„Was macht denn die Ethikerin hier?“, frage sich das Auditorium vielleicht, vermutete Prof. Dr. med. Alena Buyx (München), ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Ihr Vortrag wies sie als Expertin auf dem richtigen Podium aus – und sie sich selbst als „gute Kundin“.
Die „Kundschaft” der Wunschmedizin seien Patientinnen und Patienten, wie überall in der Medizin, deshalb gälten für das medizinische Personal ethische Prinzipien, über welche sie sprechen wolle.
Wunschmedizin – „manchmal ein bisschen skeptisch betrachtet“
Von der Skepsis wolle sie ihr Publikum in zweierlei Hinsicht entlasten, betonte Buyx. Erstens gebe es die Wunschmedizin seit 5 000 Jahren. Die ersten Ausgrabungen aus ägyptischen Gräbern hätten bereits Hinweise auf neurochirurgische Eingriffe ergeben, die mit ästhetischen verbunden gewesen seien. Darüber hinaus bestehe keine grundsätzliche medizinethische Problematik, medizinische Maßnahmen für nicht medizinische Zwecke einzusetzen – „unter der Voraussetzung, dass es verantwortlich geschieht“. Dann bewege man sich im Bereich der klassischen ärztlichen und medizinischen Ethik.
Die wesentlichen medizinethischen Prinzipien
Wenn man über Verantwortung in der Wunschmedizin spreche, gelte es als Grundvoraussetzung zu beurteilen, wie invasiv eine Intervention ist, wie irreversibel sie ist und welche Evidenz vorliegt. Je invasiver und irreversibler sie sei und je schlechter die Evidenz, desto schwerer wiege die Verantwortung, erklärte Buyx. Auf dieser Basis wende man 4 Prinzipien an.
Selbstbestimmung: Einwilligungsfähigkeit, Informiertheit und der Wilde Westen im Netz
Das erste medizinethische Prinzip sei der Respekt vor der Selbstbestimmung der Patienten. Ihr an die Behandelnden herangetragene Wunsch sei klar: Besser aussehen! Die Selbstbestimmung könne hier prinzipiell vorausgesetzt werden. Ärzte böten das Instrumentarium an, und hätten einzig darauf zu achten, dass die Intervention nicht problematisch wird und die Bedingungen der Selbstbestimmung erfüllt sind.
Einwilligungsfähig seien die meisten Menschen, die zu ästhetischen Eingriffen kommen. Selten erscheine „mal jemand angeschickert“, aus Angst vor einer Behandlung. Die Informiertheit nannte Buyx als weitere Bedingung: Um selbstbestimmt entscheiden zu können, müssten Patienten tatsächlich verstehen, welche – eventuell langfristigen – Wirkungen und Nebenwirkungen eintreten können. Diesbezüglich schockiert zeigte sie sich darüber, was in den Randbereichen der ästhetischen Medizin und außerhalb davon, etwa bei Instagram, gepostet werde. Darunter befinde sich Material, dass aus ethischer Perspektive hochproblematisch sei und die Selbstbestimmung unterlaufe. Werbebeschränkungen – „nicht anpreisend, nicht vergleichend, keine Erfolgsversprechen, nicht irreführend“ – würden nicht eingehalten, da draußen sei „der Wilde Westen“. Es würden (auch evidenzbasierte) medizinische Maßnahmen unzulässig verkürzt präsentiert und haltlose Versprechungen gemacht. Es ist „ihre ärztliche Verpflichtung, darüber aufzuklären und die Leute da wegzuholen“, forderte Buyx.
Schadensvermeidung: „Machen Sie auch, dass Sie es gut können“
Das seit 2 000 Jahren geltende grundlegende ethische Prinzip „Primum non nocere“ sei für die ästhetische Behandlung zentral, weil sie keiner Krankheit gelte. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung sehe bei einer infausten Krebsdiagnose völlig anders aus als in der Wunschmedizin: „Deswegen sind Sie da […] sorgfältig. Deswegen sammeln Sie Evidenz. Deswegen achten Sie darauf, dass die ärztlichen Sorgfaltspflichten, und das ist das Wichtigste, was dieses Prinzip uns sagt, berücksichtigt wird. […] Sie müssen die Qualifikation haben“, forderte Buyx.
Entschieden wandte sie sich dagegen, dass Kosmetikerinnen in deutschen Schönheitssalons Botulinumtoxin spritzen. Laut Gesetzestext dürften nur Ärzte das verschreibungspflichtige Arzneimittel „abgeben“. Dass explizit auch nur sie es applizieren dürfen, fehle im Gesetz. Die Applikation durch nicht medizinisches Personal sei hochproblematisch, weil dieses nicht an die medizinischen Sorgfaltspflichten und die Umsetzung des Nicht-Schaden-Gebots gebunden sei. Auch die Überlegungen zu Invasivität und Irreversibilität kämen hier wieder ins Spiel, dies gelte auch für Filler. Buyx empfahl, berufspolitisch dafür einzustehen, dass ausschließlich qualifiziertes ärztliches Personal invasive wunschmedizinische Maßnahmen ausführen darf.
Ärztliche Fürsorge heißt manchmal: Nein!
Das dritte Prinzip sei die ärztliche Fürsorge. Es gebe Patienten, die – unter dem Aspekt der ärztlichen Verantwortung betrachtet – zu extreme Maßnahmen wollten, unter Umständen aufgrund einer Wahrnehmungsstörung oder anderer psychologischer Herausforderungen. An diesem Punkt sei die ärztliche Kunst auszuloten, wie weit man der Patientenselbstbestimmung verantwortlich folge könne. Es sei zu prüfen, ob die Betreffenden wirklich verstanden haben, was sie wollen. Gegebenenfalls sei der Patientenwunsch aus ärztlicher Fürsorge abzulehnen.
Gerechtigkeit – in einem System mit echtem Fachkräftemangel
Was sie am meisten umtreibe, sei das vierte Prinzip: die Gerechtigkeit. Buyx zeigte sich besorgt darüber, dass im öffentlichen System hochausgebildete Ärztinnen und Ärzte „zu stark rausgehen aus der Regelversorgung und dass wir sie gesellschaftlich verlieren“. Sie sei selbst Fan von Wunschmedizin und investiere viel Geld dafür. Sie sorge sich aber, dass der Bereich so „sexy“ ist und so viele Leute abzieht, „dass wir in Probleme kommen in einem System, in dem wir echten Fachkräftemangel haben. […] Bleiben Sie uns also auch als Teil unserer allgemeinen Gesundheitsversorgung gewogen“, bat Buyx.
Was machen wir mit diesen Influencern?
Es sei essenziell, in den sozialen Medien Grenzen einzuziehen, so Buyx. In den USA würden die gerade abgeschafft, Europa habe jedoch ein Regelwerk und Wege, es durchzusetzen. Man müsse über soziale Medien verantwortlich informieren dürfen, und Akteure abdrängen, die das nicht tun. Vorschläge hierfür müssten aus der organisierten Berufspolitik kommen, von Fachgesellschaften, Verbänden, Institutionen. Auch, was in den Praxen umgesetzt und vorgelebt werde, die Art der Ausbildung und der Umgang mit Patientinnen und Patienten sei wichtig. Wenn dies tatkräftig angegangen werden würde, würde sie das „sehr, sehr freuen“, endete Buyx.
Vortrag „All about Ethics – Grenzenlose Ästhetik?” anlässlich des Events „All About Aesthetics“ (Veranstalter: Allergan Aesthetics, A division of AbbVie), Frankfurt/Main, März 2025