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Onkologie

Schmerztherapie

Optionen beim onkologischen Patienten

PD Dr. med. Michael Überall

Tumorbedingte Schmerzen gehören zweifellos zum Alltag Betroffener und stellen die mit am stärksten ­beeinträchtigenden Begleiterscheinungen einer onkologischen Erkrankung dar. Ihre wirksame und nachhaltige Linderung – neben den ursächlich orientierten Behandlungsmaßnahmen – zählt mit zu den entscheidenden medizinischen Herausforderungen einer ganzheitlichen Behandlung.

Untersuchungen aus Europa und den USA berichten von Schmerzen bei 56–59 % aller sich in einer onkologischen Therapie befindlichen Patienten, bei 64–90 % der Patienten, die unter einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung (Metastasierung und/oder Terminalphase) leiden, und bei rund 33 % der Langzeitüberlebenden.

Ausgehend von primär symptomatischen akuten Beschwerden als direkte Folge der zugrunde liegenden Erkrankung bzw. der für ihre Behandlung notwendigen therapeutischen Maßnahmen entwickeln sich auch tumorbedingte Schmerzen im Laufe der Zeit nicht selten zu einem eigenständigen Krankheitsbild, dessen Verlauf mitunter verheerende Auswirkungen auf den Alltag und die Lebensqualität Betroffener und ihrer Angehörigen nehmen kann. Nicht selten stellen die Folgen frustraner Behandlungsversuche und der mit der Persistenz tumorbedingter Dauer- und Durchbruchschmerzen verbundene Leidensdruck sogar die Auswirkungen der ursprünglich zugrunde liegenden Tumorerkrankung in den Schatten und sind letztlich immer wieder auch Anlass für den Wunsch vieler Betroffenen nach einer selbstbestimmten Beendigung ihres Lebens.

„56–59 % aller sich in einer onkologischen Therapie befindlichen Patienten leiden an Schmerzen.“

Vor dem Hintergrund der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie Krebs mag vielen onkologischen Therapeuten die Problematik begleitend auftretender (symptomatischer) Beschwerden wie Schmerzen nachrangig bedeutsam erscheinen. Beim täglichen Kampf um die quantitative Verzögerung des drohenden Lebensendes, bleiben die Bemühungen um einen Erhalt bzw. eine Restitution der Lebensqualität offensichtlich auf der Strecke, obwohl es doch – nicht nur in der finalen Palliativsituation, sondern in allen Phasen des Lebens mit einer Tumorerkrankung – ganz entscheidend darauf ankommen muss, den Tagen mehr Leben(squalität) zu geben und nicht nur dem Leben mehr Tage (frei nach Cicely Saunders).

Kommunikation – das A & O der Schmerzmedizin

Erhebungen aus dem angloamerikanischen Großraum identifizieren als eine der Hauptursachen für die auch dort wiederholt nachgewiesenen Unter- und Fehlbehandlungen tumorbedingter Dauer-/Durchbruchschmerzen – neben einer bewussten Verharmlosung der Beschwerdeproblematik durch die Betroffenen und der zwangsläufigen iatrogenen Fokussierung auf die Bekämpfung der ursächlich zugrunde liegenden Tumorerkrankung – insbesondere das Fehlen einer ausreichenden Kommunikationsplattform zwischen Patient und Arzt. Die Autoren empfehlen (neben der Investition von Zeit und Aufmerksamkeit auf die begleitenden Gesundheitsprobleme onkologischer Patienten) den Einsatz standardisierter Dokumentationsinstrumente als Teil der Regelversorgung.

Naturgemäß ist die Bereitschaft gerade onkologischer Therapeuten nach Instrumenten mit zusätzlichem Dokumentationsaufwand angesichts der mit den gängigen Therapieverfahren einhergehenden Dokumentationsflut überschaubar. Dennoch sollte, insbesondere angesichts der vorliegenden Daten und des beträchtlichen Ausmaßes an schmerzmedizinischen Unter- und Fehlbehandlungen, die Verwendung validierter Selbstauskunftsfragebogen zum schmerzmedizinischen Behandlungsbedarf und der Güte analgetischer Therapien von Dauer- und Durchbruchschmerzen (fachgebietsunabhängig) zum Standardrepertoire der Regelversorgung eines jeden Therapeuten gehören, der an der schmerzmedizinischen Behandlung von Tumorpatienten beteiligt ist.

