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Allgemeinmedizin

Unterschiede beim Herzinfarkt

Myokardinfarkt bei Frauen und Männern

Prof. Dr. med. Sandra Eifert

18.11.2022

Die biologischen („sex“) und soziokulturellen („gender“) Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht machen sich auch beim Herzinfarkt bemerkbar. Frauen weisen teilweise andere Risikofaktoren auf und zeigen atypische Symptome. Dies findet bei Behandlern immer noch zu wenig Berücksichtigung.

 Zwei Drittel der Patienten mit Herzkranzgefäßerkrankung sind Männer. Estrogene schützen Frauen viele Jahre vor der Entwicklung einer Herzkranzgefäßerkrankung und einem Herzinfarkt. Ab der Menopause entfällt dieser kardioprotektive Faktor jedoch. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass die Inzidenz der koronaren Herzerkrankung (KHK) bei Frauen etwa ab 60 Jahren bedeutend ansteigt. Bei einer 40-jährigen Frau beträgt das Risiko, eine kardiovaskuläre Erkrankung in ihrem Leben zu bekommen, 25 %, bei postmenopausalen Frauen steigt das Risiko auf fast 50 % an.

Daten des statistischen Bundesamts von 1987 und 2007 zeigen, dass die Anzahl von Männern und ­Frauen, die in Deutschland an einem Myokardinfarkt (MI) sterben, insgesamt sinkt. Ihnen ist aber auch zu entnehmen, dass die frühe Mortalität nach Myokardinfarkt bei Frauen – insbesondere bei < 60-jährigen – höher ist als bei gleichaltrigen Männern. Auch nach operativer Revaskularisation ist die Frühmortalität bei jüngeren Frauen höher. In 2020 starben etwa 180 000 Frauen in Deutschland an kardiovaskulären Erkrankungen, davon etwa 53 000 an/mit einer KHK und ca. 18 000 (10 %) aufgrund eines Myokardinfarkts. Im Vergleich dazu waren es etwa 157 000 Männer, die ihren Herz-Kreislauf-Erkrankungen erlagen, davon starben 68 000 an einer Herzkranzgefäßerkrankung und ca. 26 000 an einem Herzinfarkt.


Klinik ACS/Myokardinfarkt

Die Symptomatik bei KHK und MI kann geschlechtsabhängig unterschiedlich ausfallen. Daten der MONICA-Studie aus dem Jahr 2000 zeigen, dass fast 80 % der Männer mit akutem Herzinfarkt einen linksthorakalen Schmerz aufweisen und dieser in 50–60 % der Fälle mit Ausstrahlung in den linken Arm einhergeht. Insbesondere Frauen vor der Menopause berichten über eher „atypische“ Symptome wie ein „Druckgefühl in der Brust“, meistens ohne einen ­wesentlichen Schmerz zu empfinden. Oft werden die Schmerzen alleine im kraniofazialen Bereich, im Rücken oder dem Oberbauch empfunden. Vegetative Symptome wie Übelkeit und Erbrechen sind typischer für Frauen. Besonders ist auf die „Prodromi“ eines Myokardinfarkts bei Frauen wie ungewöhnliche ­Müdigkeit und starke Einschränkung der körper­lichen Leistungsfähigkeit zu achten.

Sonderform Tako-Tsubo-Kardiomyopathie

Bei der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie (TTC, Stress-Kardiomyopathie) bzw. dem „Syndrom des gebrochenen Herzens“ zeigen sich Symptome und EKG-Veränderungen wie bei einem Myokardinfarkt, wenngleich in der Herzkatheteruntersuchung keine Auffälligkeiten im Hinblick auf eine Koronargefäßerkrankung zu finden sind. Typisch für das Broken-Heart-Syndrom ist eine Verringerung der systolischen Funktion des linken Ventrikels < 30 % (normal ist > 55 %) mit einer apikalen Hypokinesie. Dies lässt sich echokardiografisch gut diagnostizieren. Man spricht von einer ballonartigen Auftreibung der Spitze des linken Ventrikels (apical ballooning).

