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Gynäkologie

Stand der Diskussion und zukünftige Perspektiven

Nicht invasive Pränataltests (NIPT)

Heike Borth, Nargül Kutur, Dr. Sarah Knippenberg, Dr. Anna Teubert, Dr. Ralf Glaubitz, Prof. Dr. Bernd Eiben

30.10.2020

Seit 2012 werden nicht invasive Pränataltests (NIPT) zur Risikoanalyse der häufigsten fetalen Chromosomen­störungen (Trisomie 21, 18 und 13) als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) angeboten. Das Bewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Zulassung der NIPT als Kassenleistung hat eine enorme Debatte ausgelöst – hier ein Überblick über den wissenschaftlichen Hintergrund und die aktuelle Situation.

Am 19. 09.2019 hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit deutlicher Mehrheit dafür ausgesprochen, den nicht invasiven molekular­ge­-n­etischen Test (NIPT) zur Pränataldiagnostik auf die autosomalen Trisomien 13 (Pätau-Syndrom), 18 (Edwards-Syndrom) und 21 (Down-Syndrom) als Kassenleistung zuzulassen. Ziel ist es dabei, invasive Untersuchungen, wie die Chorionzottenbiopsie (CVS; Biopsie der Plazenta) oder die Amniozentese (AC; Fruchtwasserpunktion), und die damit verbundenen eingriffsbedingten Risiken (z. B. Fehlgeburten) auf eine Abklärungsdiagnostik deutlich auffälliger Befunde zu beschränken.

Die Übernahme der Kosten eines NIPT durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) – voraussichtlich ab 2020/2021 – soll laut G-BA nur in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken erfolgen.[1] Wie in der Empfehlung zum Einsatz von NIPT von 20152 nahegelegt und nach ­Gen­diagnostikgesetz (GenDG; § 15, Abs. 3)[3] vorgeschrieben, muss die Durchführung eines NIPT verbunden sein mit einer intensiven Beratung und Aufklärung über Wesen, Bedeutung und Tragweite dieser genetischen Untersuchung.1

Detektion fetaler zellfreier DNA

NIPT basieren auf der Detektion zellfreier fetaler DNA-Fragmente im mütterlichen Blut. Diese zellfreie „fetale“ DNA stammt aus Trophoblastzellen (Synzytio- und Zytotrophoblastzellen) der Chorion­zotten, ist also eigentlich DNA aus dem kindlichen Anteil der Plazenta, und gelangt durch apoptotische Abbauprozesse in das mütterliche Blut (Abb.). Der Hauptanteil aller zellfreien DNA-Fragmente (cell free DNA, cfDNA), die im Blut einer Schwangeren zirkulieren, stammt von der Schwangeren selbst – bei gesunden Erwachsenen stammt die cfDNA hauptsächlich von apoptotisch abgebauten hämatopoetischen Zellen und/oder Fettgewebe. Der ­Anteil der fetalen cfDNA an der gesamten cfDNA wird fetale Fraktion (FF) genannt und beträgt im Durchschnitt ca. 10 %. Mit einem durchschnitt­lichen Anstieg von ca. 0,1 % pro Woche ist die FF in der 10. bis zur 21. Schwangerschaftswoche (SSW) relativ stabil und steigt erst ab der 21. SSW mit einer Erhöhung um ca. 1 % pro Woche an.[4,5] Die fetalen zellfreien DNA-Fragmente, die eine durchschnittliche Halbwertszeit von ca. 16 Minuten haben, sind schon einige Stunden nach der Entbindung nicht mehr nachweisbar.[5] Ein NIPT kann je nach Test beginnend ab SSW 9+0 (PraenaTest®, PanoramaTM, Veracity®) oder ab SSW 10+0 (Harmony®, fetalis®) bis zum Ende der Schwangerschaft durchgeführt werden.

Verschiedene Untersuchungsansätze

Für die Untersuchung des relativ geringen Anteils fetaler cfDNA an der gesamten cfDNA der Schwangeren stehen das Next Generation Sequencing (NGS) und die Microarray-Analyse sowie ausgefeilte bio­informatische Algorithmen zur Verfügung. Dabei kommen zurzeit u. a. folgende Untersuchungs­ansätze zum Einsatz:

1 Analyse des gesamten Genoms (Whole Genome Sequencing, WGS; fetalis®, PraenaTest®)

2 Microarray-basierte Analyse der klinisch relevanten Chromosomen (Digital Analysis of Selected Regions, DANSR; Harmony®)

3 Analyse von Einzelnukleotid-Polymorphismen (Single Nucleotide Polymorphisms, SNP; PanoramaTM)

4 Untersuchung ausgewählter Chromosomen­re­gi­onen (Target Capture Sequences, TACS; ­Veracity®)

Bei allen NIPT-Verfahren wird die gesamte cfDNA aus dem Plasma der Schwangeren untersucht – fetale und mütterliche Fragmente.[4,5]

