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Onkologie

Hämatologie

Allogene Stammzelltransplantation

Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Theobald

Die allogene Stammzelltransplantation mit hämatopoetischen Stammzellen eines anderen Menschen ist für onkologische Patienten oft die letzte Chance, geheilt zu werden. Durch Fortschritte bei der Stammzellgewinnung, den Konditionierungsregimen und der supportiven Therapie haben sich die Aussichten für eine Heilung in den letzten Jahren deutlich verbessert.

Die hohe Proliferationsrate hämatopoetischer Vorläuferzellen geht mit einem hohen Risiko für maligne myeloische Erkrankungen einher. Myeloische Erkrankungen kommen in jedem Lebensalter vor, mit einer jährlichen Gesamtinzidenz von 8,6/100.000.[1] Die Inzidenz steigt mit dem Lebensalter. Der therapeutische Schwerpunkt bei diesen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren immer weiter auf immuntherapeutische Strategien und personalisierte Medizin verlagert. Für beide Konzepte hat die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT) in den letzten Jahrzehnten Pionierarbeit geleistet. Ihr Erfolg bei hämatologisch-onkologischen Erkrankungen ist beeindruckend. In den letzten 50 Jahren hat sich die HSCT von einer hochexperimentellen Technik zum Behandlungsstandard für viele maligne – und auch nichtmaligne – hämatologische Erkrankungen entwickelt und es wurden bereits mehr als eine Million HSCT durchgeführt.[2] Während die autologe Stammzelltransplantation (Auto-HSCT), bei der ein Patient seine eigenen Stammzellen übertragen bekommt, mittlerweile eher als eine „Stammzellunterstützung“ definiert wird, handelt es sich bei der allogenen Stammzelltransplantation (Allo-HSCT) um eine echte Transplantation. Ziel ist die Heilung durch vollständigen Austausch der pathologischen Blutbildung,[3] um eine vom Spender abgeleitete Hämatopoese und Immunität herzustellen. Nachdem die Zellen angewachsen sind, übernehmen sie die Blutbildung. Besonders wichtig ist, dass es durch Transfer immunkompetenter Zellen des Spenders gelingt, eine Alloreaktivität zu erreichen. Diese ist Voraussetzung für den Graft-versus-Tumor(GvT)- bzw. Graft-versus-Leukämie(GvL)-Effekt, durch den verbliebene Tumorzellen auf immunologischem Wege dauerhaft eradiziert werden.[4] Dieser Effekt ist entscheidend für das Erreichen von Langzeitremissionen nach Allo-HSCT. Generell gilt: Je früher das Stadium und je besser der durch konventionelle Therapie erreichte Remissionsstatus, desto höher sind die Aussichten auf eine Heilung durch die Transplantation.

Die HLA-Barriere verstehen

Experimente zur Typisierung des menschlichen HLA (humanes Leukozytenantigen) hatten die allogene Transplantation einst möglich gemacht.[5] Sie hatten gezeigt, dass die immunologische Identität eines Individuums in Zelloberflächenproteinen exprimiert wird, die vom HLA-System codiert werden, das sich auf Chromosom 6 befindet und über 200 Gene enthält, die den Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) bilden. Im Rahmen einer allogenen Transplantation sind die wichtigsten HLA-Moleküle HLA-A, HLA-B und HLA-C (Klasse I), die an CD8+-T-Zellen binden, und HLA-DP, HLA-DQ und HLA-DR (Klasse II), die an CD4+-T-Zellen binden und die Alloreaktivität verursachen.[6] Bei der allogenen Transplantation kommt es darauf an, die HLA-Barriere zu überwinden. Damit die Abwehrreaktionen nicht zu stark ausfallen, müssen die Merkmale des Spenders möglichst vollständig mit denen des Empfängers übereinstimmen. Rund 7000 solcher Merkmale sind bekannt, entsprechend groß ist die Variabilität. Bei ca. einem Drittel der Patienten sind Geschwister geeignete Spender, doch schon bei Eltern und anderen Verwandten ist die Wahrscheinlichkeit für identische HLA-Merkmale viel geringer. Eine besondere Form der allogenen Transplantation ist die haploidentische Transplantation, bei der Spender (in der Regel Geschwister, leibliche Kinder oder Eltern) und Empfänger hinsichtlich der HLA-Merkmale zur Hälfte übereinstimmen. Erste Daten sprechen dafür, dass das Risiko für die Entwicklung einer GvHD im Vergleich zur Allo-HSCT vom HLA-identischen, unverwandten Spender nicht erhöht ist. Zudem erscheinen Gesamtüberleben und krankheitsfreies Überleben für viele Patienten vergleichbar gut.[7] Ist kein passender Familienspender zu finden, führen Spenderdateien häufig zum Erfolg (Abb.1). Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, dass die HLA-Merkmale zweier fremder Menschen komplett übereinstimmen, bei über 1:1.000.000. Durch gut ausgebaute nationale und internationale Knochenmarkspenderregister mit mehr als 36.000.000 Einträgen lässt sich heute aber für circa 90% aller Patienten in Deutschland ein geeigneter Spender finden.[8] Aus dem Register der European Society for Blood and Marrow Transplantation sind in einer aktuellen Auswertung mit über 100.000 Empfängern die Ergebnisse für verschiedene Spendergruppen analysiert worden.[9] Die Überlebenschancen waren dabei am besten, wenn es ein HLA-identisches Geschwister gab. Bei Hochrisikoerkrankungen ließen sich mit gut HLA-kompatiblen Fremdspendern ähnliche Gesamtüberlebensraten erzielen. Fortschritte gegenüber früheren Auswertungen gab es bei haploidentischen Spenden und Nabelschnurblut.