Eckpunkte rationaler Therapiebestrebungen

Bezüglich der Behandlungskonzeption sollte das in Deutschland verfügbare breite Spektrum pharmakologischer wie auch nicht-pharmakologischer Behandlungsmaßnahmen an die Bedürfnisse des jeweiligen Einzelfalles angepasst werden. Das traditionell bekannte Konzept der sich eskalativ an der Schmerzintensität und dem Ansprechen auf unterschiedliche Analgetikagruppen orientierenden WHO-Stufenleiter ist angesichts des heutigen Kenntnisstandes um die pathophysiologischen Ursachen tumorassoziierter Schmerzen hierfür völlig ungeeignet. Für die Entwicklung eines individuellen Behandlungskonzeptes wesentlich bedeutsamer sind rationale Kategorisierungen entsprechend der den verschiedenen Schmerzformen eines Patienten (wahrscheinlich) zugrunde liegenden Schmerzmechanismen (nozizeptiv, neuropathisch oder gemischt), die Identifizierung der bei nozizeptiven Schmerzen betroffenen Strukturen (Knochen, Bandapparat, Muskulatur etc.) und Prozesse (entzündlich, nicht-entzündlich), die Unterscheidung von Dauer- und (vorhersagbaren bzw. spontan auftretenden) Durchbruchschmerzen, die Analyse der Schmerzkinetik im 24-Stunden-Tagesverlauf, die schmerzbedingten Begleiterscheinungen auf Nachtschlaf, Stimmung und Affekt und letztlich natürlich auch das Ausmaß schmerzbedingter Beeinträchtigungen der individuellen Teilhabe an den Aktivitäten des alltäglichen Lebens.

Retardopioide – wichtige, aber nicht einzige Therapiealternative für Dauerschmerzen

Langwirksame Retardopioide (sog. long-acting opioids, LAO) mit den Wirkstoffen Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin oder Morphin gelten landläufig als Fundament der medikamentösen Behandlung schwerwiegender tumorbedingter Dauerschmerzen. Individuell dosisadaptiert und bedarfsabhängig um entzündungshemmende, muskeltonusrelaxierende und antineuropathisch wirkende Arzneimittel ergänzt, bieten sie vielen Betroffenen eine realistische Chance für eine gut wirksame und nebenwirkungsarme Basistherapie. Grundsätzlich gelten die genannten stark wirksamen Opioidagonisten als vergleichbar wirksam, sodass bei der Auswahl für den konkreten Einzelfall die Anwendungserfahrungen des Behandlers und die pharmakologischen Besonderheiten des jeweiligen Behandlungskontextes ausschlaggebend sein sollten. Allerdings ist zu beachten, dass Morphin (dem aufgrund seiner tradierten Anwendungserfahrungen, dem breiten Spektrum verfügbarer Darreichungsformen und der weltweiten Verfügbarkeit immer wieder das Label des sog. Goldstandards zugeschrieben wird) eine ganze Reihe anwendungsbeschränkender Probleme aufweist (aktive Metaboliten, Gefahr der Akkumulation bei Leber-/Nierenfunktionsstörungen, immun-/hormonsuppressive Wirkungen etc.), sodass seine Verwendung als sog. Mittel der ersten Wahl angesichts der verfügbaren Alternativen heute eigentlich obsolet ist und Wirkstoffen mit einem deutlich günstigeren pharmakokinetischen Profil – wie z. B. Hydromorphon oder Buprenorphin – der Vorzug gegeben werden sollte. Eine Sonderrolle kommt dem dual aktiven Wirkstoff Tapentadol zu, welcher aufgrund seiner kombinierten µ-Opioidrezeptor-aktivieren­den und die Noradrenalinwiederaufnahme hemmenden Wirkungen sowie seiner günstigen Pharmakokinetik bei Patienten mit neuropathischen Tumorschmerzen durchaus auch als Mittel der ersten Wahl in Betracht gezogen werden kann.

„End-of-dose Failure” vermeiden

Trotz retardierter Galenik und zwei- bis mehrfach täglicher Gabe berichten nicht wenige Patienten mit tumorbedingten Dauerschmerzen jeweils kurz vor der nächsten Einzeldosis eines Analgetikums über eine vorübergehende Schmerzzunahme, das sog. „End-of-dose“-Phänomen. Bei einem entsprechenden Verdacht sollte unter Verwendung eines geeigneten Fragebogens das 24-Tage-Schmerzprofil in Abhängigkeit von den Zeitpunkten der Dosierungszeitpunkte hinterfragt und ggf. entweder das Dosierungsintervall angepasst (d. h. das Intervall zwischen den Einzeldosen verkürzt), die Menge der je Einzeldosis verabreichten Wirkstoffe erhöht oder auf eine alternative Darreichungsform mit längerer Halbwertszeit gewechselt werden.