Hohe Sensitivität und Spezifität

Trotz des geringen Anteils fetaler cfDNA zeichnen sich NIPT durch eine hohe Sensitivität und Spezi­fität aus; laut einer Metaanalyse von 2017 liegen die Detektions- und Falsch-positiv-Raten für Trisomie 21 bei 99,7 % und 0,04 %, für Trisomie 18 bei 97,9 % und 0,04 % und für Trisomie 13 bei 99,0 % und 0,04 %.[6] Damit liegen die Sensitivitäten und Spezifitäten der NIPT über denen des kombi­nierten Ersttrimesterscreenings (ETS), das in den 1990er-Jahren etabliert wurde und seit vielen ­Jahren weltweit zur Risikoberechnung für das mögliche Vorliegen von Trisomie 21, 18 und 13 angewendet wird (in Deutschland als individuelle ­Gesundheitsleistung). In die ETS-Risikoberechnung, die nur in der 11.–14. SSW durchgeführt werden kann, fließen neben dem mütterlichen Alter ­sowohl Ultraschalldaten (Scheitel-Steiß-Länge des Feten als Basis des Gestationsalters und die fetale ­Nackentransparenz) als auch biochemische Parameter (freies ß-hCG und PAPP-A) ein. Die Detektionsrate des ETS für Trisomie 21 liegt bei bis zu 90 % bei einer Falsch-positiv-Rate von 3–5 %. Bei Berücksichtigung zusätzlicher sonografischer Parameter, lässt sich die Detektionsrate auf bis zu 95 % steigern und die Falsch-positiv-Rate halbieren.[5]

Ursachen falsch-negativer und falsch-positiver Ergebnisse

Trotz der deutlich höheren Sensitivitäten und ­Spe­zi­fitäten des NIPT kann es auch hier zu falschen Ergebnissen kommen: da die mittels NIPT untersuchte „fetale“ cfDNA nicht vom Feten (Embryoblast), sondern aus der Plazenta (Trophoblast) stammt, sind Diskrepanzen zwischen dem NIPT-Ergebnis und dem Karyotyp des Feten möglich. Anhand zytogenetischer Analysen an Amnion- und Chorionzottenzellen (CVS-Direktpräparation/-Kurz­zeit­kultur sowie CVS-Langzeitkultur) (Abb.) ist ­bekannt, dass in ca. 1–2 % aller Untersuchungen diskrepante Chromosomen-Kon­stellationen in ­Pla­zen­ta und Fet vorliegen können.[4,5,7]

Eine Ursache dafür sind Plazenta-­Mosaike (confined placental mosaicism, CPM), bei denen die Plazenta eine Chromosomenveränderung aufweist, während der Fet zytogenetisch ­unauffällig ist. Auch das Van­ishing-Twin-Syndrom, bei dem in einem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft ein Fet einer ursprüng­lichen Zwillingsanlage verstirbt, kann das NIPT-­Ergebnis verfälschen.[4,5] Bei einem vanishing twin liegt häufig eine Chromosomenstörung vor und plazentare cfDNA des vanishing twins kann zu falsch-positiven NIPT-Ergebnissen führen.[8] Weitere Ursachen für diskrepante NIPT-Ergebnisse sind u. a. ein mütterliches Chromosomen-Mosaik, eine Tumor­erkrankung bei der Patientin sowie ein chromosomales ­Mosaik beim Feten.

Risikoermittlung nicht immer möglich

Bei ca. 2 % der Patientinnen kann das Risiko für das eventuelle Vorliegen fetaler Chromosomenstörungen nicht ermittelt werden.[5] Hauptursache dafür ist eine zu niedrige FF, auch wenn seit einiger Zeit zuverlässige NIPT-Ergebnisse auch bei niedrigen FF unter 4 % erzielt werden können. Ursache für eine zu niedrige FF ist zumeist ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) der Patientin. Neben dem BMI können aber auch andere biologische Faktoren, wie Funktionalität der Plazenta oder das Vorliegen fetaler Aneuploidien, die FF beeinflussen.[4,5]