Ursächlich kommen Situationen mit ausgeprägtem psychischen/emotionalen Stress in Betracht: Tod eines geliebten Menschen, große Sorgen um ein Kind, Situation des Verlassenwerdens. Pathophysiologisch handelt es sich um eine adrenerge Überstimulation bzw. Überempfindlichkeit der Betarezeptoren. Etwa 90 % der Patienten mit einem solchen Krankheitsbild sind Frauen.

Die therapeutischen Optionen richten sich hauptsächlich nach dem Ausprägungsgrad der Erkrankung. Medikamentös kommen in erster Linie Betablocker in Betracht. Andere Herzinsuffizienzmedikamente werden hinzugefügt. In den meisten Fällen bessert sich die Pumpfunktion innerhalb weniger Tage wieder. Nur in seltenen Fällen bleibt die Erniedrigung/ Verschlechterung der Pumpfunktion bestehen, sodass weiterführende Behandlungsmöglichkeiten bis hin zu chirurgischen Verfahren angewendet werden.

Entsprechend der Forschungsdaten von Möller C. et al. weisen Tumorpatienten ein erhöhtes Risiko für ein Broken-Heart-Syndrom auf. Zudem stellt eine Stress-Kardiomyopathie einen Risikomarker für eine bislang nicht diagnostizierte Krebserkrankung dar.

Kardiovaskuläre Risikofaktoren

Der INTERHEART-Studie zufolge lassen sich 90 % der MI mithilfe von Risikofaktoren (RF) erklären. Diese sind wiederum oft assoziiert mit Depressionen, sexuellen Dysfunktionen und auch malignen Erkrankungen. Einige der RF lassen sich abhängig vom Geschlecht gewichten.

Bedeutende beeinflussbare RF bei Frauen für KHK/MI sind Typ-2-Diabetes (T2D), Hypertonie, Niereninsuffizienz, Adipositas und Depressionen. Diese ­Erkrankungen sollten ernst genommen und evidenzbasiert therapiert werden. Übergewicht sowie Rauchen, insbesondere in Kombination mit einer Hyperlipidämie, sind starke Risikofaktoren bei ­Männern, die eine KHK/MI begünstigen.

Zusätzliche Risikofaktoren für Frauen

Nach den Leitlinien der American Heart Association  sollten zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen bei Frauen neben den klassischen Risikofaktoren in der Anamnese auch

  1. Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie, Gestationsdiabetes oder schwangerschaftsinduzierte arterielle Hypertonie,
  2. Autoimmunerkrankungen
  3. insbesondere rheumatoide Arthritis

für die Risikobewertung erfragt werden. Bei den unter Punkt 1. genannten Konditionen ist das Risiko, eine arterielle Hypertonie zu entwickeln, 4-fach erhöht; das Risiko, im Laufe des Lebens an Diabetes zu leiden, 8- bis 10-fach.  Für alle genannten Entitäten besteht im Laufe des Lebens ein doppelt erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall (dies gilt für Männer ebenso bei Punkt 2 und 3).

Diabetes mellitus

T2D beeinflusst die Gesundheit von Frauen und Männern gleichermaßen schwer. Die Prävalenz steigt weltweit dramatisch an, insbesondere bei Jüngeren, und verläuft parallel zum Anstieg der Zahl von Übergewichtigen. Männer und Frauen mit T2D unterscheiden sich hinsichtlich der Prävalenz des „Prädiabetes“, den kardiovaskulären Komplikationen und dem Umgang mit Empfehlungen zum Lebensstil. Dem manifesten Diabetes geht häufig eine Phase des gestörten Glucosestoffwechsels voraus. Frauen weisen eher eine gestörte Glucosetoleranz auf, während Männer häufiger mit pathologischen Nüchternglucosewerten auffallen. Daher führt ein oraler Glucose-Toleranztest bei Frauen eher zur Diagnose eines Prädiabetes. Eine einfache Nüchternblutzuckermessung reicht oft nicht aus.