Indikationen

Am häufigsten wird die allogene Stammzelltransplantation bei der AML angewendet (etwa 55% aller Allo-HSCT), gefolgt von Hochrisikopatienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS). Auch beim Non-Hodgkin-Lymphom, bei der ALL, beim Myelom/Plasmozytom wie auch bei der CLL, der CML und beim Morbus Hodgkin kommt das Therapieverfahren zum Einsatz (Abb.3).[10,11] Bei der Beratung und Auswahl von Patienten zur Allo-HSCT spielt das Erkrankungsstadium eine zentrale Rolle. Mit Fortschreiten der Erkrankung wächst das Risiko für ein Rezidiv bzw. für behandlungsassoziierte Komplikationen. Daneben spielen das Risikoprofil der Grunderkrankung, das initiale Ansprechen auf die Therapie und der Remissionsstatus inkl. minimaler Resterkrankung („minimal residual disease“, MRD) eine Rolle. Die Entscheidung für oder gegen eine Transplantation beruht daher im Wesentlichen auf drei Faktoren, die gegeneinander abgewogen werden müssen (Abb.2).[12]Das führt zu unterschiedlichen Strategien. Während eine Allo-HSCT z.B. bei jungen Patienten mit AML bereits in der ersten kompletten Remission (CR1) angestrebt wird,[13] wird sie bei den lymphatischen Neoplasien häufig erst nach Versagen mehrerer Therapielinien diskutiert.[10] Bei den patientenspezifischen Faktoren sind neben dem Alter vor allem Komorbiditäten relevant. Zur Abschätzung der Erfolgsaussichten dienen der EBMT-Score (European Group for Blood and Marrow Transplantation) oder der Disease Risk Index (DRI).[14,15]

Vorgehen

Der komplette Prozess von der Spendersuche bis zum Ende der direkten Nachsorge erstreckt sich über 6–9 Monate (Tab.1, Abb.4). Die Stammzellen können in ca. 80% der Fälle aus peripheren Blutstammzellen (PBSC) gewonnen werden, nur noch in ca. 20% der Fälle ist eine Entnahme von KM aus dem Beckenknochen erforderlich. PBSC werden nach Stimulation mit „granulocyte colony-stimulating factor“ (G-CSF) aus dem peripheren Blut apherisiert. Der Vorteil von PBSC gegenüber Stammzellen aus dem KM liegt nicht nur in der komplikationsarmen Entnahme, sondern auch in dem höheren Gehalt an CD34-positiven hämatopoetischen Stammzellen, was zu einer schnelleren Regeneration führt.[16] Der deutlich höhere Gehalt an T-Lymphozyten ist allerdings auch mit einem erhöhten Risiko für eine Graft-versus-Host-Reaktion (GvHR) verbunden. In der Folge sind durch PBSC bei HLA-identischen Transplantationen bessere Heilungsraten zu erwarten,[17] während bei unverwandten Spendern kein Unterschied im Gesamtüberleben zwischen PBSC und KM-Stammzellen beobachtet werden konnte.[18] Nabelschnurblut („cord blood“, CB) kann unkompliziert gewonnen, in Biobanken gelagert und bei Bedarf sofort zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der Unreife der im CB enthaltenen T Zellen, sind größere HLA-Disparitäten zwischen Spender und Empfänger akzeptabel, das Risiko für ein Nichtanwachsen des Transplantats ist jedoch erhöht.[19] In der Regel dauert es durchschnittlich 3 Wochen, bis sich Knochenmark und Blutwerte regenerieren. Bis das Immunsystem wieder völlig intakt ist, dauert es etwa ein Jahr. Während dieser Zeit ist der Patient für Infektionen erheblich anfälliger als andere Menschen. Empfehlungen und Verhaltenshinweise zur Verminderung des Infektionsrisikos sollten daher unbedingt beachtet und 6 Monate nach Allo-HSCT ein Impfprogramm gestartet werden.[20]

