zunehmender Adipositas ab, Gründe für die erhöhte Sectiorate sind Präeklampsie, fetaler Stress, cephalopelvines Missverhältnis oder Geburtsstillstand. Infolge von Wundinfektionen und -heilungsstörungen sowie Fieber ist jedoch auch die Operations-assoziierte Morbidität bei Adipositas erhöht [20].

Die aktuelle S3-Leitlinie „Adipositas und Schwangerschaft“ fasst die Empfehlungen zusammen [23]. Frauenärzte sollten das Thema Gewichtsreduktion mit Patientinnen im fertilen Alter aktiv ansprechen und auch mögliche Lösungsansätze anbieten. Die vorliegenden Studien lassen den Rückschluss zu, dass ein Lebensstil mit vermehrter Bewegung und adäquater Ernährung präkonzeptionell positive Auswirkungen sowohl auf die Schwangerschaft als auch auf die Entbindung und die Zeit danach haben kann. Durch eine Gewichtsreduktion lässt sich ferner die Erfolgsrate reproduktionsmedizinischer Maßnahmen signifikant steigern. Frauen, die sich in eine reproduktionsmedizinische Behandlung begeben, sollten vor Beginn der Behandlung daher nachdrücklich über den Nutzen einer Gewichtsreduktion aufgeklärt werden.

FAZIT:

Hohes Alter und hoher BMI gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren in der Geburtshilfe. Mit dem Alter nimmt die Schwangerschafts­rate sowohl spontan als auch nach IVF ab, dafür steigen sowohl das Präeklampsie- als auch das Frühgeburtsrisiko deutlich an. Noch drama­ti­scher als das Alter 35+ ist ein BMI 35+. Hier betreffen intra- und postpartale Risiken Mutter und Kind gleichermaßen. Frauenärzte sollten daher das Thema Gewichts­reduktion mit Patientinnen im fertilen Alter aktiv ansprechen und auch mögliche Lösungs­ansätze anbieten.

Der Autor

Prof. Dr. med. Thomas Römer
Chefarzt der Frauenklinik in Köln-Weyertal

Herausgeber des Journals DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE

thomas.roemer@evk-koeln.de

Der Autor

Dr. rer nat. Reinhard Merz

1 Gougeon A, Maturitas 1998; 30: 137–142
2 Silber SJ et al., Fertil Steril 2017; 107: 1232–1237
3 Gnoth C, Gynäkol Endokrinol 2020; 18: 81–87
4 Jeppesen JV et al., Mol Hum Reprod 2013; 19: 519–527
5 DIR-Jahrbuch 2019, Im Internet: deutsches-ivf-register.de%2Fperch%2Fresources%2Fdir-jahrbuch-2019-de.pdf
6 WHO 2015, Trends in maternal mortality: 1990 to 2015. Im Internet: apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/194254/9789241565141_eng.pdf
7 Tallarek AC et al., Gynäkol Endokrinol 2020; 18: 67–72
8 Waldenström U et al., BJOG 2017; 124: 1235–1244
9 Knight M, Obstet Gynaecol Reprod Med 2019; 29: 21–23
10 14. DGE-Ernährungsbericht 2020; DGE aktuell 28/2020 vom 24.11.2020
11 Sebire NJ et al., Int J Obes Relat Metab Disord 2001; 25: 1175 –1182
12 Wirth A, CardioVasc 2021; 21: 50–51
13 Merz R, Privatarzt Gynäkol 2021; 12 (1): 26
14 Schummers L et al., Obstet Gynecol 2015; 125: 133–143
15 Boots C et al., Semin Reprod Med 2011; 29: 507–513
16 Boots C et al., Fertil Steril 2014; 102: 455–459
17 Stothard KJ et al., JAMA 2009; 301: 636–650
18 Paladini D, Ultrasound Obstet Gyecol 2009; 33: 720–729
19 Rose NC, Clin Obstet Gynecol 2016; 59: 140–147
20 Stubert J et al., Dtsch Ärzteblatt 2018; 115 (16): 278–283
21 Kim SS et al., Obstet Gynecol 2016; 128: 104–112
22 Woo Baidel JA et al., Am J Prev Med 2016; 50: 761–779
23 S3-Leitlinie Adipositas und Schwangerschaft, AWMF 2020, Registernummer 015–081

Bildnachweis: Eightshot Studio (gettyimages)

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