Frauen mit T2D haben im Vergleich zu Frauen ohne Diabetes ein doppelt erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen. Sie entwickeln häufiger eine Herzinsuffizienz und haben ein 4-fach erhöhtes Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden und daran zu versterben. Bei Männern mit Diabetes ist das Risiko „nur“ doppelt so hoch. Obwohl T2D mit einer höheren kardiovaskulären Mortalität bei Frauen assoziiert ist, wird von Frauen der Ziel-HbA1C-Wert seltener erreicht als von Männern. Änderungen des Lebensstils sind bei beiden Geschlechtern gleichermaßen effektiv.

Arterielle Hypertonie

In den vergangenen zehn Jahren ist die Prävalenz der arteriellen Hypertonie (aHT) bei Männern und Frauen drastisch angestiegen. An aHT sind in 2020 etwa 16 000 Männer und 31 000 Frauen verstorben. Eine solch hohe Quote bei Frauen wurde zuvor zu keinem Zeitpunkt registriert. Im jüngeren Lebensalter, insbesondere bis zum 35. Lebensjahr, sind mehr Männer von Hypertonie betroffen. Um das 50. Lebensjahr steigt die Krankheitshäufigkeit bei Frauen schneller an als bei Männern, sodass bei den > 75-Jährigen statistisch signifikant mehr Frauen erkrankt sind.

Blutdruckwerte > 120/80 mmHg führen bei Frauen zu einem 4-fach höheren Risiko, an KHK zu erkranken. Große klinische Studien mit einer statistisch relevanten Anzahl an Frauen konnten zeigen, dass die Therapie erhöhter Blutdruckwerte mit einem geringeren Risiko, eine KHK oder einen Schlaganfall zu erleiden, einhergeht. Umso erstaunlicher ist es, dass bei ­Frauen eine Hypertonie seltener diagnostiziert wird, weniger häufig medikamentös behandelt und seltener die Blutdruckwerte unter Therapie kontrolliert werden als bei Männern.

Hyperlipidämie

Gesamtcholesterin und LDL-Cholesterin steigen im Schnitt um 10 % bei Frauen nach der Menopause. Die Serum-HDL-Konzentration wird weniger stark beeinflusst. Auch die Konzentration der Triglyceride steigt letztlich an, nachdem die Werte in der Perimenopause sehr stark schwanken können. Schlüsselenzyme des Glucose- und Fettstoffwechsels werden durch Estrogene reguliert, sodass die postmenopausal beobachteten Änderungen des Lipidprofils u. a. mit dem Hormonstatus in Zusammenhang gebracht werden können.

Die Hyperlipidämie ist bei beiden Geschlechtern als kardiovaskulärer RF gleich bedeutend. Unterschiedlich ist jedoch die medikamentöse Versorgung von Frauen mit Cholesterinsenkern. Frauen erhalten ­weniger Medikamente und erreichen häufig nicht die Ziel-LDL-Werte, die abhängig vom kardiovaskulären Risiko anzustreben sind.

Adipositas

Abhängig vom Ausmaß des Übergewichts steigt das kardiovaskuläre Risiko. Bei extremer Adipositas (BMI > 40) haben Frauen ein 4-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen.

Männer haben eher ein zentrales Fettverteilungsmuster, Frauen dagegen ein gluteal-femorales. Als Maß der Fettverteilung wird das ­Verhältnis von Taillen- zu Hüftumfang (waist–to-hip-ratio) verwendet. Von viszeralem oder abdominellem Fettverteilungsmuster spricht man ab einem Verhältnis von > 0,9 (Frauen) bzw. > 1,0 (Männer). Die Vermehrung des viszeralen Fetts geht bei beiden Geschlechtern mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus einher.