Konditionierungsregime

Im Rahmen der Konditionierungstherapie wird der Patient mithilfe einer hochdosierten Chemotherapie – zum Teil in Kombination mit einer Ganzkörperbestrahlung – so intensiv behandelt, dass sein gesamtes Knochenmark und damit im Idealfall auch alle erkrankten Zellen zerstört werden. Die infundierten Spender-Stammzellen wandern nach der Transplantation in die Markhöhlen der Knochen, siedeln sich dort an und beginnen neue, funktionstüchtige Blutzellen zu bilden. Der Stellenwert der einzelnen Konditionierungsregime hängt von der Grunderkrankung, dem Risikoprofil und den Komorbiditäten ab. Myeloablative Konditionierungsregime (MAC) mit hoher Intensität haben die höchste antileukämische Effektivität, allerdings auch eine hohe behandlungsassoziierte Mortalität („treatment related mortality“, TRM) und kommen daher nur für jüngere Patienten ohne Komorbiditäten in Frage. Dosisreduzierte Regime („reduced-intensity conditioning“, RIC, und „minimal intensity conditioning“, MIC) weisen eine geringere TRM auf. Die Altersgrenze liegt bei 70 Jahren. Nachteilig kann die geringere antileukämische Wirkung sein. In einer Studie bei jüngeren Patienten mit AML waren das Gesamtüberleben und das progressionsfreie Überleben nach MAC und RIC aber gleichwertig.[21] In einer Langzeitanalyse dieser multizentrischen Studie konnte gezeigt werden, dass die Effektivität der geringer dosierten Vorbehandlung auch langfristig bestehen blieb. Im Beobachtungszeitraum von 10 Jahren ließ sich keine erhöhte Zahl an Leukämierückfällen feststellen. Demnach scheint das Immunsystem des Spenders langfristig in der Lage zu sein, die Leukämiezellen zu verdrängen.[22]

Graft-versus-Host-Reaktionen und Spätfolgen

Eine der wesentlichen Limitationen der Allo-HSCT ist die GvH-Reaktion. Sie ist über alle Transplantationen hinweg für ca. 15–20% aller Todesfälle verantwortlich. Allerdings hängen diese Zahlen sehr vom Gesamtzustand des Patienten ab. Während die Frühmortalität bei AML-Patienten, die in CR1 transplantiert werden, bei nur 5–7% liegt, sterben rund 25–30% der Patienten mit refraktärer Leukämie nach nicht-HLA-identischer Transplantation.[23] Auch Jahre nach der Transplantation können noch GvHR, Infektionen oder chronisches Organversagen auftreten, sodass Patienten nach Allo-HSCT eine lebenslange Nachsorge brauchen.[24] Weitere Spätfolgen sind vor allem auf die hochdosierte Chemotherapie zurückzuführen. Sie kann zu einer bleibenden Unfruchtbarkeit bei Frauen und Männern führen. Bei Frauen kann zudem ein vorzeitiger Eintritt in die Menopause induziert werden.

Fazit für die Praxis

Auf Basis der Ergebnisse randomisierter Studien und retrospektiver Registeranalysen existiert eine hohe Evidenz für den Einsatz der allogenen HSCT bei verschiedenen hämatologischen Neoplasien. Die Entscheidung zur Transplantation wird in Abwägung des Rezidivrisikos und des Transplantationsrisikos getroffen. Durch die Einführung dosisreduzierter Konditionierungsregime ist es gelungen, die Indikation auf Patientengruppen mit höherem Risiko und höherem Alter auszuweiten. Zudem haben Verbesserungen bei der Spenderauswahl und bessere Supportivstrategien in den letzten Jahren zu einer erheblichen Reduktion der behandlungsassoziierten Morbidität und Mortalität beigetragen.

Der Autor

Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Theobald
Direktor der III. Medizinischen Klinik
Universitätsmedizin der
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
55131 Mainz

direktor-3med@unimedizin-mainz.de

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Bildnachweis: AF-studio, VLADGRIN (iStockphoto); privat

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