Schon ein leicht gesteigerter Proteinabbau verursacht einen Verlust an Muskelmasse. Das ist auch bei chronischer Nierenschädigung (CKD) der Fall: 10–15 % der Weltbevölkerung sind davon betroffen und zwei Drittel der Erwachsenen mit CKD zeigen Zeichen der Kachexie [1].
Insulinresistenz, ein hoher Angiotensin-II-Spiegel, chronische Inflammation, Urämie und die chronisch-metabolische Azidose (cmA) wirken bei CKD katabol auf die Muskulatur ein bis hin zur Sarkopenie. Hinzu kommen noch die Bewegungsarmut der Betroffenen, also ein ausbleibender Trainingseffekt auf die Muskulatur und oft einseitige Ernährung mit geringer Dichte essenzieller Nährstoffe. Die Folge: Muskelschwund.
Pathomechanismus des Muskelabbaus
Eine cmA hemmt den Energiestoffwechsel in den Muskelzellen und stimuliert das intrazelluläre Ubiquitin-Proteasom-System (UPS), ein Abbausystem für Proteine. Das reduziert Muskelmasse und dadurch die Muskelfunktion. Die cmA hemmt zudem die Knochenreparatur und hat einen erhöhten Knochenabbau zur Folge zwecks Gewinnung von Knochenphosphat als kompensatorische Puffersubstanz. Die Folge ist ein erhöhtes Frakturrisiko. Die negative Rolle einer cmA unter all den Playern des Proteinabbaus ist also nicht zu unterschätzen. In einer Studie verbesserte bereits die Gabe von oralem Bicarbonat bei CKD-Erkrankten gegenüber der unbehandelten Gruppe die Verstoffwechselung des mit der Nahrung zugeführten Proteins, obwohl der Säure-Basen-Status noch gar nicht vollständig ausgeglichen war. Das zeigte auch eine 2 Jahre andauernde Untersuchung durch Messung des mittleren Armumfangs, der in der Gruppe der Behandelten um fast 2 cm zunahm [2]. Ursache dieses positiven Effekts war eine Zunahme der Muskelmasse bei einem bereits weniger sauren Säure-Basen-Status (SBS), also trotz einer noch nicht einmal voll ausgeglichenen cmA.
Weniger Stürze und Frakturen
Ein anderer Effekt der cmA bei CKD sind Frakturen und Knochenbrüche. Eine Auswertung von Krankenkassendaten im Zeitraum von 2007 bis 2017 bei 51 558 Patienten und Patientinnen mit CKD und einer glomerulären Filtrationsrate (eGFR) zwischen 10 und 60 ml/min/1,73m2 Körperoberfläche erbrachte bei einem um 1,0 mmol/l erhöhtem Serum-Bicarbonatspiegel eine Reduktion von Stürzen um 9 % und von Knochenbrüchen um 5 %. Grundlage war eine verbesserte Muskelfunktion durch Anhebung des Serum-Bicarbonatspiegels [3].
Der Stuhl-Standard-Test (STS) ermöglicht die Einschätzung der Beinmuskelfunktion hinsichtlich Beweglichkeit und Ausdauer und schätzt die Fähigkeit, das Gleichgewicht zu halten, ein. Eine Studie zeigte nun, dass sich durch die orale Gabe von Bicarbonat die dafür erforderliche Muskelfunktion verbessert. Die Handgriffstärke, gemessen mit einem Handdynamometer, das lediglich die Muskelkraft misst, blieb allerdings unverändert. Der STS jedoch erfasst zusätzlich zur Kraft die Geschwindigkeit und Körperbalance. So verbessert die orale Gabe von Bicarbonat auch bei Sportlern und Gesunden die kurzfristige anaerobe Kapazität und die Ausdauer, nicht aber die Muskelkraft [4].
Die cmA hemmt in den Mitochondrien der Muskelzellen den Energiestoffwechsel. Das zeigt sich auch bei der Regeneration von Kreatinphosphat in den Beinmuskeln. Bei CKD-Erkrankten war die Regeneration im Vergleich zu Gesunden geringer, insbesondere bei den CKD-Patientinnen und -Patienten mit Serum-Bicarbonatspiegeln unter 22 mmol/l [5].
Welcher Serum-Bicarbonatspiegel ist anstrebenswert? Absolute Einigkeit ist nicht festzustellen. Die KDIGO (Kidney Disease Improving Global Outcomes) definiert den Schwellenwert für die unbedingte Therapieeinleitung einer metabolischen Azidose bei nicht dialysepflichtigen Patienten und Patientinnen auf 18 mmol/l und darunter [6].
Chronisch-metabolische Azidose und Sarkopenie können vergesellschaftet sein. Um eine Minderung von Muskelmasse und Muskelfunktion zu vermeiden, ist der Ausgleich einer cmA wichtig. Mit einer Tagesdosis von 1 bis 3 g magensaftresistentem Bicarbonat ist in der Regel ein auf Dauer guter Ausgleich einer cmA zu erreichen. Eine Tablette mit 1,0 g Bicarbonat enthält 11,9 mmol HCO3ˉ, wobei 1 mmol Bicarbonat 0,084 g (84 mg) NaHCO3 entspricht.
Der Autor
Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen
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