Estrogene wirken direkt auf das Fettgewebe und scheinen auch die Nahrungsaufnahme und den Energieverbrauch mit zu beeinflussen, sodass sich Ernährungsverhalten und körperliche Aktivität unterschiedlich auf die Fettverteilung bei Männern und Frauen auswirken.

Rauchen

Noch rauchen weniger Frauen als Männer, doch steigt die Prävalenz von jungen Raucherinnen weiter an. Bei Männern stellt das Rauchen einen sehr ­starken kardiovaskulären Risikofaktor dar, insbesondere in der Kombination mit Hyperlipoproteinämie. Prämenopausale Frauen haben bei Einnahme oraler Kontrazeptiva ein erhöhtes Risiko, venöse Thrombosen zu entwickeln. Altersgerechte präventive Maßnahmen zum Nikotinverzicht sollten angestrebt werden, da dieser das kardiovaskuläre ­Risiko innerhalb von 5 bis 10 Jahren wieder auf das Niveau von Nichtrauchern senkt.

Depressionen

Epidemiologische Studien weltweit haben gezeigt, dass schwere Depressionen bei Frauen doppelt so oft vorkommen wie bei Männern. Besonders häufig sind Depressionen bei Frauen mit kardiovaskulären Erkrankungen. So leiden Frauen mit Herzinsuffizienz 3- bis 5-mal häufiger unter einer Depression im ­Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Die Prävalenz der Depression nach MI ist bei Frauen um 20 % höher als bei Männern, nach einer Bypass(ACVB)-OP steigt die Prävalenz sogar bis auf 43 %.

Frauen haben niedrigere Serotoninspiegel als Männer. Auch größere Hormonschwankungen durch den Menstruationszyklus können zu Stimmungsschwankungen beitragen. Mit der Menopause steigt die Inzidenz der Depression nicht an.

Symptome einer schweren Depression sollten ernst genommen werden, da sie sowohl einen Risiko­faktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und Komplikationen nach MI und chirurgischer koronarer ­Revas­kularisation darstellt als auch einen Prognosefaktor bezüglich Mortalität und Lebensqualität bei Frauen mit KHK. Depressionen werden häufig von Angstzuständen begleitet. Beide Faktoren beeinflussen den Krankheitsverlauf entscheidend, unabhängig vom Geschlecht. Depressionen bei Männern werden häufig nicht diagnostiziert, da sich ihre ­Symptome (z. B. Aggressivität) möglicherweise von denen der Frauen zum Teil unterscheiden.

Hormone

Die Komplexität des Einflusses von Geschlechtshormonen auf das kardiovaskuläre System und die Pharmakokinetik und -dynamik führte dazu, dass in tierexperimentellen und humanen Studien deutlich häufiger das männliche Geschlecht untersucht ­wurde. Wie wichtig die Beobachtung des Hormonstatus bei Frauen und auch bei Männern ist, zeigen die häufigen Arzneimittelnebenwirkungen oder fehlenden Wirkungen insbesondere beim weiblichen Geschlecht. Auch wenn sich die endogenen Estrogeneffekte in den Studien positiv auf die Gefäßstruktur und -funktion auswirkten, so war es eine große Überraschung, dass die Substitutionstherapie mit exogen zugeführten Estrogenen nach der Menopause nicht den gewünschten schützenden Effekt auf das Gefäßsystem zeigte. Die Tatsache, dass Frauen 8–10 Jahre später ein kardiovaskuläres Ereignis erleiden, im Vergleich zu Männern, scheint zusätzlich zu den Estrogenwirkungen auch auf unterschiedlichen genetischen Faktoren zu basieren.