Durchbruchschmerzen erkennen, vermeiden und behandeln

Von den regelmäßig periodisch und in relativ fester Beziehung zum (nächsten) Einnahmezeitpunkt auftretenden Zunahmen der Schmerzintensität im Sinne eines „End-of-dose“-Phänomens zu unterscheiden sind die sogenannten tumorbedingten Durchbruchschmerzen. Bei diesen kann es – trotz einer bzgl. der Dauerschmerzen eigentlich ausreichend wirksamen und hohen Basistherapie mit ­potenten Opioidanalgetika – mehrfach täglich zu plötzlichen auftretenden, sich über mehrere Minuten entwickelnden und zeitlich vorübergehenden Schmerzintensitätsspitzen kommen. Sie sind Folge willkürlicher (z. B. Bewegung) oder unwillkürlicher (z. B. Harndrang, Stuhlbewegung, Husten, Niesen), d. h. nur bedingt beeinflussbarer bzw. vermeidbarer Aktivitäten und erhöhen aufgrund von Häufigkeit, Unvorhersagbarkeit und (sehr) hoher Schmerzinten­sität das Leid Betroffener zusätzlich beträchtlich. Neben der detaillierten Analyse auslösender (und damit u. U. auch vermeidbarer) Faktoren sowie geeigneter präventiver Gegenmaßnahmen kommt der Bereitstellung einer wirksamen Notfall-/Rescuetherapie für viele Betroffene eine wesentliche Bedeutung zu. Hierfür stehen seit geraumer Zeit ultraschnell wirkende opioidhaltige Arzneimittel (sog. „rapid onset opioids“, ROO) in Form der transmukosaler Fentanyle zur Verfügung, die von Betroffenen bei Manifestation eines Durchbruchschmerzes selbstständig entweder als Sublingual-/Buccaltablette oder Nasenspray angewandt werden können und binnen weniger Minuten schmerzlindernd wirken.

ART – Assessment, Reassessment, Treatment

Wie bei allen Formen der symptomatischen Behandlung kausal nur bedingt behandelbarer Beschwerden, gilt es auch bei der Behandlung tumorbedingter Schmerzen das individuelle Ansprechen der unter Tumorschmerzen leidenden Patienten kontinuierlich zu hinterfragen und die Behandlungsmaßnahmen engmaschig zu begleiten. Dies nicht nur, um die Wirkung kontinuierlich an den individuellen Bedarf anzupassen und zu optimieren, sondern auch, um ein Nachlassen der Wirksamkeit rechtzeitig zu erkennen und ganz grundsätzlich natürlich auch, um den Behandlungsbedarf im Auge zu behalten. Dabei verwundert es vor dem Hintergrund der tagtäglichen Konfrontation mit organisch meist eindrucksvoll fassbaren, optisch oder laborchemisch darstellbaren, messbaren und damit auch objektiv quantifizierbaren Befunden in der Onkologie nicht, dass Schmerz als subjektives, sich der objektiven Quantifizierung entziehendes Begleitphänomen einer Tumorerkrankung nicht wirklich im Zentrum der therapeutischen Aufmerksamkeit steht und aus Sicht von Behandlern, Pflegenden, Angehörigen und Patienten nicht selten auch als potenziell störender Indikator für das Versagen der onkologischen Therapiemaßnahmen angesehen wird. Dass Patienten deshalb nicht selten im ärztlichen Gespräch das Ausmaß ihrer Schmerzen bewusst „klein reden“, um sich selbst nicht die Hoffnung auf einen therapeutischen Erfolg zu zerstören, ist bekannt, dass Therapeuten der Bekämpfung des Symptoms tumorbedingter Schmerzen im Vergleich zum Kampf gegen den ursächlich verantwortlichen Tumor ein eher geringes Interesse entgegenbringen ist belegt ebenso, dass beide Fehlverhalten das grundlegende Problem Betroffener eher verstärken, denn beheben.

„Tumorbedingte Durchbruchschmerzen sind zu unterscheiden von der vorübergehenden Schmerzzunahme beim ‚End-of-dose‘-Phänomen.“

Von daher bedarf gerade die schmerzmedizinische Betreuung eines tumorkranken Menschen eines vertrauensvollen und empathischen Verhältnisses zwischen dem behandelnden Arzt (als dem medizinischen Experten für die verfügbaren Behandlungsoptionen) und dem betroffenen Patienten (als dem Experten für seine Beschwerden und Nöte). Die im Rahmen dieser Beziehung notwendigen Behandlungskonzepte sollten im besten Sinne einer evidenzbasierten Medizin unter Beachtung der bestmöglichen medizinischen (externen) Evidenz, den individuellen Bedürfnissen des jeweils Betroffenen, dem aktuellen Behandlungskontext und den Erfahrungen bzw. der Handlungskompetenz des verantwortlichen Behandlers (interne Evidenz) gemeinschaftlich entwickelt und umgesetzt werden.

Der Autor

PD Dr. med. Michael A. Überall
Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie – IFNAP
DGS Exzellenzzentrum für Versorgungsforschung
90411 Nürnberg

michael.ueberall@ifnap.de

Literatur beim Autor

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