Risikofaktoren nur schwammig definiert

Ein auffälliges NIPT-Ergebnis sollte immer über eine invasive Diagnostik (z. B. Amniozentese) abgeklärt werden, bevor eine klinische Konsequenz gezogen wird. Darüber hinaus sollten NIPT auch nur nach bzw. in Kombination mit einem qualifizierten Ultraschall und nach intensiver Beratung und Aufklärung durchgeführt werden.[2] Der G-BA hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) beauftragt, eine detaillierte Versicherteninformation zu entwickeln, in der auch auf das Recht auf Nichtwissen hingewiesen werden soll. Erst wenn diese final beschlossen ist, kann die Zulassung der NIPT als Kassenleistung in Kraft treten. NIPT dürfen nicht als ethisch unvertretbares „Screen­ing“ eingesetzt werden, ihre Durchführung ist nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt.[1] Dennoch befürchten Kritiker, dass NIPT als „individualisierte Reihenuntersuchungen“ durchgeführt werden, da kein greifbarer Indikationskatalog vorliegt.[9,10] So gilt u. a. ein erhöhtes Alter bei Erstgebärenden ab 35 Jahren schon als Risikofaktor, da sich mit zunehmendem mütterlichen Alter auch die Prävalenz bestimmter fetaler Chromosomenstörungen, v. a. die der Trisomie 21, erhöht. Des Weiteren befürchten Kritiker, dass unerwartete Nebenbefunde bei NIPT-Analysen zu erheblichen Belastungssituationen bei den Patientinnen führen könnten, z. B. bei Veränderungen der Geschlechtschromosomen.[9] Während beim Verlust eines X-Chromosoms (Monosomie X, Turner-Syndrom) die meisten Schwangerschaften in einem Spontanabort enden, haben andere Veränderungen wie Triple X (XXX)-, Klinefelter (XXY)-, und Jacob (XYY)-Syndrom nahezu keine Auswirkungen auf den Ausgang der Schwangerschaft und stellen aus Sicht von Pränataldiagnostikern keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar. Nur fetalis® verzichtet ausdrücklich auf diese ethisch zweifelhafte Diagnostik. Untersuchungen auf das eventuelle Vorliegen von Mikrodeletionen sowie seltener autosomaler Aneuploidien (rare autosomal aneuploidies, RAA) sind möglich, jedoch nicht Gegenstand der Zulassung als Kassenleistung. Die hauptsächliche Befürchtung von Kritikern einer NIPT-Zulassung als Kassenleistung ist ein mög­licher Anstieg von Schwangerschaftsabbrüchen. ­Allerdings resultieren nach aktuellen Angaben des statistischen Bundesamtes ca. 96 % der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel, nur ca. 4 % aus medizinischer und ­kriminologischer Indikation. Darüber hinaus ist die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland von 134.964 im Jahr 2000 auf 100.986 im Jahr 2018 gesunken. Auch invasive Pränatalunter­suchungen, die seit 1975 GKV-Leistungen sind, ­haben demnach nicht zu einem Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche geführt.

NIPT nur in Kombination mit Ultraschall

Trotz der enormen Debatte innerhalb des Bewertungsverfahrens[9–11] liegt die Entscheidung letztlich bei den werdenden Eltern, ob sie einen NIPT durchführen lassen. Ärzten sowie Beratungsstellen und Laboren obliegt es, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Patientinnen bzw. werdenden Eltern bei dieser Entscheidung auf bestmög­liche Weise zu unterstützen. Auch in diesem Zusammenhang ist ein qualifizierter Ultraschall von essenzieller Bedeutung: Eine Risikoanalyse mittels NIPT bezieht sich nur auf einen kleinen Anteil möglicher Erkrankungen des Feten, ­sodass eine ausführliche Ultraschalluntersuchung, wie sie zurzeit im Zuge des Ersttrimesterscreenings erfolgt, unabdingbar ist.[10] Basierend auf den Ergebnissen der Ultraschalldiagnostik sollte mit der Patientin bzw. den werdenden Eltern die Durchführung eines NIPT oder aber anderer Untersuchungen erörtert werden. Ob die NIPT-Zulassung als Kassenleistung tatsächlich zu einem Rückgang invasiver Eingriffe und damit einem Rückgang von Fehlgeburten führt, bleibt abzuwarten.

Die Autorin

Dipl. Hum. Biol. Heike Borth
amedes genetics, Institut für Labormedizin und Klinische Genetik Rhein/Ruhr
Willy-Brandt-Platz 4
45127 Essen

heike.borth@amedes-group.com

[1] Gemeinsamer Bundesausschuss 2019, Pressemitteilung gemäß § 91 SGB V, Nr. 26/2019
[2] Kozlowski P et al., Ultraschall Med 2019; 40: 176–193
[3] Gendiagnostikgesetz (GenDG) 2019
[4] Taglauer ES et al., Placenta 2014; 35 Suppl: S64–68
[5] Eiben B et al., Med Gen 2014; 26: 382–390
[6] Gil MM et al., Ultras Obstet Gynecol 2017; 50: 302–314
[7] Eiben B et al., Frauenarzt 2016; 57: 567–569
[8] Curnow KJ et al., Am J Obstet Gynecol 2015; 212: e71–79
[9] Berufsverband Deutscher Humangenetiker e. V. (BVDH) und Berufs­verband niedergelassener Pränatalmediziner e. V. (BVNP) 2019
[10] Scharf A et al., Frauenarzt 2019; 60: 778–782
[11] pro familia NRW e. V. 2018: Stellungnahme Zulassung des nicht invasiven Pränataltests (NIPT) als GKV-Leistung für Risikoschwangere

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