Estrogene hemmen das Wachstum von glatten Gefäßmuskelzellen und verbessern das Endothelzellwachstum. Experimentell, aber auch in klinischen Studien, konnte unter Estrogeneinfluss eine verminderte Neigung zur Arteriosklerose der Gefäßwand nachgewiesen werden. Über eine schnelle NO-Freisetzung und Prostanoide bewirken Estrogene eine Vasodilatation. Die meisten Effekte werden über die nukleären Estrogenrezeptoren (ER) alpha und beta vermittelt, die sich in vaskulären Endothelzellen und glatten Gefäßmuskelzellen als auch in kardialen Fibroblasten und Myozyten befinden. ER alpha und beta werden bei der Myokardhypertrophie und der Herzinsuffizienz vermehrt exprimiert. ER beta stärker im weiblichen Herzen als im männlichen. Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass Estrogene bei weiblichen Tieren einen positiven Effekt auf die reparative Fibrosierung nach MI hatten, und inflammatorische Reaktionen waren in der akuten Phase des MI weniger stark ausgeprägt. Das Überleben der weiblichen Tiere nach MI war im Vergleich zu den männlichen Tieren besser.

Ein weiterer Hormoneffekt ist die Hemmung des unter pathologischen Bedingungen aktivierten RAAS, welches zur Entstehung von Myokardhypertrophie, verminderter myokardialer Pumpfunktion, Arteriosklerose und KHK führen kann. Testosteron hat überwiegend einen entgegengesetzten Effekt zum Estrogen, wobei einschränkend erwähnt werden muss, dass es wesentlich weniger Daten zu den Effekten von Progesteron und Testosteron im Zusammenhang mit kardiovaskulären Fragestellungen gibt.

Sozialverhalten

Verschiedenes Verhalten im Umgang mit Gesundheit und Krankheit ist eine wichtige Dimension, die bei der Erklärung unterschiedlicher Krankheitsverläufe und Therapieerfolge oftmals hilfreich sein kann. Frauen suchen im Durchschnitt bei Symptomen später einen Arzt auf als Männer, wodurch bei ihnen die Diagnostik einer Erkrankung oft verzögert beginnt. Sie bekommen weniger Medikamente verschrieben und Risikofaktoren werden meist nicht so konsequent behandelt.

Frauen werden häufiger als „Notfall“ in eine Klinik eingewiesen. In der Kommunikation verfügen ­Frauen oft über einen größeren Wortschatz und schildern Symptome und psychosomatische Belastungssituationen unter stärkerer emotionaler Betei­ligung als Männer. Frauen reagieren neurophysiologisch schneller auf Stress. Zusätzlich wirken Hormonwechsel destabilisierend auf die Stimmung. Psychischer Stress wird von Frauen häufiger als ­auslösendes Ereignis für einen MI angegeben, starke körperliche Anstrengung eher von Männern. Nach belastenden Ereignissen verharren Frauen länger in Niedergeschlagenheit, Männer lenken sich schneller durch Sport oder mit Alkohol ab und beenden die ­Verstimmung schneller. Präventionsempfehlungen werden eher von Frauen als von Männern wahrgenommen.

Diagnostik

Die Anamnese allein reicht zur Diagnose einer Myokardischämie als Ursache „atypischer“ Thoraxbeschwerden nicht aus. Ruhe-EKG und Ergometrie können einen pathologischen EKG-Verlauf aufgrund epikardialer Stenosierungen einer oder mehrerer Koronararterien aufweisen, bleiben jedoch häufiger bei Myokardischämien anderer Genese unauffällig. Zur Diagnosesicherung wird i. d. R. eine Herzkatheteruntersuchung mit Koronarangiografie durchgeführt. Im Ergebnis zeigt sich bei jedem zweiten Mann eine relevante „klassische“ KHK mit den zu erwartenden Stenosierungen der Koronararterien bei arteriosklerotisch verändertem Koronargefäß. Dagegen lassen sich nur bei einer von vier Frauen epikardiale Stenosierungen als Ursache bei Verdacht auf eine Myokardischämie nachweisen. Bei 10 % der Frauen mit Verdacht auf Myokardinfarkt, die neben der Angina-pectoris-Symptomatik auch ST-Streckenhebungen im EKG aufweisen, findet man „offene“ Koronararterien in der Katheteruntersuchung vs. 6,8 % bei Männern.

