Die Neuregelung der §§ 218 und 219 zum Schwangerschaftsabbruch steht weiterhin aus. Eine US-amerikanische Studie untersuchte nun die Wirksamkeit und Sicherheit eines telemedizinisch unterstützten medikamentösen Abbruchs – mit guten Ergebnissen. Wäre das auch ein Modell für Deutschland?
Die im „Nature Medicine“ veröffentlichte prospektive Kohortenstudie „Effectiveness and safety of telehealth medication abortion in the USA“ liefert robuste Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit telemedizinisch betreuter medikamentöser Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen des California Home Abortion by Telehealth (CHAT)-Projekts [1]. Die Untersuchung erfasste zwischen April 2021 und Januar 2022 insgesamt 6 034 medikamentöse Abbrüche, die über 3 virtuelle Kliniken in 20 US-Bundesstaaten sowie dem District of Columbia durchgeführt wurden. Die Patientinnen erhielten standardisiert 200 mg Mifepriston gefolgt von 800 bis 1 600 µg Misoprostol – ohne vorangehende bildgebende Diagnostik („no-test“-Modell), basierend ausschließlich auf Anamneseerhebung.
Die Ergebnisse sind eindeutig: In 97,7 % der Fälle war der Abbruch vollständig ohne weitere medizinische Intervention. Die Rate schwerwiegender Komplikationen – darunter Bluttransfusionen, stationäre Aufnahmen und chirurgische Eingriffe – lag bei lediglich 0,25 %. Ein relevanter Unterschied zwischen synchron (Video) und asynchron (Text-basiert) durchgeführter Betreuung konnte weder hinsichtlich Effektivität noch Sicherheit nachgewiesen werden. Damit liefern die Daten einen starken Beleg für die Gleichwertigkeit telemedizinischer Verfahren mit der klassischen Präsenzversorgung – ein Befund, der auch mit früheren Studien korrespondiert [2,3].
Diese Erkenntnisse sind besonders bedeutsam im Kontext zunehmender Versorgungsengpässe in den USA, die sich durch das Urteil Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization (2022) verschärft haben. Die Entscheidung des Supreme Court hob das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf und überließ die Regelung den Bundesstaaten – mit der Folge drastischer Zugangsbeschränkungen in vielen Regionen. Telemedizinische Modelle fungieren seither als entscheidende Versorgungsalternative, insbesondere für Menschen in restriktiven Staaten, die durch „Shield Laws“ in liberaleren Staaten abgesichert medizinische Leistungen erhalten können [4].
In Deutschland ist die Situation rechtlich anders, aber nicht frei von strukturellen Barrieren. Schwangerschaftsabbrüche sind gemäß § 218 StGB weiterhin grundsätzlich strafbar und nur unter bestimmten Bedingungen – insbesondere nach verpflichtender Beratung (§ 219 StGB) und Einhaltung einer dreitägigen Wartefrist – straffrei. Die medikamentöse Methode ist bis zur neunten Schwangerschaftswoche zugelassen, eine telemedizinisch begleitete Durchführung – wie sie in der US-Studie evaluiert wurde – ist in Deutschland hingegen nicht erlaubt. Derzeit bestehen sowohl aus juristischer als auch abrechnungstechnischer Sicht erhebliche Hürden für eine Implementierung digitaler Versorgungsmodelle.
Digital unterstützte Modelle erfreuen sich einer hohen Akzeptanz bei Patientinnen.
Die im CHAT-Projekt erhobenen Daten stützen die Forderung nach einer evidenzbasierten Neubewertung bestehender Restriktionen. Der Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch könnte durch eine telemedizinisch unterstützte Versorgung erleichtert und dezentralisiert werden – insbesondere für Patientinnen in strukturschwachen Regionen oder bei eingeschränkter Mobilität. Die hohe Wirksamkeit und minimale Komplikationsrate sprechen für die Integration solcher Modelle auch in Deutschland, zumal diese Versorgungsform mit hoher Patientinnenakzeptanz einhergeht und Versorgungslücken schließen kann.
Darüber hinaus adressiert die Studie gesundheitliche Chancengleichheit. Asynchrone Betreuung erfordert weniger technische Infrastruktur und ermöglicht mehr Autonomie, was insbesondere für marginalisierte Gruppen von Vorteil sein kann. Eine zukünftige Integration telemedizinischer Abbrüche sollte daher multiperspektivisch geplant werden: unter Einbezug medizinischer Evidenz, ethischer Erwägungen und regulatorischer Flexibilität.
In Anbetracht der derzeitigen Diskussion um eine mögliche Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland bietet die US-amerikanische Datenlage eine wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung patientinnenzentrierter Versorgungsmodelle. Die Ergebnisse des laufenden Kommissionsprozesses zur reproduktiven Selbstbestimmung (Kasten) könnten eine Öffnung in diese Richtung einleiten – telemedizinische Versorgung sollte dabei als legitimer Bestandteil zeitgemäßer reproduktiver Gesundheitsversorgung mitgedacht werden.
Nach geltendem Recht ist ein Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 StGB grundsätzlich rechtswidrig und strafbar. Die Ampelregierung hat 2022 im Koalitionsvertrag eine umfassende Überprüfung der Abtreibungsregelung vereinbart und 2023 die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ berufen. Die Kommission legte Ende März 2024 ihren Abschlussbericht vor. Demnach hält die Kommission die grundsätzliche Strafandrohung in der Frühschwangerschaft nicht für sachgerecht. Der Gesetzgeber solle Abbrüche innerhalb der ersten 12 Wochen ausdrücklich erlauben (legalisieren). Durch die vorgezogenen Neuwahlen wurde das aber nicht mehr umgesetzt, welche Regelungen der neue Bundestag beschließt bleibt offen.
Für die Praxis bedeutet dies, sich auf neue rechtliche Vorgaben einzustellen (insb. Wegfall des Strafrechtsbezugs, geänderte Abläufe bei Beratung/Dokumentation) und gleichzeitig weiterhin hohe professionelle Standards einzuhalten. Gynäkologinnen werden voraussichtlich noch stärker in der Rolle als vertrauensvolle Beraterinnen gefragt sein, die ihre Patientinnen ergebnisoffen informieren und betreuen – nun ohne den Strafgesetzbuch-Paragrafen im Nacken. Die kommenden Monate werden zeigen, wo der Weg hinführen wird.