Ursächlich für die Myokardischämie kann neben lokalen Koronarthrombosen und anhaltenden Koronarspasmen bei Frauen auch eine mikrovaskuläre koronare Dysfunktion (MCD) sein, die zu einem verminderten Koronarfluss führt. Die Ergebnisse der WISE(Women´s Ischemic Syndrome Evaluation)-Studie haben wesentlich zum Verständnis der Koronarpathologie beigetragen. Bei atypischen Angina-pectoris-Beschwerden, aber begründetem Verdacht auf eine Myokardischämie, bieten sich bildgebende Verfahren an wie die Stressechokardiografie, die Myokardszintigrafie oder das MRT, die über eine Wandbewegungsstörung oder Veränderungen in der Bilddarstellung eine Funktionsstörung des Herzmuskels zeigen können. Um eine MCD als mögliche Ursache nachzuweisen, sollte man bei normaler Koronarangiografie mit „offenen“ Koronararterien einen provokativen Koronartest in zwei Stufen mit Acetylcholin und Adenosin i. c. mit Messung des Blutflusses zur Bestimmung der koronaren Flussreserve durchführen.

Pathophysiologie der Koronararterien

Von 936 Frauen, die bei Verdacht auf eine Myokardischämie in den Jahren 1996–2000 eine Koronarangiografie erhielten, hatten ein Drittel eine Koronarobstruktion. Von den übrigen zwei Drittel der Frauen, die zusätzlich mit provokativen Koronartests untersucht worden waren, wies über die Hälfte einen verminderten Koronarfluss auf. Bei der MCD handelt es sich um eine generalisierte Erkrankung der Koronargefäße mit verminderter Autoregulation der präkapillären Arteriolen im Myokard sowie einer verminderten Sekretion von NO in den Endothelzellen. Die Dilatation der präkapillären Arteriolen ist gestört, sodass der koronare Blutfluss zum Myokard signifikant vermindert ist und zu einer Ischämie des abhängigen Myokards führt. Im Vergleich zur epikardialen Stenosierung mit stufenförmigem Abfall des Drucks, kommt es bei der MCD zu einem kontinuierlichen Druckabfall im Koronargefäß. Zeigt einer der Tests mit Adenosin und/oder Acetylcholin, dass die kleinen Koronargefäße ihre Funktion zu dilatieren verloren haben, kann eine MCD-Diagnose gestellt werden.

Diese Form der nicht obstruktiven Koronaropathie mit endothelialer Dysfunktion und Störung in der Mikrozirkulation ist häufiger bei Frauen zu finden im Vergleich zur „klassischen“ koronaren Herzerkrankung mit größeren Plaques in den epikardialen Koronararterien bei Männern.

Medikamentöse Therapie

Die Guidelines des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) zur Therapie des akuten MI sowie die Guidelines zur ­stabilen KHK bilden die Grundlage der Therapie. Aller­dings sind diese Empfehlungen „geschlechter-­neutral“ geschrieben. Große Datenmengen zur Arzneimitteltherapie fehlen, da bis in die 90er-Jahre überwiegend Männer in die großen Arzneimittelstudien eingeschlossen waren, und wenn Frauen eingeschlossen wurden, wurden die Daten häufig nicht differenziert nach dem Geschlecht ausgewertet. Eine Konsequenz ist, dass Arzneimittelnebenwirkungen insgesamt bei Frauen etwa 1,5-fach häufiger auftreten als bei Männern und/oder der Nutzen eines Medikaments gar nicht erwiesen ist. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung von Acetylsalicylsäure in der Primärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen. Die Daten zeigen, dass die prophylaktische Einnahme von Aspirin nicht das Primärereignis eines MI bei Frauen verhindert, allerdings einen Schlaganfall.

Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer. Es treten mehr Blutungskomplikationen sowohl unter der Therapie mit Cumarinen (Indikation z. B. Vorhofflimmern) als auch bei der Verwendung von GP-IIb/IIIa-Antagonisten (Indikation z. B. ACS) auf. Ob es sich um einen biologischen Effekt handelt oder eine schlechtere Überwachung der Frauen ­ursächlich ist, ist noch nicht bekannt.

Unter ACE-Hemmer-Therapie zeigen Frauen mehr Nebenwirkungen wie Reizhusten, Hypotonie und gastrointestinale Symptome. Endogene Estrogene hemmen das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS), sodass nicht auszuschließen ist, dass der unterschiedliche Hormonstatus bei den mit ACE-Hemmern therapierten Frauen Einfluss auf die Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente hat. Alternativ werden AT1-Antagonisten verschrieben, die bezüglich Wirkung und Nebenwirkung keine Geschlechterunterschiede in großen Studien aufwiesen.

Bei den Betablockern ist unter Genderaspekten eine Dosistitration bei der Einleitung der Therapie sinnvoll, da Frauen aufgrund der unterschiedlichen Bioverfügbarkeit häufiger überdosiert werden. Bei gleichzeitiger Einnahme eines oralen Kontrazeptivums kann es zu einer höheren Plasmakonzentration von Metoprolol kommen.

Unter Diuretikatherapie ist bei Frauen eine Überwachung der Elektrolyte besonders wichtig, um eine Hyponatriämie oder Hypokaliämie zu erkennen. Frauen haben eine längere „korrigierte QT-Zeit“ im EKG und sind somit eher gefährdet, Arrhythmien zu entwickeln.

Ob sich die medikamentöse Therapie bei MCD von der bekannten evidenzbasierten Therapie für KHK und akutem MI unterscheidet, ist bisher nicht bekannt. Studien zu dieser Fragestellung wurden bereits ­begonnen. Sicher ist aber, dass kardiovaskuläre Risikofaktoren aggressiv behandelt werden sollten. Eine antianginöse und antiischämische Therapie mit Betablockern und ACE-Hemmern kombiniert mit trizyklischen Antidepressiva und körperlicher Bewegung hat zu einer Verbesserung der Symptome bei Patienten mit MCD geführt. Ob Ranolazin bei MCD einen zusätzlichen Nutzen bringt, wird noch erforscht.

Aufgrund der unterschiedlichen Pharmakokinetik ist bei Frauen grundsätzlich auf eine gewichtsadaptierte Dosierung, einen für fettlösliche Substanzen größeren Verteilungsraum, eine unterschiedliche Expression der CYP-Isoenzyme, eine kürzere Magentransitzeit und auf eine niedrigere renale Clearance zu achten, und bei der Wahl und Dosierung des ­Arzneimittels zu bedenken.

Kenntnisse über den Einfluss von „sex“ und „gender“ auf das Krankheitsbild tragen zu einer individualisierten Medizin und damit zu einer Verbesserung der klinischen Versorgung und dem Outcome bei. Die Zunahme der arteriellen Hypertonie bei Frauen sollte in Zukunft ein wichtiges Thema bei der präventiven Aufklärung darstellen.  Angstzustände und Depressionen nach Myokardinfarkt und CABG-OP sind bei Frauen häufiger zu beobachten als bei Männern. Beide Faktoren beeinflussen den Krankheitsverlauf entscheidend – unabhängig vom Geschlecht. Die beiden Verlaufsformen, die nicht obstruktive Koronarpathie und die klassische koronare Herzerkrankung mit epikardialer Stenosierung der Koronararterien sind geschlechterspezifisch. Die mikrovaskuläre koronare Dysfunktion (MCD) kommt häufiger bei Frauen vor.

Die Autorin

Prof. Dr. med. Sandra Eifert
Oberärztin
Universitätsklinik für Herzchirurgie
Herzzentrum Leipzig

sandra.eifert@medizin.uni-leipzig.de

Literatur bei der Autorin

Bildnachweis: Yevhen Lahunov (gettyimages); privat; Ecelop (gettyimages)

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